Union-Coach Urs Fischer im Porträt - Der bescheidene Antreiber

Mo 28.12.20 | 08:12 Uhr | Von Stephanie Baczyk
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Urs Fischer lacht nach dem Spiel gegen den 1. FC Köln. Bild: imago-images/Poolfoto
Audio: Inforadio | 27.12.2020 | Stephanie Baczyk | Bild: imago-images/Poolfoto

Unter Trainer Urs Fischer hat der 1. FC Union den Bundesliga-Aufstieg gepackt, im Jahr darauf die Klasse gehalten und in der aktuellen Saison mit starken Auftritten überzeugt. Der Schweizer hat großen Anteil am Erfolg, auch dank seiner Art. Von Stephanie Baczyk

Eines der vielen feinen Liebesbekenntnisse kommt von Oliver Ruhnert. "Ich würde ihn sofort holen, wenn ich bei einem der Vereine wäre, die gute Ideen bräuchten", sagt der Geschäftsführer Profifußball des 1. FC Union in seiner gewohnten Art, etwas nüchtern und einen Hauch verschmitzt. Und mit "ihn" meint er seinen Chef-Coach, Urs Fischer. "Zum Glück ist es so, dass auch Urs jemand ist, der eben nicht auf der Suche ist." Im Gegenteil.

Fischer ist lange angekommen auf dem Berliner Stadtplan unten rechts - und hat, obwohl das Wörtchen "Kult" in Köpenick eigentlich streng verpönt ist, doch so etwas wie Kultstatus bei den Fans erreicht. Mit seinem herrlich relaxten und ruhigen Wesen, seinem Schweizer Akzent und seiner Arbeit. "Weil er es mit seiner unaufgeregten Art geschafft hat, auch aufgeregten Charakteren ihren Freiraum zu lassen, aber sie doch im Zaum zu halten", sagt Bianca Klenke, ein Grinsen im Gesicht.

"Die ruhige Art überträgt sich aufs Team"

Sie steht an diesem knackig kalten Dezember-Tag, als Fischers vorzeitige Vertragsverlängerung vom Verein bekannt gegeben wird, dick eingepackt vor dem Fanhaus der Eisernen - schenkt nur zwei Fußminuten vom Stadion An der Alten Försterei entfernt mit anderen Ehrenamtlichen warme Suppe an Bedürftige aus. Eine Aktion, iniziiert vom Fanverband. Jeden Dienstag, 50 Cent das Schälchen. Es dampft aus der Gulaschkanone, die Schwaden wabern weiß durch die Luft.

Auch Michael Kuhnt hilft hier mit, auf seinem leuchtend roten Schirt überm schwarzen Pulli ist "Eisern statt einsam" zu lesen. "Er hat die Mannschaft sehr gut im Griff", lobt Kuhnt den Köpenicker Coach. "Und ich muss wirklich sagen: Diese ruhige, bescheidene Art, die mag ich total. Und die überträgt sich aufs Team." Tatsächlich fällt immer wieder auf, wie fokussiert Fischer seinen Kader auch durch weniger erfolgreiche Wochen manövriert.

Die Mannschaft steht über allem

Als in der frühen Phase der vergangenen Saison die Siege ausblieben, wiederholten die Profis vor den Journalisten Woche für Woche mantraartig, bloß nicht die Konzentration zu verlieren. Der 1. FC Union fing sich. Auch nach dem Corona-Restart und ersten Eingroove-Schwierigkeiten. Daran hat Fischer seinen Anteil. Der Schweizer mit der Brille und der kurzen grauen Friese hat ein Team geformt, das es schafft, Neuzugänge zackig zu integrieren - und wird nicht müde zu betonen, dass dieses Team über allem steht.

Obwohl sich Neuzugang Max Kruse dank seiner Skills und Kreativität mit fünf Toren und sechs Asissts schnell den Status Top-Scorer im Dress des 1. FC Union erspielt hat, erklärt der Trainer der Eisernen immer wieder geduldig, welchen Anteil in welchen Situationen auf dem Rasen der Rest der Truppe an Kruses Ausbeute hat.

Fischer, die Vaterfigur

Als nach der Leihe von Liverpool-Keeper Loris Karius das Thema Torwart-Tausch immer wieder aufkommt, bleibt Fischer gelassen - und lässt Andreas Luthe, seine erfahrene und solide Nummer eins im Kasten. Betont aber auch, dass sich seine beiden Torhüter im Training anständig und angemessen duellieren. "Man hört's ja von den Spielern, die neu zu uns gestoßen sind", erzählt er einmal in einer Presserunde. "Dass sie hier wirklich sehr gut aufgenommen werden. Und ich glaube, dass ist dann eben auch eine Voraussetzung, um Leistung zu erbringen. Für mich fast der wichtigste Schritt."

Dazu kommt der Fakt Vertrauen. "Er ist ein Trainer, der Dinge wirklich sehr früh erkennt", beschreibt Unions Kapitän Christopher Trimmel die Arbeit mit dem 54-Jährigen. "Sei es am Trainingsplatz oder auch neben dem Platz. Da schätze ich, dass er mich wirklich früh ins Büro holt und immer sehr sehr ehrlich und direkt kommuniziert - und ich glaube, das macht er mit jedem Spieler. Es fühlt sich keiner hintergangen, jeder fühlt sich wohl und weiß, woran er ist." Stürmer-Neuzugang Taiwo Awoniyi, in den letzten Jahren oft vom FC Liverpool verliehen, fühlt sich unter dem Coach so wohl, dass er ihn jüngst sogar mit einer Vaterfigur verglich.

