Inklusions-Tauchen in Berlin - Eintauchen in eine neue Welt

Do 15.10.20 | 08:47 Uhr | Von Simon Wenzel
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Sebastian Andres mit seinem Tauchbegleiter. Bild: rbb
Video: rbb UM6 | 12.10.2020 | Simon Wenzel | Bild: rbb

Das Stadtbad Wilmersdorf II ist ihr Riff. Ihr Ort zum Abtauchen, ihr Ort, um den Körper anders zu spüren. Das Becken ist das Zuhause des einzigen Inklusions-Tauchklubs in Berlin. Über eine Gemeinschaft unter Wasser, die Handicaps vergessen lässt. Von Simon Wenzel

Gerald Scholl fährt mit seinem Rollstuhl zum Beckenrand, stemmt sich aus dem Sitz und auf die Beckenkante. Den Neoprenanzug hat er schon an, jetzt zieht er sich seine Tauchausrüstung auf den Rücken, dann taucht Gerald Scholl ab, in eine andere Welt. So fühlt es sich für den Querschnittsgelähmten jedenfalls an, wenn er sich unter Wasser bewegt. "Fabelhaft, fantastisch", sei es, erzählt Scholl.

"Für mich geht es um dieses Körpergefühl"

Dass er sich nicht wie andere Taucher im Becken mit Flossenschlägen durchs Becken bewegt, sondern mit den Armen, ist egal. Er fühlt sich einfach frei. "Es ist ein anderes Körpergefühl, eine andere Wahrnehmung", beschreibt Gerald Scholl. Seit fast zwei Jahren taucht der 40-Jährige beim Berliner Inklusions-Tauchklub. Vor acht Wochen hat er seinen Tauchschein gemacht.

Es ist zwar nur das Stadtbad Wilmersdorf II, in dem er sich an diesem Samstag ins Wasser stürzt, für ihn ist es aber genau so viel wert wie ein Bergsee oder ein Riff. "Viele erzählen mir, es geht um den Anblick des Gewässers oder um die Fische. Für mich nicht. Für mich geht es um dieses Körpergefühl", sagt Scholl.

Er ist eines von 60 Mitgliedern im Inklusions-Tauchklub. Einige sitzen wie er im Rollstuhl oder sind blind. Andere sind Mitglieder, um zu zu helfen. Denn Tauchen ist kein Einzelsport.

Seit 2015 gibt es den Verein

Wenn Gerald Scholl abtaucht, geht immer ein Tauchlehrer mit. Alfred-Georg Anlauf, der Präsident des Klubs, erklärt die Herausforderung: "Man muss sich als Behinderten-Tauchlehrer auf die jeweilige Behinderung einstellen, es gibt da keine allgemeingültige Regelung", erklärt Anlauf. Er hat den Verein mit gegründet und steht an diesem Samstagabend am Rand des Beckens als Rettungsschwimmer.

Die Gründung des Vereins war ihm vor mehr als fünf Jahren ein persönliches Anliegen. "Wir waren damals eine kleine Tauchgemeinschaft und einer von uns hatte eine Behinderung. Er hat dann nirgends richtig Kontakt gefunden zum Tauchen und dann haben wir beschlossen, dass wir einen Behinderten-Tauchklub gründen", sagt Anlauf. Das war im April 2015. Noch immer ist der Inklusions-Tauchklub der einzige seiner Art in Berlin. Für seine Arbeit wurde der Verein bereits ausgezeichnet. Inklusion wird hier aber nicht nur im Becken gelebt: Der Vizepräsident des Tauchklubs, Sebastian Andres, ist blind.

Gerald Scholl sitzt in seinem Rollstuhl am Beckenrand. Bild: rbbBereitmachen für den Tauchgang: Gerald Scholl am Beckenrand

Kommunikation mit Drucksignalen an der Hand

Auch er taucht an diesem Samstagabend durchs Becken. Immer an seiner Seite im Wasser ist Tauchlehrer Richard Seefeldt, denn Sebastian Andres kann sich unter Wasser kaum orientieren. "Ich merke eigentlich nur, ob ich auf- oder abtauche", sagt er. Sein Tauchpartner führt ihn deshalb am Unterarm. Mit Drucksignalen kommunizieren die beiden unter Wasser. "'Okay' ist zum Beispiel ein Mal am Unterarm oder an der Hand drücken", erklärt Andres. Im Schwimmbecken in Wilmersdorf sind die Herausforderungen begrenzt, ist das Becken zuende, müssen die beiden auftauchen oder wenden.

Sebastian Andres taucht aber auch schon im Freiwasser. "Jetzt im Sommer war ich zum Beispiel mit im See, da haben wir vorher ein Zeichen für 'kalt' vereinbart, weil das Wasser 14 Grad hatte und da wird es dann irgendwann kalt", erklärt er. Welche Zeichen bei dem Tauchgang gelten, klären die beiden vorher in einem Briefing - das macht man so unter Tauchern. "Es ist ein Geben und Nehmen", sagt Sebastian Andres, "vielleicht muss ich etwas mehr nehmen als geben, das muss ich schon eingestehen."

Neue Mitglieder sind erwünscht

Das Gemeinschaftsgefühl ist im Inklusions-Tauchklub tatsächlich Programm. Vor dem Schnuppertauchen müssen mehrere Kisten und Sauerstoff-Flaschen in die Halle gezogen und getragen werden. Es gibt auch Mitglieder, die einfach nur helfen wollen, wo sie können, und nicht jedes Mal ins Wasser gehen. Die Taucher im Becken spielen unter Wasser schon auch Mal eine Runde Jenga. Wahrscheinlich bezeichnet Gerald Scholl das Tauchen auch deshalb als "die Flucht aus dem Alltag und aus der Behinderung."

Beim Schnuppertauchen des Inklusions-Tauchklub kann sich jeder kostenlos anmelden. Der Verein sucht auch immer wieder Tauchlehrer und Taucher, die als Helfer und Tauchbegleiter mit machen wollen. Wichtig ist nur die Bereitschaft, einander zu helfen.

Sendung: rbb UM6, 12.10.2020, 18:15 Uhr

Beitrag von Simon Wenzel

3 Kommentare

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  1. 3.

    Super Idee. Ich bin seit 2,5 Jahren auf Krücken. Schwimmen, Schnorcheln, Paddle Board genieße ich daher um so mehr. Körpergefühl wie ein Delfin im Wasser!

  2. 2.

    Eine großartige Sache, vielen Dank für den ermutigenden Beitrag und vor allem an alle Vereinsmitglieder!

  3. 1.

    Bei allem was man sonst im Moment so liest und geboten bekommt an Nachrichten die unsere Politiker gerade so produzieren ist das einfach mal ein schöner Beitrag über Schritte im Leben die Menschen geschaffen haben um anderen was zu ermöglichen. Tolle Sache !

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