Nach dem Union-Sieg gegen Hertha - Was das Derby über die Stärken und Schwächen der Hauptstadtklubs verrät

Mit 2:0 hat Union Berlin am Samstagabend das Derby gegen Hertha BSC gewonnen. Der Sieg bestätigt, dass sich die Köpenicker als fußballerische Vorherrscher in der Stadt etabliert haben. Die Gründe für den Erfolg - und was Hertha sich abgucken kann. Von Jakob Lobach
Die Freude ist groß bei Union Berlin an diesem Wochenende. Sie war es um 18:38 Uhr am Samstagabend bei Taiwo Awoniyi, als dieser den 1:0-Führungstreffer gegen Hertha erzielte, sie war es nach Abpfiff bei den euphorischen Fans in der Alten Försterei und sie ist es auch am Tag nach dem Derbysieg noch. Und sie ist es völlig zurecht.
Unions Sieg gegen den großen Rivalen passt ins aktuelle Bild der beiden Klubs, steht fast schon symbolisch dafür. Während die Unioner sich mit gutem und erfolgreichem Fußball auf Tabellenplatz fünf vorgespielt haben, läuft Hertha aktuell Gefahr, auch in dieser Saison wieder in den Abstiegskampf zu rutschen. Aber wo genau liegen die Gründe für den Erfolg von Union? Und wo kann Hertha sich vom ungeliebten Nachbarn sogar etwas abgucken?
1. Wille und Einsatz
Besonders in einem Derby, aber auch allgemein im Fußball ist die Einstellung bekanntermaßen einer der Eckpfeiler des Erfolgs. Bei Union, da besteht nicht erst seit Samstagabend kein Zweifel mehr dran, stimmt die Einstellung aktuell. Gegen Hertha war die Mannschaft von Trainer Urs Fischer von Beginn an physisch wie mental präsent. Oder um es in den Worten von Max Kruse am Mikrofon von Sky zu sagen: "Wir waren von der ersten Minute an hellwach". Seine Mannschaft habe ihr Herz auf dem Platz gelassen, erklärte der Offensivmann.
Die Köpenicker machten defensiv konstant Druck und gingen das ganze Spiel über mit viel Intensität und Überzeugung in die Zweikämpfe mit ihren ungleich passiver wirkenden Herthaner Gegnern. Kurzum: Union spielt aktuell in großer Regelmäßigkeit mit einem Feuer, das beeindruckt. Am Freitag stand das im Kontrast zu einer Hertha-Mannschaft, der Kevin-Prince Boateng nach dem Spiel die richtige Einstellung für ein Stadtderby absprach. Es habe schlicht und ergreifend "Herz gefehlt", so der Routinier, der ergänzte: "Es ist nicht akzeptabel, was wir heute geboten haben." Auch Hertha-Trainer Pal Dardai bemängelte am Sonntagmorgen die fehlende Konsequenz seiner Schützlinge und sprach von zu geringer Aktivität und Zielstrebigkeit, insbesondere im Angriff. "Das war offensiv nicht genug", so Dardai.
2. Spielerische Qualität
Ebenfalls unbestritten ist die Qualität der Spieler ein weiterer Eckpfeiler für fußballerischen Erfolg. In den Reihen von Union ist solche Qualität in dieser Spielzeit zweifelsfrei vorhanden. Sie reicht von Mittelfeld-Motor Niko Gießelmann, der eine starke Saison spielt und gegen Hertha beide Treffer vorbereitete, über den wiedergenesenen Kruse, der Unions Spiel ungemein prägt, bis hin zu Stürmer Taiwo Awoniyi, der am Samstagabend bereits sein achtes Tor in der laufenden Saison erzielte. Zum Vergleich: Hertha hat als gesamtes Team bis dato lediglich zwölf Treffer erzielt.
