Leon Balogun, gebürtiger Berliner und schottischer Meister - "Es geht um Attacke, Attacke, Attacke"

Do 18.03.21 | 20:39 Uhr
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Der gebürtige Berliner Leon Balogun von den Glasgow Rangers (imago images/Kirk O Rourke)
Bild: imago images/Kirk O Rourke

In der Bundesliga ist der gebürtige Berliner Leon Balogun vor allem aus seiner Zeit in Mainz bekannt. Für Nigeria spielte er bei der WM 2018. Jetzt wurde er Meister mit den Glasgow Rangers. Dabei sprach in seiner Jugend wenig dafür, dass er überhaupt Profi wird.

rbb|24: Leon Balogun, herzlichen Glückwunsch zur schottischen Meisterschaft mit den Glasgow Rangers, die im zarten Alten von 32 Jahren auch die erste Meisterschaft Ihrer Karriere ist. Haben Sie direkt realisiert, welche Tragweite das hat?

Leon Balogun: Du feierst und Du grölst und liegst Dir im Arm mit sonst wem. Aber zu verstehen, was Du da erreicht hast, das dauert tatsächlich. Und ich glaube, bei mir hat es wirklich noch nicht ganz gedämmert. Weil es aber auch Schlag auf Schlag weiterging und wir ja auch die Trophäe noch nicht haben. Ich glaube das wird der Moment sein. Da werde ich dann in der Kabine sitzen wie Michael Jordan: mit der Trophäe, Cappie und Zigarre im Mund.

Es ist die erste Rangers-Meisterschaft seit zehn Jahren, eine, die weit vor Saisonende feststand. Zudem hat Ihre Mannschaft in dieser Spielzeit bisher nur ein Spiel verloren. Die Europa League mit Gegnern wie Galatasaray Istanbul und Benfica Lissabon inbegriffen.

Ich glaube einfach, wir haben ein verdammt gutes Trainerteam. Was die Spielvorbereitung, die Matchpläne angeht - das ist auf einem sehr, sehr, sehr hohem Niveau. Dazu die Kaderzusammenstellung. Dabei waren die Rangers abgestiegen, bis in die vierte Liga.

Der Zwangsabstieg 2012, in Folge einer Insolvenz. 2016 kehrte der Klub zurück in die erste Liga.

Bis heute haben wir finanziell viel schlechtere Voraussetzungen als die andere Truppe da (Stadt- und Erzrivale Celtic Glasgow, Anm. d. Red.). Aber einfach ein gutes Scouting. Und am Ende eine ganz klare Philosophie, die sich an zwei Fragen orientiert: Was habe ich für Spielermaterial, wie möchte ich spielen?

Und zwar?

Wir sind sehr aggressiv, wir wollen auf Ballbesitz spielen und den Gegner unter Druck setzen. Es geht um Attacke, Attacke, Attacke. Was sehr intensiv ist, aber in der Regel viel Spaß macht. Und wir sind unangenehm zu bespielen. Dabei geht es auf diesem Niveau auch um die taktische Finesse. In der Europa League zum Beispiel. Da sind in der Regel 22 sehr, sehr gute Spieler auf dem Platz. Da geht es um Feinheiten. Und da würde ich sagen, ist es größtenteils doch der Verdienst von den Trainern, die einfach ihre Hausaufgaben sehr, sehr gut machen in der Analyse.

Cheftrainer ist Steven Gerrard, als Spieler eine Legende des FC Liverpool.

Ich habe ihn zum ersten Mal auf dem iPad gesehen, bei einem Zoom-Call, zusammen mit dem Sportdirektor. Ich habe im ersten Moment gesagt: "Bevor wir über irgendwas reden, muss ich mich kurz als Fanboy outen! Das ist Wahnsinn! Steven Gerrard auf meinem iPad!"

Sie waren nervös.

Wenn man weiß, ein Trainer möchte Dich unbedingt, dann ist man immer ein bisschen angespannt vor dem ersten Gespräch. Aber das war dann natürlich extra spektakulär. Und umso angenehmer zu sehen, wie er drauf ist: super nahbar, sehr klar.

Als Spieler ein absoluter Weltstar.

Er ist unfassbar bodenständig. Teilweise kommt er rüber wie einer von uns. Trotzdem hat hat er natürlich eine Riesen-Autorität. Er hat einen guten Humor. Und er weiß, wie er mit den Spielern umgehen muss, wann ein Spieler welche Art der Behandlung braucht. Das macht er wirklich unfassbar gut. On top ist da dieses Sieger-Gen, diese Gewinnermentalität, die hat er nach wie vor in sich.

Woran merkt man das?

