Teamcheck | Hertha BSC - Endlich in Ruhe arbeiten
Kaum war Pal Dardai mal anderthalb Jahre nicht Trainer von Hertha BSC, rutschte der Klub in Planlosigkeit und Abstiegskampf. Nach seiner Rückkehr hat er Hertha wieder einmal gerettet - und will nun in Ruhe etwas aufbauen. Von Dennis Wiese
So lief die vergangene Saison
Nach dem vorletzten Spieltag konnte Hertha-Trainer Pal Dardai genüsslich und sichtlich erleichtert seine Zigarren paffen. Der Verein hatte Dardai ein kleines Köfferchen feiner Cohibas geschenkt - weil der Ungar mit Hertha den Klassenerhalt geschafft hatte.
Das war in der turbulenten Saison 2020/21 keine Selbstverständlichkeit. Hertha war mit Bruno Labbadia auf der Trainerbank ins Rennen gegangen. Seine Aufgabe: eine falsch zusammengestellte, junge, internationale Truppe zu einer Mannschaft machen. Labbadia scheiterte daran. Weil Neuzugänge wie Lucas Tousart und Deyovaisio Zeefuik, neu in Deutschland, neu in der Bundesliga, ganz einfach Zeit brauchten, um anzukommen. Weil hoch veranlagte Angreifer wie Matheus Cunha und Dodi Lukebakio nicht viel mit taktischen Vorgaben anfangen wollten. Und weil Hertha-Urgesteine wie Niklas Stark, Vladimir Darida oder Peter Pekarik nicht in die Anführer-Rollen schlüpfen konnten.
Hertha schied schon in der ersten Runde des DFB-Pokals in Braunschweig aus, verlor vier der ersten fünf Ligaspiele. Von Beginn an ging es gegen den Abstieg und gegen die Verunsicherung in der Mannschaft. Nach 18 Spielen musste Labbadia gehen. Auch die Ära von Michael Preetz endete - nach fast zwölf Jahren als Manager und 25 Jahren bei Hertha BSC.
Pal Dardai, schon von 2015 bis 2019 Herthas Trainer, kehrte zurück und stabilisierte die Mannschaft im Abstiegskampf. In der Schlussphase blieben die Berliner acht Spiele nacheinander ungeschlagen, was Hertha den vorzeitigen Klassenerhalt und Pal Dardai ein Köfferchen schöner Zigarren bescherte.
Wer kommt, wer geht
Der bislang spektakulärste Neuzugang ist der Manager: Fredi Bobic, der Eintracht Frankfurt in den vergangenen Jahren vom Beinahe-Absteiger zum DFB-Pokalsieger und Europapokalhalbfinalisten machte. Seine Transfers brachten Frankfurt neben sportlichem Höhenflug auch viel Geld in die Kasse: Allein die Verkäufe von Luka Jovic und Sebastian Haller bescherten den Hessen rund 100 Millionen Euro.
Erfolg, Geld, Weitblick – all das sind Dinge, die Hertha sich nun auch von Fredi Bobic und seinem großen Team aus Scouts, Analysten und engen Vertrauten erhofft. Sie sollen Hertha eine Strategie, eine Philosophie verpassen.
Ein strategisch wertvoller Transfer könnte der von Kevin-Prince Boateng sein. Ein einstiger Bad Boy aus dem Berliner Wedding, in Herthas Jugend groß geworden und dann ausgezogen in die weite Fußball-Welt: Tottenham Hotspur, AC Mailand, FC Barcelona. Der Prince hat für die ganz Großen gespielt. Nun, mit 34, wolle er seiner Heimat etwas zurückgeben, so Boateng. Als Typ, als gereifter Weltenbummler, der für Berlin und zugleich für das Internationale steht. Das ist ausgezeichnet fürs lange graue Image des Vereins.
"Das Gesamtpaket stimmt einfach", so Manager Fredi Bobic über den ablösefreien Boateng, mit dem er für Frankfurt gemeinsam den DFB-Pokal gewann. Welchen Wert der Mittelfeldspieler sportlich hat, muss sich zeigen. Trainer Dardai weiß, was Boateng am Ball kann, aber auch, wie es um seine Fitness bestellt ist: "Kevins größter Gegner ist sein Körper."
Für Tore soll Stevan Jovetic sorgen. Wieder ein Mann mit Erfahrung und spannender Historie. Der 31-Jährige traf schon für Manchester City und Inter Mailand. Nun wechselte der Montenegriner ablösefrei von der AS Monaco nach Berlin. Kaum bei Hertha angekommen, erzielte er zwei Tore im Testspiel gegen Liverpool.
Mit Suat Serdar hat Hertha sportlich eine echte Verstärkung an Land gezogen. Der zentrale Mittelfeldmann kam für acht Millionen Euro von Absteiger Schalke 04. Übersicht, Drang nach vorne, fußballerische Klasse - der 24-Jährige, der vier Mal für die deutsche Nationalmannschaft auflief, wird Hertha besser machen.