So musste selbst Hertha-Trainer Pal Dardai am Sonntagmorgen attestieren: "Union, die machen das richtig gut." Man muss dem Ungar recht geben. Die Unioner spielen auch deshalb gut, weil sie effektiv sind. Awoniyi war bei seinem Führungstor nach Fehler von Herthas Marton Dardai eiskalt im Abschluss und Christopher Trimmels Schuss von der Strafraumkante war zwar mit viel Risiko verbunden, hätte aber auch kaum präziser im Tor einschlagen können. Dass Hertha in Halbzeit zwei zwar offensiv bemüht war, aber immer wieder an Unions stabiler Defensive scheiterte, zeugt ebenfalls von deren Qualität.
3. Der Trainer
Einen weiteren Unterschied zwischen Union und Hertha entdeckt man, wenn man den Blick vom Spielfeld an dessen Rand schweifen lässt. Auf der Bank der Köpenicker sitzt in Urs Fischer der viel gelobte Architekt des Köpenicker Erfolgs, dem stets aus allen Richtungen große Kompetenz und taktische Fähigkeiten attestiert werden. Hertha-Trainer Dardai hingegen musste sich zuletzt einige Kritik anhören. Auch am Samstag war es Urs Fischers Taktik, die um Längen besser aufging. Wie schon zuletzt ließen die Unioner ihren Gegner zwar mit Blick auf den Ballbesitz das Spiel machen, waren hierbei allerdings in der Defensive exzellent organisiert und nach Ballgewinnen selbst offensiv stets brandgefährlich.
"Nach dem 0:1 müssen wir nach vorne spielen. Da haben sie natürlich gelauert und gekontert. Das ist die Stärke von Union", lobte Pal Dardai am Sonntag die Mannschaft und den taktischen Plan seines Union-Kollegen Urs Fischer. Seine eigene Taktik wollte Dardai für die Niederlage im Derby nicht verantwortlich machen und sagte: "Ich glaube, unser System, unsere Mannschaft funktioniert." Stattdessen hätte fehlende Konsequenz zu Niederlage geführt. "Der letzte Pass war nicht da. Zum Schluss haben sogar alle Stürmer gespielt und trotzdem haben wir keine Unordnung gebracht", so Dardai. Aber eben auch, weil die Dardai und seine Mannschaft zu keinem Zeitpunkt die richtigen taktischen Mittel gegen gut eingestellte Unioner gefunden haben. "Vom Trainer bis zu uns Spielern ist unser Plan für das Spiel heute sehr gut aufgegangen", freute sich Taiwo Awoniyi so anschließend.
4. Teamgefüge und Spirit
Mannschaftliche Geschlossenheit spielt im Konzept von Union Berlin eine zentrale Rolle. Nicht nur der Verein schreibt sich seit eh und je auf die Fahne, eine große Familie zu sein, auch seine Profimannschaft hat diesen Anspruch. Auch, weil es im Team der Eisernen nur wenige der oft zitierten Ausnahmespieler gibt. Klar, Max Kruse ist ein solcher und auch Taiwo Awoniyi ragt bis dato in dieser Saison heraus. Dennoch bleibt: Union gewinnt seine Spiele für gewöhnlich dank guter und eben geschlossener Teamleistungen, statt durch individuelle Glanzauftritte.
Bei Hertha haben die Verantwortlichen mit Blick auf ihre Mannschaft zuletzt ebenfalls von einer enger zusammenrückenden Einheit gesprochen. Auf dem Platz ließen sich dennoch auch am Samstag wieder deutliche Unterschiede zwischen Union und Hertha erkennen: Während die Spieler der Erstgenannten sich im Laufe des Spiels gegenseitig befeuerten und wie ein gut funktionierendes, weil sich untereinander unterstützendes Kollektiv wirkten, ließ Hertha den richtigen Spirit oft vermissen. Statt gegenseitiger Aufbauarbeit waren nach dem Rückstand wild gestikulierende, anscheinend die Kollegen kritisierende Spieler auf der Bank und die beschriebene suboptimale Körpersprache zu beobachten. "Selbst wenn es nicht läuft, muss man trotzdem eine andere Körpersprache zeigen", betonte Hertha-Trainer Pal Dardai deshalb mit Nachdruck. Es ist nicht der einzige Punkt, in dem sich Herthas Akteure aktuell ein Beispiel an ihren Nachbarn aus Köpenick nehmen könnten.
Sendung: rbb UM6, 21.11.2021, 18 Uhr