Kristina Vogel über ihre Biografie - "Ich habe mich nicht verändert, nur dass ich jetzt rolle"

Do 11.03.21 | 08:04 Uhr | Von Jonas Schützeberg
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Kristina Vogel mit ihrer Autobiographie (imago images/Thomas Dietze)
Bild: imago images/Thomas Dietze

Auch nach ihrem schweren Unfall brennt Kristina Vogel für den Radsport. Kürzlich hat sie ihre Biografie veröffentlicht. Es sei gut gewesen, für das Buch "tief in der Seele zu bohren", sagt sie - und zu zeigen, wie sehr sie sich treu geblieben ist. Von Jonas Schützeberg

"Wir müssen ein Grundstück finden, auf das wir den geilsten Bungalow außerhalb von Beverly Hills hinstellen können", liest Kristina Vogel aus ihrer Autobiografie vor. "Ich muss aufpassen: Das Leben im Rollstuhl wird zunehmend normal. Wir werden wir, der Rollstuhl und ich." Der Epilog ist ihr Lieblingsabschnitt. Lachen und weinen, so beschreibt Kristina Vogel ihr Buch. 271 Seiten: vom Radsport-Olymp, ihrem schweren Unfall und dem "Danach".

Außer einer kleinen Rampe im Eingang und einem Lift im Flur, deutet im Haus wenig auf ihre neue Situation hin. "Ich möchte nicht, dass der Rollstuhl mich bestimmt, sondern ich den Rollstuhl", sagt Vogel im Gespräch mit dem rbb. "Es ist immer noch mein wunderschönes Leben, das ich genieße. Der einzige Unterschied ist, wenn wir zusammen essen gehen, steht ihr auf und ich bleibe eben sitzen." Mit ihren Armen drückt sich die Bahnrad-Olympiasiegerin aus dem Rollstuhl und öffnet die Schranktür über sich. Zwei schnelle Knopfdrücke und schon läuft der Cappuccino in die Tasse.

Wie eine Therapie in acht Monaten

Sie sei immer noch der gleiche Mensch, betont Vogel, auch wenn manche glauben würden, dass sie sich vor den Kameras verstelle. "Ich bin immer noch die Person, die eine Faszination für pinke, glitzernde Sachen hat, die manchmal zu laut und zu ehrlich ist. Ich habe mich nicht verändert, nur dass ich jetzt rolle und nicht gehe", erklärt die 30-Jährige den Titel ihrer Biografie: "Immer noch ich. Nur Anders. Mein Leben für den Radsport."

Den Text hat Ghostwriter Matthias Teiting geschrieben, der bis dahin keine Ahnung vom Radsport hatte. Acht Monate lang haben sich die beiden immer wieder getroffen, so wie in einer Art Therapiestunde, beschreibt es Kristina Vogel: "Das war wirklich anstrengend, aber auch sehr schön. So tief in deiner Seele zu bohren, dass es ein Fremder auch versteht, war schon intensiv. Das Tolle ist, jeder der das Buch liest, denkt, ich würde da sprechen. Dafür danke ich Matthias."

In eine Vorbildrolle hineingewachsen

Der 26. Juni 2018 hat Vogels Leben verändert. Bei einem Trainingsunfall mit einem holländischen Fahrer, auf der Radrennbahn in Cottbus, verletzte sie sich schwer. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Sie ist auf niemanden sauer, trauert nichts nach: "Ich habe innerlich aufgeräumt und bin glücklich, dass ich noch lebe. Bei der Geschwindigkeit hätte es damals viel schlimmer für mich ausgehen können", beschreibt es die elfmalige Weltmeisterin. Erst vor Kurzem hat sie ihr kaputtes Fahrrad bei der Polizei in Cottbus abgeholt.

