Philipp Lahm vor der Euro 2024 - "Wir wollen mehr machen, als nur ein Turnier organisieren"

Fr 03.12.21 | 08:34 Uhr
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Philipp Lahm bei einer Veranstaltung zur EM 2024 (Quelle: picture alliance/dpa/Christian Charisius)
Audio: Inforadio | 01.12.2021 | Dennis Wiese | Bild: picture alliance/dpa/Christian Charisius

Philipp Lahm organisiert als Sportdirektor die EM 2024 in Deutschland. Welche Rolle Berlin in den Planungen spielt, was die Aufgaben eines Turnierdirektors sind und wie der Fußball geerdet werden kann, hat er im Gespräch mit rbb|24 beantwortet.

rbb|24: Herr Lahm, wir sitzen hier in einer Loge des Berliner Olympiastadions. Unten auf dem Rasen haben Sie oft gespielt als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft und beim FC Bayern. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Stadion?

Philipp Lahm: Wenn ich ehrlich bin, denke ich am liebsten an Pokalfinals zurück, weil das immer etwas Besonderes war. Auf der einen Seite die einen Fans, auf der anderen Seite die anderen Fans. Das war immer eine spezielle Atmosphäre. Und natürlich die WM 2006 im eigenen Land, wo wir hier auch zwei Spiele hatten. Vor allem das Viertelfinale gegen Argentinien mit Elfmeterschießen. Also viele schöne Erinnerungen.

Zur Person

Philipp Lahm, 1983 in München geboren, begann beim FT Gern mit dem Fußball und durchlief beim FC Bayern München alle Altersstufen ab der U12. 2003 wurde er für zwei Spielzeiten an den VfB Stuttgart ausgeliehen. Danach kehrte er nach München zurück und gewann zahlreiche Titel. 2013 wurde die Mannschaft Champions-League-Sieger. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde Lahm als Kapitän 2014 Weltmeister. 2017 beendete Lahm seine aktive Karriere. Als Turnierdirektor plant er die Europameisterschaft 2024 in Deutschland.

In Berlin wird über das Olympiastadion als Fußballstadion manchmal auch diskutiert, weil der Verein Hertha BSC, der hier spielt, ganz gerne ein Stadion ohne Laufbahn hätte. Wie sehen Sie das? Wie haben Sie das als Spieler in Erinnerung?

Ich hatte das Glück, dass ich mit dem FC Bayern und der Nationalmannschaft hier spielen durfte. Und dann ist das Stadion in der Regel immer ausverkauft. Deswegen war es für mich immer etwas Besonderes. Und jetzt in letzter Zeit, als Funktionär sozusagen, durfte ich auch von außen immer hierherkommen. Wenn man das Stadion von außen sieht, hat es einfach eine unglaubliche Tradition und Geschichte. Ich finde, wenn das Stadion voll ist, ist es ein sehr, sehr schönes Fußballstadion. Man darf auch andere Sportarten nicht vergessen und da hat so eine Tartanbahn eine absolute Berechtigung.

2006, beim letzen großen Herrenturnier im eigenen Land, fand hier das Finale der Weltmeisterschaft statt. Sind die Hauptstadt und das Olympiastadion auch ein Ort, der 2024 bei der Europameisterschaft, wo Sie der Turnierdirektor sind, der in ihren Planungen eine große Rolle spielt?

Definitiv. Nicht nur in Sachen Finale, sondern allgemein, weil es die Hauptstadt ist. Es leben unendlich viele Menschen in dieser Stadt. Aber die Entscheidung wird erst nächstes Jahr fallen. Bis zur Jahresmitte wird feststehen, wo welches Spiel stattfindet.

Wie wird man denn Turnierdirektor einer solchen Europameisterschaft? Haben Sie sich da mit einem Lebenslauf beworben, wo dann steht: ‘Philipp Lahm, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft von 2010-2014, Champions League Sieger 2013’ oder kam der DFB auf Sie zu?

Der DFB kam schon in der Bewerbung für die Euro 2024 auf mich zu. Ich bin Ehrenspielführer der Nationalmannschaft geworden und da kam die Frage auf, ob ich mithelfen will, die Euro zu uns zu bringen. Und da ich das 2006 natürlich hautnah miterlebt habe, aber auch 2011 bei der Frauen-WM, was so ein Turnier im eigenen Land auch für uns als Gesellschaft bedeutet, war für mich klar: Da helfe ich gerne.

Phlipp Lahm beim Interview im Olympiastadion
Philipp Lahm und rbb-Sportreporter Simon Wenzel beim Interview in einer Loge des Olympiastadions. | Bild: rbb/Dennis Wiese

Was sind jetzt zweieinhalb Jahre vor dem Turnier Ihre Aufgaben?

