Herthas neuer Geschäftsführer Fredi Bobic - Zu erwarten ist die große Kernsanierung
In Frankfurt schlugen Fredi Bobic Skepsis und Ablehnung entgegen. Doch Bobic zog den trägen Traditionsklub einmal auf links und machte die Eintracht erfolgreich. Ähnliches erhofft man sich nun in Berlin von ihm. Mit einer Ausnahme. Von Stephan Reich
Nein, Jubelstürme brachen 2016 in Frankfurt nicht gerade aus, als sich erste Gerüchte um Fredi Bobic als neuem Sportvorstand der Eintracht rankten. Die Hessen hatten gerade eine zähe Relegation gegen den 1. FC Nürnberg mit einem blauen Auge überstanden, Geld war keines da, der Kader unterdurchschnittlich. Von Aufbruch, Ideen oder Perspektive war nach 15 bleiernen Jahren unter Heribert Bruchhagen nichts zu spüren.
Und dann Bobic als neuer starker Mann, der kurz zuvor nach einer Handvoll egaler Saisons beim VfB Stuttgart vom Hof gejagt wurde? "Bobic, bleib fott!", stand in breitestem Hessisch auf einem uninspirierten Banner im Stadion – nicht einmal mehr für Protest schien noch Energie da.
Es war ein langwieriger Prozess, einen Nachfolger von Bruchhagen an die Spitze des Klubs zu holen – zumal in einem Klub wie Frankfurt. Ein mit Tradition wie Erwartung gleichermaßen überladener Verein, der in der Realität aber schon längst den Anschluss verloren hatte. Zu viel Trägheit, zu wenig Innovation, ein schwieriges Umfeld: Eintracht Frankfurt 2016 war all das, was man auch von den anderen großen, strauchelnden Traditionsklubs kennt – hallo, Hertha BSC! –, die sich selbst nach Jahrzehnten des Misserfolgs noch immer als schlafende Riesen sehen.
Konzept Kernsanierung
Entsprechend waren die wenigsten überzeugt, als Bobic im Sommer 2016 seinen Job antrat, den er laut Aufsichtsratsboss Wolfgang Steubing wegen seines "schlüssigen und nachhaltigen Konzeptes" bekommen hatte. "Er ist der richtige Mann am richtigen Platz", insistierte Steubing. Eine Worthülse, dachte man, aber Steubing hatte Recht, als er bei der Vorstellung sagte: "Man sollte nicht aus der Distanz urteilen."
Bobics Konzept war schnell erkennbar, es hieß: Kernsanierung. Und er machte sich von Tag eins daran, dieses Konzept mit Leben zu füllen. "Generell muss hier eine andere Denke rein, da mussten wir einiges anschieben", sagte er in einem seiner ersten Interviews. "Es muss immer Druck auf der Pipeline sein. In allen Bereichen. Nur dann kannst du was erreichen. Ich möchte in jedem Büro merken, dass man mehr will."
Das klang halb nach Drohung, halb nach Motivationsrede, vor allem aber hemdsärmelig. Mit gerade 2,7 Millionen Euro auf dem Konto wickelte Bobic in seiner ersten Transferphase satte 28 Transfers ab, die Eintracht spielte unter Trainer Niko Kovac eine sorgenfreie bis gute Saison und zog gar ins Pokalfinale ein. Parallel zum Tagesgeschäft renovierte Bobic den Klub von innen, stieß Veränderungen auf allen Ebenen an. Als sich Kovac 2017 über schimmlige und zu kleine Kabinen beschwerte, setzte der Klub einen Geschäftsstellen-Neubau auf die Gleise – 2021 wird der Komplex eröffnet.
Klares Transferkonzept
Die chronisch vernachlässigte Jugendabteilung, die Jahr für Jahr ihre besten Spieler nach Mainz, Hoffenheim oder sonst wohin verlor und die besten Kids aus Frankfurt schon gar nicht mehr bekam, wurde mit externen Fachleuten neustrukturiert. Mittlerweile verfolgen die Jugendmannschaften dieselbe Spielidee, die auch die Profis spielen lassen – angeleitet von Experten wie Thomas Broich und Jerome Polenz und verstärkt mit Spielern aus Berlin, Stuttgart oder Spanien.
Gemeinsam mit seinem Vertrauten Ben Manga erweiterte Bobic die Scouting-Abteilung, die zuvor gerade vier Mitarbeiter und den Namen eigentlich nicht verdient hatte. Mittlerweile arbeiten knapp 40 Scouts für die Hessen, die Perlen wie Luka Jovic, Sebastien Haller, Evan N’Dicka und zahlreiche andere entdeckten. "Wir wollen Spieler für fünf, sechs oder sieben Millionen Euro verpflichten, die wir nach einiger Zeit für 30, 35 oder 40 Millionen Euro verkaufen können", sagte Bobic 2017 - und es blieb nicht bei der Ankündigung: Im selben Jahr wurde Jovic für sechs Millionen Euro geholt, später ging er für 65 Millionen Euro zu Real Madrid.
