Analyse | 3:2 im Berliner Derby - Wie Union Hertha aus dem Pokal schießen konnte
Union feiert den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals. Das Pokalderby zeigte, warum die Eisernen aktuell Berlins beste Fußballmannschaft sind. Hertha dagegen: planlos und fehleranfällig. Es geht nun, mal wieder, nur noch um den Klassenerhalt. Von Till Oppermann
Die Nachspielzeit lief schon, da wurde ein Unterschied zwischen Union und Hertha in diesem Pokalderby nochmal besonders deutlich. Herthas Routinier Kevin-Prince Boateng ließ sich immer wieder in die eigene Hälfte fallen, um lange Pässe in die Spitze zu schlagen. Vor ihm hatten schon seine Mittelfeldkollegen Santiago Ascacibar, Vladimir Darida und Lucas Tousart versucht, das Spiel zwischen den Innenverteidigern aufzubauen. Erfolg hatte keiner von ihnen, es wirkte zufällig.
Ganz anders machte es der Union-Neuzugang Dominique Heintz: Auch er passte den Ball aus der eigenen Hälfte weit nach vorne. Gleich zweimal folgte darauf ein Tor – und immer sahen diese Pässe geplant aus.
Union gewinnt verdient
Die Herthaner spielten oft zu hektisch, die Unioner bewahrten stets die Ruhe. Der Eindruck war: Während sich Herthas Plan mehrmals änderte und er den Spielern nie ganz klar erschien, wussten bei Union alle zu jeder Zeit, was ihre Aufgabe ist. Unions 3:2-Sieg sei deshalb verdient, da zeigten sich beide Trainer einig. Während Tayfun Korkuts "Enttäuschung riesig" war, lobte Urs Fischer "Willen und Mentalität" seiner Mannschaft.
Dabei war es doch der BSC-Coach Korkut gewesen, der mit seiner Aussage, Derbys seien dazu da, um sie zu gewinnen, Anfang der Woche seine Bewerbung für den Fußballspruch des Jahres abgegeben hatte. Sein Chef Fredi Bobic hatte es noch eine Spur martialischer parat: Der Fußballmanager verlangte von den spielenden Angestellten, diese müssten "Messer zwischen den Zähnen" haben.
Welches von beiden Teams dieses Derby entschlossener gewinnen wollte, sahen die 3.000 zugelassenen Fans dann gleich in den ersten Minuten: Union profitierte von Herthas Passivität. "Gerade in der Anfangsphase waren wir überhaupt nicht im Spiel", erinnerte sich Korkut. Stimmt. Schon in den ersten 60 Sekunden gelangen den Eisernen drei Torschüsse. Der Trainer der Gastgeber im frostigen Olympiastadion musste bis zur 29. Spielminute warten, bis er nach einem geblockten Versuch des Rechtsverteidigers Lukas Klünter den ersten Abschluss seiner Mannschaft notieren durfte.

Hertha verschläft die Anfangsphase
In der elften Minute schickte der Verteidiger Dominique Heintz Max Kruse mit einem seiner gut getimten Pässe auf die Reise. Kollege Kruse enteilte Klünter und schlug eine außergewöhnlich gute Flanke auf den Stürmer Andreas Voglsammer. Der streckte sich lang und schoss den Ball artistisch ins Tor. Union führte. Spätestens da muss Bobic klar geworden sein, dass Hertha die Messer in der Kabine gelassen hatte.
Klar, man kann Voglsammers Kunstschuss durchaus aus der Perspektive der Köpenicker beschreiben. Der Schütze tat sich hinterher im ARD-Interview schwer, sich an ein schöneres Tor in seiner Laufbahn zu erinnern. Vorbereiter Kruse hob als nicht ganz unbeteiligter Augenzeuge die gekonnte Entstehung hervor: "Ich glaube, wir haben uns gut bewegt, gut hinter die Kette gespielt", berichtete er.
Aber schaut man sich das Abwehrverhalten der Herthaner an, relativiert sich Unions Brillanz etwas. Zuerst hatte Herthas Marco Richter seinem Gegenspieler Heintz vor dessen Pass meterweise Platz gelassen. Dann stand der Verteidiger Klünter drei Meter zu weit vor Kruse - und dieser konnte ihm wegen seines Stellungsfehlers davonlaufen. Der besiegte Mittelfeldspieler Maxi Mittelstädt entschuldigte sich später: "Wir sind alles andere als gut in die Begegnung gekommen, Union hat uns früh unter Druck gesetzt und getroffen", erzählte er ins Mikrofon. Man habe in den ersten 20 Minuten nicht umgesetzt, was man sich vorgenommen hatte.