In erster Linie ist unsere Aufgabe als Organisatoren zu schauen, ob alles auf dem Stand ist und der Austausch mit verschiedenen Partnern wie zum Beispiel der Stadt. Da geht es etwa um die Stadien. Wir haben in Deutschland den großen Vorteil, dass sie alle stehen. Wir haben nur minimale Anpassungen, die vielleicht zu tätigen sind. Alle Stadien werden auch von Mannschaften genutzt. Es kommen immer Fans hierher.

Wir wollen mehr machen, als nur ein Turnier organisieren. Wir wollen auch neue Standards in neuen Bereichen, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit setzen. Und dann muss man in Austausch mit allen Partnern gehen. Das betrifft natürlich Bund und Länder. Somit ist meine Aufgabe auch mit allen zu kommunizieren und dann einen gemeinsamen Weg zu gehen. Ich denke, da kann man nicht früh genug dran sein.

Die Europameisterschaft 2021 war, wie viele sagen, eine der politischsten in den letzten Jahren. Es gab Kritik gegen Ungarn für ein Gesetz, dass die Informationen über Homo- und Transsexualität beschränkt, Diskussionen über die Corona-Regeln, Anti-Rassismus-Aktionen. Zwischen dem vergangenen Turnier und ihrem Turnier liegt die WM in Katar, die auch sehr umstritten ist. Für was soll Ihr Turnier, die Euro 2024, stehen?

Erstmal zeigt mir diese vergangene Europameisterschaft, dass im Fußball vieles möglich ist. Dass man diskutieren und öffentlich Themen platzieren kann. Und auch verhandeln kann, für was man als Land, Europameisterschaft und auch Kontinent eigentlich stehen will. Wir wollen wieder ein Fest. Unser Slogan ist: ‘United by Football’. In der Mitte Europas wollen wir die Leute herzlich willkommen heißen. Bei uns ist jeder willkommen in Deutschland. Jeder darf mitfeiern. Jeder darf Teil dieser Europameisterschaft sein. Für das wollen wir stehen.

Philipp Lahm im Zweikampf bei einem Spiel U17 des FC Bayern (Quelle: IMAGO/Sportfoto Rudel)
Lahm in der U17 des FC Bayern | Bild: IMAGO/Sportfoto Rudel

Sie haben in ihrer Karriere insgesamt 22 Titel gewonnen. Was war für Sie der größte Moment in ihrer spielerischen Laufbahn?

Boah, das ist schwer zu beantworten, weil viele schöne Momente dabei sind. Wenn man das erste Mal Profi sein und in der Profimannschaft spielen darf. Wenn man das erste Länderspiel hat, ist das etwas ganz Besonderes für sein Land auflaufen zu dürfen. Und dann natürlich die Titel. Es ist natürlich schon etwas Schönes, wenn man Deutscher Meister wird, wenn man dann irgendwann die Champions League gewinnt und dann Weltmeister wird. Es ist etwas ganz Besonderes, sein Land als Kapitän zu vertreten. Und am Ende Weltmeister zu werden ist etwas ganz Spezielles. Es heißt ja nicht umsonst: ‘Weltmeister bleibt man sein Leben lang’.

Die nächste Frage tut vielleicht ein bisschen weh. Was war der bitterste Moment Ihrer Karriere?

Auf der einen Seite sind Verletzungen immer bitter, weil man nicht mehr das machen kann, was man gerne macht. Und ganz klar das Champions-League-Finale 2012 zuhause in München. Das Finale im Elfmeterschießen zu verlieren, war sportlich der bitterste Moment.

Sie sind mit 12 Jahren zum FC Bayern gekommen. Sie haben insgesamt 20 Jahre für den Klub gespielt mit einer kurzen Unterbrechung einer Leihe nach Stuttgart. Es gab doch bestimmt mal einen Moment, wo Sie einem Wechsel nahestanden, oder?

Einmal habe ich mich damit beschäftigt. Ich wurde damals noch als Amateurspieler ausgeliehen zum VfB Stuttgart, war da zwei Jahre und bin da Profi geworden. Dann bin ich wieder zurückgekehrt zum FC Bayern und dann gab es mal so eine kurze Phase, da war der FC Barcelona sehr, sehr stark und da lief es bei Bayern nicht ganz so rund. Da war das Interesse des FC Barcelona auch da. Da habe ich mal kurzzeitig überlegt, aber für mich war immer klar: ich will eigentlich mit dem FC Bayern die Champions League gewinnen. Mit meinem Verein in meiner Heimatstadt und das hätte ich mir nie verzeihen können, wäre ich gewechselt und Bayern wäre dann Champions-League-Sieger geworden. Somit habe ich am Ende dann doch alles richtig gemacht.

