Kommentar | 4.500 Fans bei Union-Heimspiel - Verantwortung sieht anders aus
Heimspiel gegen Freiburg vor 4.500 Fans: Dafür bekommt Union ordentlich Kritik. Viele haben den Eindruck, dass der Klub die Pandemie nicht ernst nimmt. Daran ist Union selbst schuld. Die Verantwortung sollte man aber nicht nur beim Verein suchen. Ein Kommentar von Till Oppermann
"Infektionsrisiko Berlin", "Die Superspreader der Alten Försterei" und "Corona-Wahnsinn": Das Medienecho auf Union Berlins Entscheidung, gegen Freiburg vor 4.500 Fans zu spielen, ist deutlich. Kein Wunder. Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 114,8 tobt das Virus in Berlin deutschlandweit mit am schlimmsten. Auch der Bezirk Treptow-Köpenick wurde zum Risikogebiet erklärt. Hier beträgt der Wert 56,3.
Während Berliner Familien wegen Beherbergungsverboten ihren Urlaub zuhause verbringen mussten, erlaubte das Gesundheitsamt den Unionern, Tickets für die Partie gegen Freiburg zu verkaufen. Trainer Urs Fischer sagt: "Ich finde es schön, dass Zuschauer im Stadion sein dürfen."
Gelebte Eigenverantwortung? Fehlanzeige.
Mit dieser Haltung verspielt der 1. FC Union zahlreiche Sympathien. Viele haben den Eindruck, dass die Eisernen Corona nicht ernst nehmen. Daran ist der Verein selbst schuld. Präsident Dirk Zingler verweist bei der Eindämmung seit Monaten gerne auf die Eigenverantwortung aller. Gleichzeitig traf sich Stürmer Max Kruse mit wildfremden Fans und dokumentierte das sichtbar in den sozialen Netzwerken. Sein Verhalten steht stellvertretend für das Bild des Vereins. Schon beim Klassenerhalt im Juni hatten Spieler und Fans verbotenerweise gemeinsam auf dem Parkplatz gefeiert. Vor kurzem ignorierten die Köpenicker das Verbot von Fangesängen im Testspiel gegen Hannover. Gelebte Eigenverantwortung? Fehlanzeige.
Für das Spiel gegen Freiburg sind erneut Fangesänge und Sprechchöre auf den Tribünen untersagt. Diesmal will Union das auch offen kommunizieren. Zudem wurde die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Stadion weiter verschärft.
Der 1. FC Union Berlin hat mit über 37.000 Mitgliedern eine riesige Strahlkraft. In Zeiten, in denen es in der Gesellschaft auf Solidarität ankommt, darf man diese anders nutzen. Der Klub könnte von seinen eigenen Fans lernen: In der letzten Saison konnten nicht einmal Mitglieder für jedes Spiel eine der über 22.000 Karten ergattern. Am Freitag gingen sogar von den 4.500 Karten einige in den Verkauf - obwohl die 11.500 Dauerkarteninhaber ein Vorkaufsrecht hatten. Die Berliner Politik wird es freuen. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci forderte im Zusammenhang mit dem Spiel: "Meiden Sie soziale Kontakte. Wenn es geht, bleiben Sie zuhaus".
Die Appelle der Landespolitik sind billig
Damit spricht sie stellvertretend für die Berliner Politik. Auch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat sich "eine andere Entscheidung gewünscht". Das Spiel sei ein "falsches Signal". Das stimmt. Trotzdem sind die Appelle aus der Landespolitik billig. Denn gleichzeitig schiebt Andreas Geisels Behörde die Schuld auf andere: "Die Entscheidung darüber liegt bei der DFL, den Vereinen und den jeweils zuständigen Gesundheitsämtern der Bezirke".
Aber: Die grundsätzliche Erlaubnis für Freiluftveranstaltungen mit bis zu 5.000 Gästen erteilt die Hygieneverordnung des Senats. Wer, wenn nicht die Landesregierung, hat es in der Hand, Veranstaltungen dieser Größe allgemein zu verbieten? Wenn dazu der politische Wille fehlt, kann man das dem 1. FC Union nicht vorwerfen. Als Fußball-Bundesligist tragen die Köpenicker neben der gesellschaftlichen auch eine wirtschaftliche Verantwortung für ihre über 300 Mitarbeiter. In der Öffentlichkeit interessiert das wenige. Darüber darf sich Union wegen des lockeren Umgangs mit Corona nicht beschweren.
Sendung: rbbUM6, 24.10.20, 18:00 Uhr