LGBT im Profi-Fußball - "Wir brauchen stärkere Diversität"

Mo 09.11.20 | 20:31 Uhr | Von Lukas Scheid
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Symbolbild: Regenbogen-Fahne im Block der Fans (Quelle: dpa/Eibner)
Bild: dpa/Eibner

Die Frage, von welchem Geschlecht man sich angezogen fühlt, bedarf keiner Rechtfertigung. Das sollte selbstverständlich sein. Doch im Sport weht häufig ein anderer Wind. Die Initiative "Gay Players Unite" will das mit Strategien wie einem "Gruppen-Comingout" ändern. Von Lukas Scheid

7,4 Prozent der Deutschen sind einer repräsentativen Studie von 2016 zufolge homo-, bi- oder transsexuell. Das bedeutet, dass es rein statistisch betrachtet auch im Profisport einen ebenso großen Anteil an LGBT-Personen geben dürfte. Der Fußball, als Speerspitze des Profisports in Deutschland, wird da vermutlich keine Ausnahme sein. Und doch gibt es keinen einzigen geouteten aktiven Profi-Fußballer hierzulande.

Noch keine Normalität in Deutschland

Das Comingout von Thomas Hitzlsperger im Jahr 2014 hatte eine Signalwirkung. Als prominenter Ex-Profi stieß der Stuttgarter damals eine Debatte über den gesellschaftlichen und sportlichen Umgang mit dem Thema Homosexualität und Diversität an. Seitdem sei einiges passiert, vieles aber auch nicht, findet Christian Rudolph vom Lesben- und Schwulenverband Berlin Brandenburg (LSVB): "Queere Sportlerinnen und Sportler werden viel zu selten sichtbar gemacht. Wir sprechen zu häufig über die Comingouts, die es nicht gibt." Es fehle die Offenheit, über die Menschen, die sich outen, zu sprechen, sagt Rudolph auch im Hinblick auf die mediale Berichterstattung, die sich oftmals auf den Fußball konzentriere.

Doch der Fußball ist nun einmal die Sportart, die am meisten Aufmerksamkeit erzielt. Deshalb liegt der Fokus der Initiative "Gay Players Unite" auch darin, die über den Fußball erzeugte Aufmerksamkeit zu nutzen, um eine gesellschaftliche Sensibilisierung mit dem Thema im Allgemeinen zu erreichen. Marcus Urban, Sprecher der Initiative, kennt als geouteter Ex-Fußballer die Überwindung, die man braucht, um sich zum Comingout zu entschließen. Seine Geschichte wurde in Ronny Blaschkes Buch "Versteckspieler" erzählt.

Frauenbewegung als Vorbild

Bei "Gay Players Unite" erhofft man sich, dass eine Vielzahl von Spielern in einem Gruppen-Comingout, eine "Welle der Entrüstung für unsere Jugendlichen" entfacht. Das Cover des Magazins Stern vom 6. Juni 1971, auf dem sich zahlreiche prominente Frauen dazu bekannten, Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt zu haben, dient als Vorbild für eine solche PR-Maßnahme. Bis heute ist das Bekenntnis ein Meilenstein der Frauenbewegung, die sich damals gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen wehrte.

Von einem Gruppen-Comingout erhofft sich Marcus Urban einen ähnlichen massenwirksamen Effekt, der zur Normalisierung von Homosexualität unter Fußball-Profis verhelfen soll. "Wenn es mehrere sind, ist es für den Einzelnen einfacher, weil die Aufmerksamkeit sich verteilt", sagt Marcus Urban. Das Gruppen-Comingout sei dabei aber nur ein positives Symptom einer Entwicklung. "Wenn wir es schaffen eine Atmosphäre zu erzeugen, die Vielfalt toleriert, könnten sich die Leute auch zeigen, wie sie sind." Alle homosexuellen Spielerinnen und Spieler könnten dann offen darüber sprechen, ob sie schwul oder lesbisch sind, glaubt Urban.

Mehr Diversität im Bild nach außen erforderlich

Dass diese Atmosphäre im Profi-Fußball derzeit noch nicht herrscht, weiß auch Christian Rudolph vom LSVB. Jedoch befürchtet er, dass die ständigen Diskussionen über mögliche Comingouts, den Druck auf homosexuelle Spieler eher erhöhen könnten. Um den Profi-Fußball diskriminierungsfrei zu machen, bräuchte man allgemein "stärkere Diversität", fordert Rudolph. Unter den Spielern gebe es die schon, glaubt er, "aber, wenn ich mir angucke, wer Trainerin und oder Trainer wird und wer in den Vorständen der Vereine sitzt, da verliert sich die Diversität."

Der Vorschlag von Marcus Urban, Diversität in Lehrgängen für Spieler und in der Trainer- und Schiedsrichterausbildung zu thematisieren, könnte zur weiteren Sensibilisierung beitragen. Denn dass diese im deutschen Profi-Fußball noch längst nicht so weit ausgeprägt ist, wie man sich nach dem Hitzlsperger-Comingout erhofft hatte, ist deutlich erkennbar.

Sendung: rbb UM6, 09.11.2020, 18 Uhr

Beitrag von Lukas Scheid

4 Kommentare

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  1. 4.

    Ich kann mir vorstellen,dass viele mehr Angst vor der Aufmerksamkeit als vor dem Bekenntnis an sich haben.

    "Alle homosexuellen Spielerinnen und Spieler könnten dann offen darüber sprechen, ob sie schwul oder lesbisch sind, glaubt Urban."
    Vielleicht wollen sie auch gar nicht darüber sprechen,weil es schlichtweg egal ist. Es interessiert mich auch nicht,ob einer verheiratet ist oder jeden Tag eine andere hat.

    Bei den Frauen haben sich doch bestimmt schon welche geoutet oder?
    Gerade in dem Alter,in dem die Sportler sind,spielt das doch keine Rolle mehr.

  2. 3.

    Was die Angelegenheit zweifellos schwerer macht, ist die Idealisierung von männlichen Fußballspielern, sehr wohl auch im Sinne eines Körperkults. Danach wird dann das klassische Verhältnis zwischen gut gebautem Mann und beigegebener Frau bedient.

    Das klingt ggf. haarsträubend, doch mir scheint das der Kern der Angelegenheit zu sein, weshalb sich außer Thomas Hitzlsperger eigentlich niemand getraut hat, seine andere Geschlechtlichkeit zumindest zu erwähnen. Offenbarung wäre in der Tat zu viel.

  3. 2.

    Ein heikles Thema und ein Thema, dass jeder mit sich ausmachen sollte.
    Wir haben bereits Coming Outs von ehemaligen Profispielern - wenn auch sehr wenige und bisher kam dahingehend wenig negatives Echo.

    Warum sich niemand dahingehend äußern möchte? Das kann ich nachvollziehen. Ich möchte auch niemandem vor laufender Kamera erzählen, auf was ich im Bett alles abfahre. Das geht auch niemanden etwas an.

    Zu einer pluralistischen, offenen Gesellschaft gehört es auch auszuhalten, wie andere sich entscheiden, auch wenn es nicht das ist, was ich möchte.

  4. 1.

    Wer erlebt wie Eltern von E-Jugend-Spielern und -Spielerinnen am Spielfeldrand für ihre spielenden Kinder mit fliegenden Fäusten "Krieg" führen, verkneift sich den Themensprung. Bevor Diese Eltern nicht sozialisiert sind, bleibt jeder Schwule Fußballer besser ungeoutet.

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