Seit dem Unfall taucht sie viel in der Öffentlichkeit auf, ist in eine Art Vorbildrolle hineingewachsen. Lange Zeit gab es eine Informationssperre, keiner wusste so richtig was passiert war, auch die so selbstbewusste Kristina Vogel musste sich mental komplett neu sortieren. "Ich habe immer gesagt, dass man Situationen akzeptieren muss, um weiterzukommen und es wäre ja geheuchelt, wenn ich das überall erzähle, aber nicht selbst machen würde", reflektiert die nach wie vor erfolgreichste Bahnradsprinterin aller Zeiten.

 

Auf der anderen Seite der Radbahn

"Darum war das Schreiben des Buches und sich mit meinem Leben so intensiv zu befassen, schon gut, um innerlich aufzuräumen. Als Leistungssportlerin war alles hektisch. Ich habe mir nie Zeit gelassen, um mal stolz auf mich zu sein. Dieser Prozess jetzt, glaube ich ...", Kristina Vogel zögert, schaut an die Decke und lächelt zufrieden, "... oh Gott, ich sage das wirklich, aber ich glaube: Ich bin nochmal ein ganzes Stück erwachsener geworden."

Mittlerweile arbeitet sie in ihrem neuen Leben als Bundespolizeitrainerin für den Radsportnachwuchs im brandenburgischen Kienbaum, östlich von Berlin. Schon als Aktive war Kristina Vogel in der Sportfördergruppe der Bundespolizei angestellt. Es zieht sie also weiterhin an die Radsportovale in Cottbus oder Frankfurt: "Ich helfe den Athleten. Als ich jung war, musste ich mir alles selbst beibringen. Daher weiß ich, wie es sich anfühlt. Ich leide mit den Athleten mit und es ist schön, dass ich etwas weitergeben kann."

"Da bebt mein Herz nach wie vor"

Die Liebe zum Leistungssport ist also geblieben: "Das geht nicht weg. Mein Herz brennt immer noch, wenn ich eine Radrennbahn sehe und ich das Reifengeräusch auf dem Holz höre, wie die Räder darüber rollen. Da bebt mein Herz nach wie vor." An eine paralympische Karriere denkt die Polizei-Hauptmeisterin allerdings momentan nicht. Denn wenn, gehe das nur mit Herzblut und zu 100 Prozent. Einen Sport, für den sie so brenne wie für den Radsport, habe sie noch nicht entdeckt.

Sportlich aktiv will Kristina Vogel aber bleiben. Nur eben dann, wenn sie auch Lust dazu hat. "Als Ehemalige ist es schön bei minus zwei Grad auch mal sagen zu können: Radfahren - heute ohne mich. Ich mache mit meinem Rehatrainer viele Übungen, die mir im Alltag helfen und wenn das Wetter wieder besser wird, dann fahre ich auch gern draußen mit dem Handbike."

Das Ziel lautet: glücklich sein

An den Wochenenden genießt sie mit ihrem Lebensgefährten die Zeit im selbst gebauten Haus am Erfurter Stadtrand. Gemeinsam zieht es die beiden in die Felder rund um ihre kleine Siedlung, stressfrei und entschleunigt.

Die einstige Weltklasse-Athletin lässt sich gern mal ein wenig treiben: "Es kommt eh anders. Ich will gedanklich etwas schwimmen und das große Ziel heißt einfach nur glücklich sein!" Sie will nicht mehr alles planen, so wie früher als Leistungssportlerin: Kristina Vogel ist immer noch sie, nur eben anders.

Sendung: rbb24, 10.03.2021, 22 Uhr

Beitrag von Jonas Schützeberg

4 Kommentare

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  1. 4.

    Das ist es beeindruckend!

  2. 3.

    Eigentlich weiss ich garnicht, was ich jetzt schreiben soll. Ich bin so beeindruckt von dieser jungen Frau. Da sind meine Wehwehchen und Problemchen so popelig dagegen.
    Möge ihr ihr Spaß am Leben und ihr Optimismus erhalten bleiben - alles Gute weiterhin.

  3. 2.

    Was für ein bemerkenswerter Mensch!

  4. 1.

    Wow! Großartig!

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