110. Jahrestag der Eröffnung des Sportpalasts - Zwischen Entertainment und Schrecken

Di 17.11.20 | 10:18 Uhr
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Vorderansicht des Sportpalasts (Foto: rbb)
Video: Abendschau | Archiv: 16.11.1972 | Bild: rbb

Am 17. November 1910 wurde der legendäre Sportpalast in Berlin-Schöneberg eröffnet. Nach holprigem Start war die Arena in mehr als sechs Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt der Berliner. Acht Fakten aus einer wechselvollen Geschichte.

1. Am Anfang war die Neunte

...und zwar jene von Beethoven. Dargeboten vom Orchester der Königlichen Oper und dirigiert vom damaligen Preußischen Hofkapellmeister Richard Strauss. In den Reihen der damaligen Hauptstadtpresse fand man die Eröffnung der zunächst "Hohenzollern-Sportpalast" genannten Arena ein wenig vermessen, sprach von einem "bombastischen Zeremoniell" und einer "Geschmacklosigkeit" und fand, dass man nicht von einem "Weihekonzert", sondern von einem "Entweihekonzert" sprechen sollte.

So schlecht wie die anfängliche Presse waren auch die ersten Jahre der neuen Arena. Drei Monate nach der Eröffnung war die Betreiberfirma pleite, es folgte eine Zeit als "Hippodrom Palast" und als "Volkspalast Odeon". Im ersten Weltkrieg diente die Halle schließlich als Waffenlager und Lazarett. So dauerte es bis Anfang der Zwanziger, bis der Sportpalast seinem Namen tatsächlich gerecht und zur beliebten Vergnügungsstätte der Berliner wurde.

Die Eisbahn im Sportpalast (Foto: imago images / Arkivi)
Die Eisbahn im Sportpalast | Bild: imago images / Arkivi

2. Box-Boom und Eishockey-Serienmeister

Vor allem im hedonistischen Berlin wurde trotzig gegen die verheerenden Folgen des ersten Weltkriegs angefeiert. Die zahlreichen Veranstaltungen im Sportpalast kamen diesem Anspruch nach. Boxen hatte es den Berlinern angetan und galt zeitweise als beliebtester Sport in der Stadt. Nicht zuletzt wegen Max Schmeling. Der spätere Weltmeister stand zu Anfang seiner imposanten Karriere häufig im Sportpalast vor bis zu 10.000 Zuschauern im Ring.

Aber auch Eishockey spielte zwischen den Kriegen eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben der Stadt. Kein Wunder, immerhin verfügte der Sportpalast über die seinerzeit mit 2.500 Quadratmetern größte Kunsteisbahn der Welt. Auf dieser war auch der Berliner Schlittschuh-Club mit seinem Star Gustav Jaenecke regelmäßig im Einsatz. Und das mit großem Erfolg, der BSchC gewann 17 seiner 19 Deutschen Meistertitel in seiner Sportpalast-Ära und ist damit noch immer deutscher Eishockey-Rekordmeister.

3. Sehen und gesehen werden: Sechstagerennen

Neben Boxen und Eishockey spielte war natürlich auch das Sechtsagerennen ein Stammgast im Sportpalast. Kein Sechstagerennen wurde so häufig ausgetragen wie das Berliner, das im vergangenen Januar seine bereits 109. Auflage feierte. Nachdem die ersten Auflagen noch in den Ausstellungshallen am Zoo (dort steht heute der Zoopalast) ausgetragen wurden, zog die Veranstaltung 1911 in den Sportpalast, wurde dort zu einer Institution des gesellschaftlichen Lebens in Berlin und zeitweilig sogar zweimal im Jahr veranstaltet. Wer etwas gelten wollte in der Stadt, musste sich auf dem Sechstagerennen sehen lassen. Eine Ahnung von der sportlichen Materie war nicht wirklich vonnöten, ging es doch vor allem ums ausgelassene Beisammensein.

1934 drehten die Radsportler ein vorerst letztes Mal ihre Runden auf dem Holzoval. Weil die Nationalsozialisten neue Wettkampfrichtlinien erließen, in denen zum Beispiel Trikotwerbung verboten und die Gagen vereinheitlicht wurden, verlor das Rennen an Attraktivität und die Zuschauer blieben aus. Erst 1953 ging es für 20 weitere Jahre wieder im Sportpalast auf Punktejagd. Begleitet von einem wohlvertrauten Ohrwurm, denn...

4. Vier Pfiffe für sechs Tage

Wohl nichts steht so sehr für das Sechstagerennen wie der sogenannte Sportpalastwalzer. Dabei war das Geschunkel zunächst gar nicht dem traditionsreichen Radrennen gewidmet. Vielmehr wollte der Komponist Siegfried Translateur Ende des 19. Jahrhunderts der österreichischen Hauptstadt mit dem Walzer "Wiener Praterleben" eine musikalische Ehre erweisen.

Erst 1923 wurde das "Wiener Praterleben" erstmals beim Berliner Sechstagerennen gespielt und fand dort sofort Gefallen. Nicht zuletzt wegen Reinhold "Krücke" Habisch. "Krücke" - so genannt wegen eines Fahrradunfalls, bei dem er ein Bein verlor - war großer Fan des Sechstagerennens und Stammgast auf dem "Heuboden", den billigen Plätzen im Oberrang. Dort kam er auf die Idee der markanten Pfiffe, die schnell zu einem unverwechselbaren Teil der Veranstaltung wurden. Das machte Habisch letztlich zu einem Star, er spielte sich selbst in Filmen über das Sechstagerennen und wurde von Rennen in anderen Städten engagiert, um das Publikum in Stimmung zu bringen.

