Fehlentscheidung in Bundesliga-Spiel? - Warum Unions dritter Treffer eigentlich hätte zählen müssen

Als Christopher Trimmel in der 60. Minute des Spiels gegen Wolfsburg eine direkte Ecke zum 3:1 verwandelte, schien Union auf der Siegerstraße. Doch der Treffer zählte nicht. Zu Unrecht, sagt Trainer Fischer. Auch das Regelwerk ist eindeutig. Eigentlich. Von Ilja Behnisch
Nach dem 2:2 des 1. FC Union Berlin gegen den VfL Wolfsburg in der Fußball-Bundesliga-Partie am Samstag waren nicht wenige Anhänger der Eisernen erstaunt. Darüber, dass die Gäste nach dem Platzverweis ihres Spielmachers Maximilian Arnold (50. Minute) viel besser spielten als zuvor und die Partie fortan dominierten. Auch deshalb bewerteten hinterher beide Lager das Unentschieden als leistungsgerecht. Grund zur Aufregung gab es dennoch. Denn eigentlich war Union in der 60. Minute durch eine direkt verwandelte Ecke von Kapitän Christopher Trimmel mit 3:1 in Führung gegangen.
Doch der Treffer zählte nicht. Schiedsrichter Patrick Ittrich wertete einen Einsatz von Unions Stürmer Taiwo Awoniyi gegen Wolfsburgs Torwart Koen Casteels als regelwidrig. Eine umstrittene Einschätzung, schließlich legte wenn, dann eher Casteels Hand an bei Awoniyi als umgekehrt (siehe Titelbild). Im Versuch, die Entscheidung des Unparteiischen zu erklären, war in der Folge schnell die Rede davon, der Torhüter genieße im Fünfmeter-Raum besonderen Schutz. Im Regelwerk findet sich davon jedoch nichts, wie auch die vom rbb eingeholten Stimmen ausführen.
Urs Fischer (Trainer Union Berlin)
"Taiwo (Awoniyi, Anm. d. Red.) steht da und muss sich nicht in Luft auflösen. Er muss auch nicht seine Position verändern. Für mich ist das eigentlich wirklich ein korrektes Tor, nur es wurde anders entschieden. Das gilt es, zu akzeptieren."
Alex Feuerherdt (Schiedsrichter, Schiedsrichter-Ausbilder und Teil des Schiedsrichter-Podcast-Teams "Collinas Erben")
"Wenn man sich mal überlegt, wie es ausgegangen wäre, wenn da statt des Torwarts ein Feldspieler gestanden hätte, hätten wir glaube ich gesagt: Awoniyi schirmt den Ball eigentlich nur ab und macht gar nichts Verbotenes. Man hätte auf Tor entschieden. Es gibt ja keine Sonderrechte mehr für die Torhüter - auch nicht im eigenen Torraum. Insofern würde ich sagen, dass es in dieser Situation die bessere Entscheidung gewesen wäre, das Tor zu geben.
Wir hatten tatsächlich jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang, in Deutschland die Situation, dass im Grunde genommen jeder geringfügige Körperkontakt gegen den Torwart - vor allem im eigenen Torraum - geahndet wurde. Das gibt es seit Sommer 2012 nicht mehr. Die Torhüter haben jetzt keine Sonderregel mehr im eigenen Torraum und können da genauso korrekt gerempelt werden wie alle anderen auch. Wenn der Ball in Spielnähe ist.
Es heißt in den Regeln nur: Ein Spieler darf den Ball abschirmen, indem er sich zwischen Spieler und Ball stellt, wenn der Ball in spielbarer Distanz ist und der Gegner nicht mit dem Arm oder dem Körper abgedrängt wird. Ich denke, das ist genau das, was Awoniyi hier gemacht hat.
Wir müssen ein bisschen zwischen Regeltheorie und Regelpraxis unterscheiden. In der Theorie hat der Torwart keine Sonderrechte mehr, in der Praxis sieht es vielfach anders aus. Sicherlich teilweise aus Gewohnheit oder weil es die Spieler ein bisschen erwarten und weil es den Schiedsrichtern darum geht, ein bisschen Ärger zu vermeiden. Das ist eigentlich allgemein akzeptiert. Insofern haben wir hier eine Situiation, wo man sagen kann, vielleicht liegt auch ein Sperren mit Körperkontakt vor. Es ist nicht abwegig, darauf zu entscheiden.
Es ist kein klarer Fehler, der den Videoassistenten zum Eingriff zwingt."
VAR was?
Ob ein den Regeln nach zu Unrecht aberkannter Treffer nun eine krasse Fehlentscheidung ist oder nicht, das bleibt auch nach dieser Szene eine offene Frage, die so alt ist wie der Videobeweis selbst. Nur eines ist sicher: die Unsicherheit. Dass Union das Spiel nach einer 3:1-Führung tatsächlich gewonnen hätte, muss hingegen ein Konjunktiv bleiben. Oder um es mit Lothar Matthäus zu sagen: "Hätte, hätte, Fahrradkette." Manche Fußballweisheit behält ihr Recht eben für immer.
Sendung: rbb UM6, 10.01.2020, 18 Uhr