Ordnung muss sein auf dem Feld

Fischer quittierte die Aussage mit einem Lachen, schob noch ein "Ich bin dann mal gespannt, wenn ich schimpfen muss" hinterher. Aber ja, er fördert das Miteinander und fordert die einzelnen Charaktere. Mit Robert Andrich hat er an den Feinheiten im Spiel nach vorne und seinen Abschlussaktivitäten gefeilt. "Thema Timing, Strafraumbesetzung, wann kann ich mit nach vorne gehen - alles Sachen, die Du besprechen kannst", erzählt Unions Mittelfeldspieler, mittlerweile dreifacher Torschütze in der aktuellen Bundesligaspielzeit. In der vergangenen hatte er gerade mal einen Treffer erzielt.

"Urs ist ein Typ, der den Spielern schon klar an die Hand gibt, was er von ihnen erwartet", sagt Andrich. "Er möchte halt immer, dass wir als Mannschaft alles zusammen machen." Stichwort: Ordnung auf dem Feld, eines von Fischers Lieblingsthemen. "Sonst kann die Gefahr entstehen, dass es wild wird", erklärt er. Alles beginnt mit und aus 'ner kompakten Defensive - inklusive Laufen, Kämpfen und gepflegtem eklig sein dem Gegner gegenüber.

Akribischer Arbeiter und Kapitän

Unions Mittelfeldmann Grischa Prömel vergleicht den Coach mit einem "Kapitän. Er gibt die Richtung vor, an ihm wird sich orientiert." Flügelspieler Marius Bülter berichtet vom "akribischen Trainer, der unfassbar viel arbeitet für den Erfolg. Er hilft den Spielern, zeigt uns, was wir besser machen können." Mit Erfolg. In dieser Saison fängt der 1. FC Union Ausfälle und Verletzungen anscheinend mühelos ab, Spieler variieren, besetzen unterschiedliche Positionen. Auch ein Grund für die bislang starken 21 Punkte nach 13 Spielen in der Liga.

Fischer kann's auch laut - gut zu hören während der coronabedingten Geisterspiele im Stadion An der Alten Försterei, in seiner Coaching-Zone. Aber die meiste Zeit bleibt er gelassen. Lässt sich nicht locken, auch nicht von den Journalisten. Auf die Frage eines Kollegen, ob das Europa-Wort in der Kabine verboten sei, antwortete er: "Was ist das für eine Frage? Wissen Sie, was Thema ist? Klassenerhalt."

Fischer, der Angler

Urs Fischer ist mehr der bescheidene Typ. Einer, der in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne angeln oder mit seiner Frau in seiner Heimat, der Schweiz, wandern geht. Bodenständig, entspannt. Oder wie Oliver Ruhnert sagt: "Er ist eben auch keine 30 oder 35 mehr und meint, er muss jetzt noch mal in die große Welt, um irgendwas zu tun. Er ist jemand, der sehr sehr gut zu uns und nach Köpenick passt." Und zum 1. FC Union.

Sendung: rbb Inforadio, 27.12.2020, 8.15 Uhr

Beitrag von Stephanie Baczyk

5 Kommentare

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  1. 4.

    Also Freunde des Berliner (Fussball-) Sports,
    und das sind doch sowohl (fast) alle Herthaner, Unioner und alle Anderen in dieser Sportstadt.
    Jetzt zum Jahreswechsel und in nicht so einfachen Zeiten sollten wir doch das "sportliche Kriegsbeil" endlich mal begraben. Wir müssen lieber mal so langsam GEMEINSAM überlegen, wie es allgemein mit dem dem VEREINSSPORT weiter gehen soll. Dem Profifussball geht es schlecht (...sagen wir mal, es gab bessere Zeiten), aber den kleinen Vereinen geht es richtig mies. Lasst uns doch gemeinsam überlegen, wir das alles mittelfristig in den Griff bekommen. Jeder Verein, ob klein oder groß, lebt in erster Linie von seinen Mitgliedern und Fans. Wir müssen endlich begreifen, dass Geld zwar nicht unwichtig ist, aber zum Leben viel viel mehr gehört....
    In diesem Sinne lasst uns entschlossen und fröhlich ins (hoffentlich bessere) Jahr 2012 gehen...
    Euer Hasi

  2. 3.

    Lieber ChrisSch, ich kann Ihren Einwand bzgl. dieses Artikles nicht nachvollziehen. Denn was braucht man in dieser Zeit mehr als z. B. Hoffnung? Und genau das vermittelt doch dieser positive Bericht. Was Sie als "Normalmaß" bezeichen begegnet uns doch jeden Tag als eher Bangen, denn Hoffen. ;-)

  3. 2.

    Bin Union-Sympathisant. Aber ehrlich, liebe Leute vom RBB. Ihr bringt inzwischen Berichte, die echt niemand mehr braucht. Alles auf Normalmaß würde allen ein bisschen guttun, auch euch.

  4. 1.

    Wieder mal ein sehr schöner Artikel von Ihnen, werte Stephanie Baczyk. Als Fan des 1. FC Union Berlin kann man seit den Verpflichtungen, und natürlich mit den jüngsten Vertragsverlängerungen, von Oliver Ruhnert und Urs Fischer nur happy sein. Die beiden haben jeder auf seine Art bzw. in ihrem Aufgabenbereich bisher Großartiges geleistet. Es dürfte wohl selbst dem optimistischsten Unioner bereits mehrmals ein erstauntes Kopfkratzen bereitet haben, wie gut die beiden bei uns eingeschlagen sind.

    Es wird sicher 'Einbrüche' in der Rückrunde geben, aber bei diesem Staff und der tollen Mannschaft mache ich mir kaum Sorgen um das Saisonziel. :-)

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