"Dynamik, Vielseitigkeit, Zug zum Tor und Mentalität" erhofft sich Hertha-Manager Bobic vom vierten Neuzugang Marco Richter. Der 23-jährige Außenbahnspieler kommt für rund sieben Millionen Euro vom FC Augsburg. Im Gegenzug wechselt Herthas Eigengewächs Arne Maier, zunächst auf Leihbasis, zum Ligakonkurrenten nach Augsburg.
Zuvor hatten die Blau-Weißen schon neun Spieler abgegeben: Sami Khedira, Weltmeister von 2014, hat seine Karriere beendet. Die Leihverträge von Matteo Guendouzi und Nemanja Radonjic liefen aus. Zur Kategorie: Erwartbare Abgänge gehört der Wechsel von Mathew Leckie (in die australische Heimat) sowie die Leihen von Nachwuchsstürmer Jessic Ngankam (zu Bundesliga-Aufsteiger Greuther Fürth) und Eduard Löwen (zu Bundesliga-Aufsteiger VfL Bochum). Innenverteidiger Omar Alderete zieht es zunächst auf Leihbasis zum FC Valencia.
Durchaus überraschend kamen die Wechsel von Luca Netz und Jhon Cordoba. Der 18-jährige Netz galt als größtes Hertha-Talent der vergangenen Jahre, er geht für vier Millionen Euro Ablöse zu Liga-Konkurrent Mönchengladbach. Der bullige Stürmer Cordoba wechselt für beachtliche 20 Millionen Euro nach Krasnodar in die russische Liga.
Der Trainer
Es kann nur einen geben: Pal Dardai. 2019 musste der heute 45-Jährige als Trainer der Hertha-Profis gehen, nach knapp viereinhalb Jahren. Hertha spielte unter Dardai immer solide, qualifizierte sich 2016 für das internationale Geschäft. Aber vor dem millionenschweren Einstieg von Investor Lars Windhorst war der Geldbeutel klein, große sportliche Sprünge waren nicht möglich.
Der Geschäftsführung wurde der Dardai-Fußball zu bieder. Der frühere Hertha-Profi und Nachwuchstrainer Ante Covic sollte der alten Dame neuen Offensivfußball beibringen. Wenige Monate später steckte Hertha im Abstiegskampf. Covic war gescheitert, mit der Verpflichtung von Jürgen Klinsmann sollte es noch ein paar Nummern spektakulärer werden in Berlin. Doch auch der frühere Weltmeister blieb nicht lange. Erst verpulverte er unzählige Millionen Euro, dann schmiss er via Facebook hin. Alexander Nouri und Bruno Labbadia sollten als Trainer drei und vier innerhalb einer Saison den so entstandenen Scherbenhaufen zusammenkehren - vergeblich. Hertha erlebte nach Dardais Abgang höchst stürmische Zeiten. Erst seine Rückkehr im Januar 2021 brachte wieder Ruhe rein. Ein Grund, warum der neue starke Mann Fredi Bobic seinen ehemaligen Hertha-Mitspieler Pal Dardai auch weiterhin als Trainer sehen will.
Zwölf Wochen nach den Klassenerhalts-Zigarren geht es für Dardai wieder los: "Ich habe ein sehr gutes Gefühl, große Vorfreude. Alles ist in der Vorbereitung so gut gelaufen wie noch nie. Das fühlt sich fast schon komisch an."
Bisher hat Dardai Hertha BSC vier Mal durch die Vorbereitung und dann in die neue Saison geführt. Immer gewann seine Mannschaft das erste Spiel im DFB-Pokal und dann auch das darauffolgende erste Liga-Spiel. Zumindest das DFB-Pokalspiel (1:0 in Meppen) haben Hertha und Dardai auch im fünften Jahr schon einmal gewonnen.
Erwartungen an die Saison
Große Kampfansagen an die Konkurrenz wird es keine geben. Pal Dardai und Fredi Bobic stehen für Bodenhaftung und realistische Ziele.
Für Hertha geht es darum, einzelne Spieler weiterzuentwickeln, eine Mannschaft zu formen. Diese Arbeit hat schon mit Pal Dardais Amtsantritt Ende Januar begonnen: "Die letzte Saison war wie eine Vorbereitung. Am Anfang hatten wir nullkommanull Teamgeist. Da hat man Bauchschmerzen gehabt, in die Kabine reinzugehen. Dann haben wir am Ende acht Spiele nicht verloren. Wir haben den Klassenerhalt gefeiert. Das war sehr gut. Auch jetzt im Sommer hat die Mannschaft sehr gut mitgezogen."
Seit Jahren versucht Hertha, offensiver, ansehnlicher zu spielen. Für die kommende Saison steht das wieder ganz oben auf der To-Do-Liste. Die Spielweise soll mutiger werden. Den Gegner früher unter Druck setzen, ihn stressen und zu Fehlern zwingen - das sind die Erwartungen. Wenn alles gut geht, pafft Dardai am Saisonende wieder genüsslich seine Zigarren.
Sendung: rbb24, 13.08.2021, 16 Uhr