Vereinstreue Spieler wie Sie gibt es gar nicht mehr so oft im modernen Profifußball. Beim FC Bayern gelingt es aber relativ häufig, die deutschen Spieler sehr, sehr langfristig dazuhalten. Was macht diesen Klub da aus?

Er ist natürlich erfolgreich. Wenn man das maximal anstreben will, dann ist man in Deutschland beim FC Bayern gut aufgestellt. Ich bin gebürtiger Münchener. Das war meine Heimat. Ich wollte eigentlich nie weggehen. Ich liebe es, wenn meine Familie und meine Freunde um mich herum sind. Und wenn dann ein Verein in der Stadt ist, wo man weiß, man kann mit ihm das Maximale erreichen, dann gibt es nicht so viele Gründe, warum man weggehen sollte. Da war bei mir der Fall. Und ich glaube, da geht es vielen Nationalspielern auch so, die dann kommen und erfolgreich beim FC Bayern spielen.

2017 haben Sie Ihre Karriere beendet. Jetzt sind sie sozusagen Fußballfunktionär. Der Profifußball, auch der DFB, sind in den letzten Jahren immer mal wieder in die Kritik geraten. Es wird vorgeworfen, er entfernt sich von der Basis, von den Fans. Machen Sie sich Sorgen?

Man muss das einfach realistisch sehen. Der Profifußball hat sich in eine Richtung entwickelt, in der Globalisierung und Digitalisierung eine große Rolle spielen. Man kann überall jedes Spiel anschauen, das man will. Viele Leute wollen gerne in den Fußball investieren. Und dadurch hat sich der Profifußball dahin entwickelt, wo er jetzt ist. Wichtig ist, dass man nicht vergisst, woher der Fußball kommt: Von der Basis und vom Amateurfußball. Der ist vor allem für unsere Gesellschaft wichtig, weil etliche Kinder und Jugendliche dadurch ganz leicht Regeln und Respekt untereinander lernen. Das ist enorm wichtig und es wird auch unsere Aufgabe sein, den Spagat zu finden zwischen Amateurbereich und diesem großen Turnier, das bei uns in Deutschland stattfinden wird.

Es gab jetzt in den letzten Wochen, bevor die Infektionszahlen wieder so hochgingen, eine Stadien in Deutschland, die sehr viele Zuschauer hätten reinlassen dürfen, wo aber nicht alle Plätze verkauft wurden. Das war ja immer so ein großer Punkt der Bundesliga im Vergleich zu anderen Topligen in Europa: die vollen Stadien, die aktiven Fanszenen, die gute Stimmung. Befürchten Sie, dass das wegbrechen könnte nach der Pandemie oder ist das nur eine Momentaufnahme?

Ich glaube schon, dass wir einfach ein fußballverrücktes Land sind und wir gerne Fußball anschauen. Ich glaube, es muss immer bezahlbar sein. Da ist in unseren Stadien natürlich der Vorteil, dass es noch Stehplätze gibt, die weniger kosten. Ich glaube, es liegt auch an der Pandemie. Viele sind vorsichtig. Jetzt sind teilweise Hürden da, was verständlich ist, weil Gesundheit das allerwichtigste für jeden Einzelnen ist. Ich glaube schon, dass die Leute wieder mehr Fußball live im Stadion anschauen werden.

Wie könnte man diesen sich anbahnenden Riss zwischen Fans und Vereinen, Ligen und Verbänden denn kitten?

Das wird auch für die Euro unsere Aufgabe sein. Wir wollen auf die Menschen zugehen und sie auch beteiligen. Wir werden eine Gemeinwohlplattform einrichten, wo sich Fans und auch Vereine vernetzen können. Da Initiativen und Projekte ins Leben rufen, aber auch unterstützen. Unsere Gesellschaft, die durch die Pandemie schon sehr gespalten ist, aber auch davor, braucht immer so ein Gemeinschaftserlebnis. Eine Europameisterschaft kann so ein Gemeinschaftserlebnis sein. Aber man muss auf dem Weg dorthin auch etwas tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Simon Wenzel, rbb sport.

Sendung:rbb UM6, 30.11.2021, 18 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Guter Fußballer, zweifelhafter Charakter.

  2. 1.

    Da wo es neu und interessant wird, hört das Gespräch leider auf und es bleiben Phrasen: "neue Standards"; "Nachhaltigkeit"; "einen gemeinsamen Weg zu gehen"? Was soll der Leser damit anfangen?
    Und (politische) Themen platzieren... was soll das? So wie in Russland 2021 Herr Neuer aufgetreten ist? Sportlich ausgeschieden, aber mit Armbinde? Schöner wäre ein Weiterkommen, auch mit Armbinde, gewesen. Damit das nicht "verlogen" wirkt, darf man auf seinen Katar-Auftritt sehr gespannt sein... und was der Sponsor dazu sagt.

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