Der Plan war falsch
Stellt sich die Frage, ob sich Hertha das Richtige vorgenommen hatte. Tayfun Korkut setzte in seinem gewohnten 4-4-2 am Mittwoch auf eine Mittelfeldraute mit Suat Serdar und Lucas Tousart auf den Halbpositionen. Sie sollten das Feld eng halten und sich in den Räumen zwischen Unions Pressinglinien bewegen. Breite ins Spiel brachten nur die Stürmer Ishak Belfodil und Marco Richter, die sich gelegentlich auf den Seiten für Linienpässe anboten. Unions kompakter Zentrale kam das entgegen. Sobald Herthas Verteidiger versuchten, den Ball auf Serdar oder Tousart zu spielen, schnappte die Pressingfalle zu.
Erst in der letzten Viertelstunde der ersten Halbzeit sei man auf das nötige Niveau gekommen, bilanzierte Korkut. Das gelang auch wegen einer Umstellung. Indem sich Ascacibar bei Ballbesitz zwischen den Innenverteidigern postierte und eine Dreierkette bildete, konnten Mittelstädt und Klünter deutlich offensiver spielen. Gerade Klünters Läufe auf der rechten Seite brachten gegen Ende des ersten Durchgangs wenigstens etwas Dynamik ins Spiel. Nun boten sich beispielsweise Serdar konstant Passwege nach außen, die er gerne nutzte.

"Ich habe geschlafen, das tut mir leid"
Diesen Schwung wollte Hertha mitnehmen. Eigentlich. "In der Halbzeit haben wir gesagt, dass die nächsten 15 Minuten sehr wichtig werden", erinnerte sich der Verteidiger Boyata. Tatsächlich hätte Vladimir Darida schon in der 47. Minute den Ausgleich schießen müssen – aber es kam anders. Kurz danach schlug Heintz wieder einen langen Pass auf Kruse, der leitete das 2:0 für Union ein. Dabei gewann er ein Kopfballduell gegen den acht Zentimeter größeren Boyata. Dieser kam hinterher zu dem Schluss: "Ich habe geschlafen, das tut mir leid."
Umso bitterer, wenn man bedenkt, dass nicht nur die Herthaner in diesen Minuten die Konzentration verloren, wie der Union-Trainer Urs Fischer monierte. Das 2:0 kurz nach der Pause habe seiner Mannschaft sicherlich geholfen, "aber das musst du dann länger über die Zeit bringen."
Zwar kann man Hertha BSC mentale Aussetzer und spielerische Schwächen vorwerfen, aber gekämpft hat Korkuts Team, wie der Anschlusstreffer in der 54. Spielminute bewies. Doch auch das erzwungene Eigentor von Rani Khedira genügte nicht, um Hertha auf Augenhöhe mit den Eisernen zu hieven.
Nur eine Minute später vergaß Suat Serdar Robin Knoche nach einem Freistoß aus dem Halbfeld. Unions Innenverteidiger nutzte das, um den alten Zwei-Tore-Abstand wieder herzustellen. "Das dritte Tor darf so nicht fallen", schimpfte Korkut und auch Boyata legte den Finger in die Wunde: Man habe einen dummen Fehler gemacht.
Traum vom Europacup vs. Blick nach unten
Bis zum Schlusspfiff versuchte es Hertha aus allen Lagen, aber das zweite Tor wollte erst mit Ende der Nachspielzeit fallen. Die bessere Fußballmannschaft hat zur Zeit der 1. FC Union – das zeigte das Pokalderby deutlich. So blieb den Gastgebern am Ende nur die Enttäuschung, während die Gäste aus dem Berliner Südosten eine Party feierten, wie Max Kruse verriet. Aber nur bis nach dem Duschen, schließlich stehe am Wochenende ein richtungsweisendes Spiel gegen Gladbach an, beteuerte Kruse.
Die Eisernen befinden sich in der Liga im Kampf um den Europacup. Im DFB-Pokal-Viertelfinale treffen sie nun am 1. oder 2.März auf Freiburg, Hannover, Leipzig, Bochum, Karlsruhe, den HSV oder St. Pauli. Rund ums Olympiastadion hingegen macht sich Resignation breit. Mit dem Finale zuhause wird es wieder mal nichts. "Ich kann den Frust der Fans verstehen“, sagte Herthas Sportdirektor Arne Friedrich.
Sendung: Inforadio, 20.01.2022, 6 Uhr