Wegen Translateurs jüdischer Herkunft verboten die Nazis den Sportpalastwalzer, der Komponist selbst wurde 1944 im KZ Theresienstadt ermordet.

5. Die totale Zerstörung

Natürlich lässt sich die Geschichte des Sportpalasts nicht ohne sein dunkelstes Kapitel erzählen. Am 18. Februar 1943 demonstrierte Joseph Goebbels in der Schöneberger Arena sein demagogisches wie diabolisches Geschick, als er nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad mit seiner historischen Sportpalastrede den "totalen Krieg" ausrief.

Am 30. Januar 1944 - auf den Tag genau elf Jahre nach der Machtübernahme der Nazis - fiel der Sportpalast diesem totalen Krieg zum Opfer und wurde ausgebombt. Nach dem Krieg wurde die Arena schnell in simpler Form wiederaufgebaut und 1951 wiedereröffnet. Zunächst als offenes Eisstadion, später mit einem provisorischen Dach wieder zu einer Halle erweitert.

6. "Blutige Schlacht im Sportpalast"

Als (West-)Berlin in den Fünfzigern im Zuge des sogenannten Wirtschaftswunders florierte, war der Sportpalast wieder mittendrin. Eisrevuen, Kabarett, Sechstagerennen und Konzerte unterhielten die vergnügungssüchtige Stadt. Manchmal ging es aber auch zu weit. So wie beim Konzert des Rock'n'Roll-Stars Bill Haley am 25. Oktober 1958, als Hunderte Jugendliche den Sportpalast stürmten und Kleinholz aus dem Interieur machten.

"Blutige Schlacht im Sportpalast" titelte die "B.Z.", die weiterhin schrieb: "Als Bill Haley sein Konzert nach 40 Minuten beendete, war die Hölle los. Tausende drängten mit Schlagwaffen in den Händen auf die Bühne. Sie schoben die Saalordner vor sich her und versuchten, die Künstler-Garderoben zu stürmen. Mit Wasserfontänen aus zwei Feuerwehrschläuchen mussten Haley und seine Musiker geschützt werden. Mit Gummiknüppeln räumten Bereitschaftspolizisten schließlich den Sportpalast. Zurück blieb ein Trümmerfeld." Haley selbst gab zu Protokoll: "Was hier passierte, ist eine Schande. So etwas habe ich noch nie erlebt."

7. Sackgasse Mauerbau

Spätestens der 13. August 1961 war für den Sportpalast der Anfang vom Ende. Mit dem Mauerbau wurde die Potsdamer Straße zur Sackgasse, und die zahlreichen Besucher aus Ost-Berlin blieben von nun an umständehalber weg. Aber auch andere Entwicklungen machten dem Sportpalast zu schaffen. So verfügten immer mehr Haushalte in West-Berlin über einen Fernseher und holten sich die abendliche Unterhaltung nunmehr nach Hause. Zudem war der Sportpalast bei aller Tradition nicht mehr auf der Höhe der Zeit, modernere Veranstaltungsstätten wie die vom Senat subventionierte Deutschlandhalle liefen ihm den Rang ab. Diese Gemengelage führte zum schleichenden Tod des Sportpalasts.

Diesen konnte auch der findige Geschäftsführer Georg Kraeft nicht aufhalten. Kraeft war bekannt für seine Sparsamkeit. So stellte er die Bestuhlung des Sportpalasts mit einem Sammelsurium von Sitzen zusammen, die er aus der Konkursmasse von Kinos erworben hatte. Kraeft starb 1972, kurz darauf verkaufte der Senat das Sportpalast-Areal an den Immobilienunternehmer Karsten Klingbeil. Im November 1973 begannen die Abrissarbeiten.

8. Vom Sportpalast zum Palasseum

Klingbeil gab der Mauerstadt, was sie am dringlichsten brauchte: Wohnungen. So entstand bis 1977 an der Ecke Potsdamer/Pallasstraße ein Wohnblock für mehr als 2.000 Menschen. Offiziell hieß die Anlage "Wohnen am Kleistpark", umgangssprachlich aber war nur vom "Sozialpalast" die Rede. Ein Spitzname, der eher Stigma denn Ehre für den sozialen Brennpunkt war. Doch mittlerweile hat sich die Situation deutlich verbessert. Der Wohnblock heißt seit 2001 offiziell "Pallaseum" und steht seit 2017 sogar unter Denkmalschutz. Laut der entsprechenden Begründung handele es sich um "kraftvolle Bauten aus der Nachkriegszeit mit einem urbanen Charakter."

Sendung: Inforadio, 17.11.2020, 11:15 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Ja Markus 2, da hast du Recht. Wenn man ein Berliner Kind ist, freut man sich, über Beiträge aus " seiner " Stadt. Man hat ja die Vergangenheit nicht mehr genau vor Augen. Wo sich die Stadt so schnell verändert hat.

  2. 1.

    Immer interessant, etwas über das alte Berlin zu lesen. Kürztlich brachte der rbb in der sehr sehenswerten Reihe "Geheimnisvolle Orte" sehr viel für mich neues über das vergangene Berlin. Gerne mehr davon!

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