Bobic, der Projektarbeiter
Mit diesem Konzept, der vielleicht ersten wirklichen Transfer-Strategie, die es in Frankfurt überhaupt je gab, gelang es Bobic, den Verein Schritt für Schritt voranzubringen – und bisweilen waren diese Schritte überwältigend groß. So schaffte die Eintracht den Pokalsieg schon 2018 mit einem Kader, der zwei Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre. Als Bobic am 20. Mai 2018 mit dem Pokal in der Hand im Cabrio durch ein glückseliges Frankfurt fuhr, an der Spitze eines epischen Autokorsos, war die Trophäe zu weiten Teilen auch das Verdienst seiner herausragenden Arbeit.
Auch ist ihm anzurechnen, im Erfolg kaum Fehler gemacht zu haben. Die Einnahmen im Europapokal und durch den Verkauf von Jovic und Haller im Folgejahr wirkten wie ein wirtschaftlicher Kickstart für die Hessen – die unter Bobic in fünf Jahren vom mittelosen Fast-Absteiger zu einem prosperierenden Champions-League-Aspiranten wurden.
Der erste Titel seit 30 Jahren, eine Mannschaft voller Top-Stars auf Champions-League-Kurs, zuletzt tauchte der Klub sogar auf der Liste der 20 umsatzstärksten Klubs der Welt auf. Bobic eine goldene Statue vors Frankfurter Waldstadion zu stellen, stand dennoch nie zur Debatte. Denn Bobic fehlte bei aller Sachkompetenz immer das Feingefühl für die Befindlichkeiten in und um einen Klub, dem so viele Menschen so leidenschaftlich verbunden sind. Bobic machte von Beginn an klar, dass er die Eintracht als Projekt sieht und wohl nicht länger als fünf Jahre bleiben wird. Diese Distanz des Projektarbeiters hat er in fünf Jahren kaum mal abgelegt, da passt die Art und Weise seines Abgangs ins Bild.
Mitunter kühl
Spricht man davon, dass Bobic im Verein keinen Stein auf dem anderen gelassen hat, klingt das zwar erst einmal positiv, auf den zweiten Blick betrifft es aber ja konkrete Personalien. So wurden langjährige Vereinsmitarbeiter unter Bobic oft kurzerhand abrasiert oder auf egale Posten wegkomplimentiert, und das mitunter recht kühl. In der Sache war das sogar oft richtig; Traditionsklubs kennen ja das Phänomen, dass verdiente Ehemalige in Positionen gelangen, in denen sie rein fachlich nichts verloren haben. Ein Übermaß an Fingerspitzengefühl wird Bobic in Frankfurt aber auch niemand nachsagen.
Offen zutage trat Bobics Mir-egal-Attitüde, als er Andreas Möller zum Leiter des Nachwuchsleistungszentrums machte – entgegen weiter Teile der Fan-Szene, für die der Weltmeister seit Spielertagen ein rotes Tuch ist. Denen feuerte Bobic via Presse ein "Wer gegen Möller ist, ist gegen mich" entgegen, diplomatisch geht sicherlich anders. Man kann davon ausgehen, dass es in einem Umfeld wie bei der Hertha, das jenem der Eintracht ja nicht unähnlich ist, ebenfalls nicht lange dauert, bis Bobic das erste Mal die Ellbogen ausfährt. Zumal es mit beispielsweise Jens Lehmann ja durchaus geeignete Sparringspartner gibt. Und auch ein Pal Dardai kann sich noch so rührend auf die gemeinsame Spielerzeit berufen ("Ich bin, seit wir zusammengespielt haben, ein Fredi-Fan"). Wenn Bobic von einem anderen Weg überzeugt ist, wird Dardai das eher heute als morgen erfahren.
Das ist, Stichwort schlafender Riese, exakt das, was Eintracht Frankfurt gebraucht hat, und es ist das, was Hertha BSC gebrauchen könnte. Ein externer Fachmann, der den Mangel an Strukturen in einem schwerfälligen Verein erkennt und ohne Rücksicht auf Geklüngel, Filz und Seilschaften den Klub neu ausrichtet und modernisiert. Sonderlich viel Herzwärme geht von diesem Prozess nicht aus, worauf man sich in Berlin vielleicht einstellen sollte. Wobei auch hier spannend zu sehen sein wird, ob Bobic, der in Frankfurt nie ein Wappenküsser war, bei seinem Ex-Verein Hertha vielleicht ein wenig mehr menschelt als in Hessen. Zu erwarten ist das indes nicht, es wird wohl wieder die große Kernsanierung. Aber wenn die klappt, wird sich in Berlin, wie in Frankfurt, niemand beschweren.
Sendung: rbb24, 15.04.2021, 22 Uhr