Er nimmt am Training teil, als Anspielstation zum Beispiel. Und dann siehst Du es direkt in seinem Gesicht, da wird der Schalter umgelegt: Jetzt wird gewonnen! Jetzt wird hier performt. Und das ist dann auch fußballerisch immer noch ein sehr, sehr hohes Niveau.

Immer gut für einen Spieler: Wenn er seinen Trainer auch versteht. Bei Steven Gerrards Englisch kommt man ja noch ganz gut hinterher. Für den schottischen Akzent gilt das nicht unbedingt, oder?

Der ist gewöhnungsbedürftig. Unser Zeugwart kann mit sehr starkem Akzent sprechen. Da mache ich dann schon manchmal: "Hmm, hmm, hmm." Manchmal erwischt er mich und sagt: "Du hast keine Ahnung, was ich gerade gesagt habe, oder?" Dann muss ich zugeben: "Ja, richtig."

Dafür verstehen Sie die internationale Sprache des Fußballs. Bei der es immer heißt, der englische sei schneller und härter als der in der Bundesliga. Charakterisieren Sie doch mal den schottischen Fußball.

Nicht schneller. Sehr viel härter.

Sie lachen. Klingt nach einer Klopper-Liga.

Die Liga ist nicht so schlecht wie ihr Ruf. Aber was die Physis angeht, ist das nochmal deutlich schärfer als die Premier League. Ich habe hier schon das ein oder andere Tackle gesehen, bei dem in Deutschland alle die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen würden: dunkelrot! Hier zeigt der Schiedsrichter dann Vorteil an oder ermahnt nur.

Dafür lieben die Leute den Fußball nicht nur, sie leben ihn.

100 Prozent. Ich habe eine Story gehört vor meiner Ankunft, ob sie stimmt, weiß ich nicht, aber sie passt auf jeden Fall. Es soll einen Subway (eine Filiale der Fast-Food-Kette, Anm. d. Red.) gegeben haben, der sehr geringe Besucherzahlen hatte, weil er in einer Gegend lag, in der es viele Rangers-Fans gab - und die mochten das Grün (die Farbe der Celtics, Anm. d. Red.) nicht.

Sie sind in Berlin geboren, haben die Stadt aber 2008 verlassen, um zu Hannover 96 zu wechseln und von dort die weite Fußballwelt zu erobern. Kommen Sie denn noch manchmal auf Heimatbesuch?

Normalerweise ja, wenn das ganze Corona-Schlamassel nicht wäre. Ich war jetzt seit fast 15 Monaten nicht mehr zu Hause bei meiner Familie. Das tut schon sehr weh. Klar gibt es Menschen, die unter den Umständen ganz anders leiden. Aber für mich persönlich ist das unfassbar schwierig. Meine kleine Nichte - keine Ahnung, wie viele Zentimeter die wieder gewachsen ist. Ich bin ein Heimscheißer. Dass ich meine Jungs, meine Familie sehe, meine alten Ecken abklappere, das fehlt mir brutal.

Welche Ecken?

Ich bin in Moabit aufgewachsen. Wir sind dann weggezogen, als ich neun war, nach Wilmersdorf. Ludwigkirchplatz, mein Kiez.

Waren Sie ein Bolzplatzkind?

Bis ich im Verein war. Emdener Spielplatz in Moabit. Da hat man mich früher oft getroffen. Nachdem wir umgezogen sind, war es die Johann-Peter-Hebel-Grundschule in der Emser Straße. Da gab es einen geilen Platz. Mit Käfig und Kunstrasen. Da habe ich viel gezockt. Hinten dran war noch ein Streetball-Platz, die habe ich beide unsicher gemacht.

Sie spielten auch in der Hertha-Jugend.

In meinem ersten D-Jugendjahr, in der zweiten Mannschaft. In der ersten waren damals Chinedu Ede, mit dem habe ich noch Kontakt. Patrick Ebert war da, Kevin-Prince Boateng. Mit Ebi (Patrick Ebert, Anm. d. Red.) habe ich lose über Instagram Kontakt. Mit Kevin bin ich relativ gut befreundet, mit dem quatsche ich alle paar Wochen mal.

Obwohl Sie damals recht schnell zu Hertha 03 Zehlendorf wechselten.

Ich war einfach zu schlecht. Das kann ich heute offen und ehrlich zugestehen. Das hat damals wehgetan. Ich habe geheult wie ein Schlosshund. Aber im Vergleich zu den anderen Jungs, die bei Hertha BSC gespielt haben, hatte ich einige technische Defizite. Ich war damals Stürmer und meine Ballannahme, mein erster Kontakt, war fast wie ein Torschuss.

Sie haben auch "erst" mit acht, neun Jahren angefangen, im Verein zu spielen, beim SC Union 06.

