E-Sports bei Hertha BSC - Der Traum vom professionellen Zocken
Vor gut drei Jahren gründete Hertha BSC als erster deutscher Fußballklub eine E-Sports-Akademie. Ein Weg, der Schule machen sollte. Bei der Ausbildung geht es aber nicht allein ums Zocken. Eine Bestandsaufnahme. Von Shea Westhoff
Tom Bismark war einer von 2.200 Videospiel-Begeisterten, die sich im Jahr 2018 dem Aufruf des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC anschlossen, an einem Zocker-Casting teilzunehmen. An mehreren Standorten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern organisierte der Klub Gaming-Turniere im Videospiel "Fifa", der wohl bekanntesten Fußball-Simulation weltweit. Die jeweils Bestplatzierten erhielten eine Einladung zu Herthas neuer E-Sports-Akademie.
Herthas Drei-Säulen-System
Der damals 17 Jahre alte Hertha-Fan Bismark nahm in Potsdam und Berlin an zwei Turnieren teil, immerhin ausgestattet mit dem Selbstvertrauen, im Freundeskreis als bester "Fifa"-Spieler zu gelten. Seine Leistungen machten Herthas Spielerbeobachter auf ihn aufmerksam. "Du hast großes Potenzial", habe ein Scout damals gesagt. Und so schaffte er es auf die erste E-Sports-Akademie eines Bundesligaklubs. Bis heute ist Bismark bei den Herthanern einer von aktuell sieben Spielern.
Der Scout damals war Dennis Krüger, heute der Projektleiter von Herthas E-Football-Abteilung. Die Akademie dürfe man nicht verwechseln mit einem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) eines Fußballvereins, betont er am Telefon.
Während im NLZ Jugendliche ausgebildet werden, um im besten Falle eines Tages den Sprung zu den Profis zu schaffen, ist man in der Fußball-Akademie bereits Teil des E-Sports-Profigeschäfts, also im Ligabetrieb der "Virtual Bundesliga" (VBL), in der sich die E-Sports-Abteilungen der Profifußball-Vereine im "Fifa"-Videospiel miteinander messen. Zwei Divisionen gibt es, Hertha steht aktuell auf dem sechsten Platz der Südost-Division – einem Play-off-Platz. Die Ausscheidungsrunde hatte Hertha in der vergangenen Saison zum ersten Mal erreicht.
E-Sports boomt
Auf drei Säulen fuße die Akademie, sagt Krüger: zunächst das reine "Fifa"-Training an Playstation oder X-Box mit den Coaches. Außerdem Schulungen und Förderungen in gesunder Ernährung, damit die E-Sportler fit bleiben und bei den Wettbewerben auf den Punkt die Leistungen abrufen können. Die dritte Säule lässt sich wohl mit dem Begriff der Medienkompetenz am besten fassen: "Es geht darum, wie man sich auf den Social-Media-Plattformen verhält oder auch praktisch, wie man ein Youtube-Video schneidet oder Content verbreitet", sagt Krüger.
Er blickt zufrieden auf die ersten Jahre von Herthas E-Sports-Projekt. "Es war damals ein komplett neues Geschäftsmodell", sagt er. Auch im eigenen Fußballverein habe es viele Fragezeichen gegeben. Heute sei der E-Sports aber fester Bestandteil des Klubs. "Wir sind mit Talenten wie Tom weitere Schritte gegangen und es würde uns sehr schwerfallen, wenn wir irgendwann wieder getrennte Wege gehen müssten."
Der Traum von Tom Bismark ist es, am Einzel-Finale der Deutschen Meisterschaft teilnehmen. "Das habe ich das letzte Mal knapp verpasst, ich hoffe, in dieser Saison klappt es." Und ein weiterer Traum: mit Hertha die Top-16 zu erreichen, die für die Play-offs berechtigen.
Der E-Sport ist eine boomende Branche, die Jahr für Jahr größeren Zuwachs erfährt, in der aber auch die Konkurrenz immer größer wird. Für die E-Sportler bedeutet das die Gefahr, aufs Abstellgleis zu geraten.
Jeder Spieler brauche einen Plan B
Der Spiele-Entwickler EA Sports bringt in jedem Jahr ein neues "Fifa"-Videospiel auf den Markt – mit neuem Spielgefühl, neuen Möglichkeiten, Tastenkombinationen. Hobby-Spielern falle das vielleicht weniger auf, sagt Bismark. "Aber für Profis können schon diese Kleinigkeiten das Spiel komplett verändern", erklärt er. Doch er ist sicher: "Wenn man Talent hat, kommt man damit klar."
Der Traum von der E-Sports-Karriere kann schnell aus sein. Es war einer der Gründe, warum er sich entschieden hat, nebenbei noch zu studieren, Grundschul-Lehramt an der Berliner Humboldt-Universität.
Der Verein sei allerdings ebenfalls interessiert daran, dass die Spieler einen "Plan B in der Hinterhand haben", wie Dennis Krüger betont. Deswegen sei er auch stets im Gespräch mit den Eltern der Spielern, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob es auch abseits des Gamings alles läuft.
"Wir geben den jungen Leuten die Möglichkeit, in einem professionellen Umfeld ihr Hobby zum Beruf zu machen", sagt Krüger. "Aber gleichzeitig unterstützen und ermutigen wir ausdrücklich dazu, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Es ist wichtig, daran zu arbeiten, noch andere Möglichkeiten zu haben, wenn es im E-Sport mal nicht mehr funktionieren sollte."
Sendung: Inforadio, 05.12.2021, 11:15 Uhr