Viktoria-Erfolgstrainer Muzzicato - Als Überflieger auf dem Boden geblieben

Fr 10.09.21 | 18:10 Uhr
Muzzicato
Video: rbb24 | 09.09.2021 | Uri Zahavi | Bild: imago images/Eibner

Für manche Beobachter ist Viktoria Berlin ein Mysterium: Der Aufsteiger mischt die 3. Fußball-Liga auf. Wer mit Trainer Benedetto Muzzicato unterwegs ist, kann den Erfolg besser nachvollziehen. Aus seinen Tugenden macht er kein Geheimnis. Von Shea Westhoff

Die Nachmittagssonne fällt warm in einen noblen Straßenzug in Berlin-Mitte hinein. Dort ist Benedetto Muzzicato zu Fuß unterwegs zu seinem Stammcafé, gemeinsam mit dem Video-Analysten Noah Hach. Muzzicato sieht lässig aus im dunklen T-Shirt und mit der großen Sonnenbrille auf der Nase. Ein Passant auf dem gegenüberliegenden Gehsteig erkennt ihn, grüßt lauthals, der Fußballtrainer des Drittliga-Überfliegers Viktoria Berlin winkt lächelnd zurück.

Wie Muzzicato danach ins Kaffeehaus hineintritt, den Kellner begrüßt und dieser ihm direkt einen Espresso bringt (täglich sind es sechs bis acht), denkt man als Beobachter unweigerlich: Besser geht es nicht.

Es dauerte, bis er seinen Platz fand

Doch Muzzicato sagt ganz offen: "Ich als Typ würde mich nicht damit zufrieden geben, wie es jetzt ist." Es wäre der falsche Weg, wenn er sich nun einreden würde: Ist doch super, das reicht jetzt. "Dass ich irgendwann auch das Ziel habe, in der ersten Liga zu arbeiten, das ist kein Geheimnis."

Es klingt ambitioniert, zielstrebig. Aber nicht haltlos. Mit dem Aufsteiger Viktoria Berlin wirbelt Muzzicato derzeit die dritte Liga auf, aktuell steht der Verein aus Lichterfelde auf dem zweiten Tabellenplatz, einem Aufstiegsplatz.

Dabei hat der offenbar unbeirrbare Muzzicato selber lange gebraucht hat, um seinen Platz zu finden. Die aktive Fußballer-Karriere des gebürtigen Bremerhavener war eine lange Reise mit vielen kurzen Zwischenstopps: Meppen, Langenhagen, Oberneuland.

Abgesehen von kurzen Schlenkern zu Werder Bremen und Hannover 96 hat es für eine Top-Adresse im deutschen Profi-Fußball nicht gereicht. "Es hat nicht an den fußballerischen Fähigkeiten gelegen", sagt Muzzicato ohne falsche Bescheidenheit. Vielmehr an seiner damaligen Haltung zum Spitzenfußball. Das Profi-Dasein habe "nicht viel mit der Liebe zu diesem Sport zu tun", sagt Muzzicato, "sondern einfach nur, dass du unter Druck stehst".

Bei Werder Bremen trainierte er 2003/04 – Werders Double-Saison – mit klangvollen Namen wie Ailton und Micoud. Aber: "Wenn ich kurz vor dem Durchbruch war, habe ich gekniffen."

Freude, Verantwortung, Mut

Einmal habe er den Satz eines Trainers über sich in der Zeitung gelesen: 'Der Junge ist talentiert, aber Einstellung schlägt immer Talent.' Es fiel Muzzicato damals schwer, das zu akzeptieren. Heute glaubt er, der Trainer hatte recht. "Du gewinnst nur, wenn du beides hast: Einstellung und Talent", sagt er.

Er hat dazugelernt. Video-Analyst Noah Hach bezeichnet den Cheftrainer als "zielstrebig", als jemanden, "der sich abhebt von anderen Trainern". Von seinen Spielern fordert Muzzicato Mut. Sie sollen sich zeigen auf dem Platz, sich nicht "alibi-mäßig freilaufen", wie er es nennt, sondern Verantwortung übernehmen für die Mannschaft. "Auf jeder Position, vom Torwart bis zum Stürmer, sollen sich die Spieler fragen: 'Was muss ich tun, damit der Staff, der Trainer glücklich ist?'" Die Spieler müssten nicht jede Woche ein Spektakel abfeuern. "Aber ich möchte, dass darüber geredet wird. Es soll eine Veranstaltung sein, an der man viel Freude hat."

Freude, Verantwortung, Mut. Es sind Attribute, die dabei helfen, das aktuelle Phänomen Viktoria Berlin zu verstehen – ein Verein, der mit einer Mischung aus Tradition und neuem Geld plötzlich auftaucht und den Profi-Fußball aufwirbelt: das wilde 3:3 etwa gegen Verl, bei dem Viktorias Tolcay Cigerci in letzter Sekunde den Ausgleichstreffer erzielte oder das furiose 4:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern.

"Wie gehe ich damit um? Ganz entspannt"

Dem Hype um seine Person und seinen Verein begegnet der 42-jährige Muzzicato gelassen. "Ich weiß, wie schnell das Business ist." Und wie schnell man morgen schon "der Depp von Viktoria" sein könne. "Wie gehe ich damit um? Ganz entspannt. Weil ich weiß, dass es immer weitergeht."

Ein letzter Schluck aus der Espresso-Tasse. Eine Frage noch: Wie verbunden fühlt er sich Italien, dem Land seiner Vorfahren: "Ich hoffe, ich sage nichts Falsches", sagt er und grinst dabei. Als "Voll-Italiener" fühle er sich - jedenfalls "zu 95 Prozent".

"Ich liebe die Kultur, ich liebe die Art und Weise wie man an Dinge rangeht." Vieles sei in Balance. "Sonst würde man in Italien auch nicht so erfolgreich Fußball spielen."

Er verabschiedet sich, setzt seine lässige Brille auf, und macht sich auf dem Weg zum Mannschaftstraing nach Mariendorf. Dahin, wo er aktuell am richtigen Ort ist.

Sendung: rbb24, 10.09.2021, 16:00 Uhr

Nächster Artikel