Ich durfte lange Zeit nicht, weil meine Eltern immer Angst hatten. Der Verein (der SC Union 06, Anm. d. Red.) lag direkt neben dem Gefängnis, deswegen hatte meine Mutter ein bisschen ein mulmiges Gefühl. Ich habe tatsächlich erstmal nur Basketball spielen dürfen, beim ASV, direkt um die Ecke vom Amtsgericht Tiergarten. Dann gab es einen Vorfall, wo ein paar Jungs in die Kabine kamen und uns abziehen wollten. Da habe ich gesagt: "Siehst Du Mama, hier bin ich auch nicht 100 Prozent sicher. Und die Polizei direkt um die Ecke. Also kann ich auch Fußball spielen."

Steven Gerrard (r.), Trainer der Glasgow Rangers (imago images/Eduard Erben)Steven Gerrard (40), spielte zwischen 1998 und 2015 für den FC Liverpool, gewann unter anderem 2005 die Champions League. Seit 2018 ist der 114-fache englische Nationalspieler Trainer der Glasgow Rangers.

Inzwischen für anständiges Geld und beim schottischen Rekordmeister. Nicht schlecht für einen, der für die D-Jugend von Hertha BSC zu schlecht war.

Auch Hertha Zehlendorf hat mich nur zähneknirschend aufgenommen. Und anfangs habe ich auch nicht viel gespielt. In der C-Jugend dann kam ein neuer Trainer und ich habe es direkt in die erste Mannschaft geschafft. Aber als Verteidiger. Von da an ging die Reise erst richtig los.

Bis in die Nationalmannschaft Nigerias, der Heimat Ihres Vaters. 31 Länderspiele haben Sie inzwischen für die "Super Eagles" absolviert, das Debüt im Alter von 25 Jahren - und als gebürtiger Berliner.

Als der Anruf kam, habe ich sofort gesagt: Möchte ich machen. Weil es für mich auch eine Chance war, richtig mit dem Land zu connecten. Ich war nie in Nigeria, bis ich für die Nationalmannschaft gespielt habe. Und natürlich waren da Gedanken: Werde ich dort akzeptiert, sehen die mich als einen von ihnen? Das hat mich aber angespornt. Ich wollte zeigen: Wenn ich dieses Trikot überstreife, werde ich alles geben, euch, meine Familie und mich selbst stolz zu machen.

Ihr Vater muss vor Stolz geplatzt sein!

Im Gegenteil. Er sagte, als ich ihm vom Anruf erzählt habe: "Ne, ne, du gehst nicht." Er hatte schlechte Erfahrungen gemacht, ihm schien es nicht sicher.

Offensichtlich haben Sie sich dem Wunsch Ihres Vaters widersetzt.

Ich habe immer mein Leben lang die nigerianische Nationalmannschaft bei Fifa (dem Computerspiel, Anm. d. Red.) gewählt und mich als Spieler, mit dunklerer Haut als ich sie tatsächlich habe, selbst erstellt. Das ist die Verbundenheit, die ich gefühlt habe. Jetzt bin ich seit sieben Jahren dabei. Und eine Liebe, wie ich sie von den Menschen dort bekomme, habe ich selten erlebt.

In Glasgow werden Sie allerdings auch geliebt. Tatsächlich haben Sie allerdings nur für dieses Jahr Vertrag. Dabei könnten Sie in der kommenden Saison Champions League spielen und vielleicht sogar irgendwann ein "Old Firm" vor Zuschauern. Das Derby gegen Celtic, eines der berühmtesten Spiele der Welt. Wären Sie nicht schön blöd, das aufzugeben?

Eben. Ich bin mir sicher, die Vertragsverlängerung ist eine Formalität.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Ilja Behnisch.

Sendung: inforadio, 18.03.2021, 22 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Oh, hoffentlich gabs nichts auf die Mappe, Alexander. Das soll ja sehr schnell gehen, wenn Celtic und Rangers Fans aufeinadertreffen . . .

    Schön zu lesen, dass Leon Balogun trotz wohl etwas ungünstiger Voraussetzungen seinen Weg gemacht hat - und ja immer noch macht.

    Der Celtic FC war zur Einweihung der neuen Hauttribüne 2013 in der AF zu Gast, und auch einer ihrer berühmtesten Fans ließ es sich nicht nehmen dem FCU einen Besuch abzustatten.

    https://i.dailymail.co.uk/i/pix/2014/03/25/article-0-1C8E24A200000578-526_634x506.jpg

  2. 1.

    Gratulation von einen ''grünen''
    Es gibt sogar viele Rangers-Fans die vor dem Haus kein Rasen wollen weil er Celtic-Grün ist. Verrückt
    Als Fußballtourist wirst du schon mal in die falsche Gegend geschickt wenn du das ''falsche '' Trikot in Glasgow trägst, ist mir passiert.

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