Berliner Derby-Held Aracic - "Wie vom anderen Stern"

Mo 17.01.22 | 11:06 Uhr | Von Shea Westhoff
Ilija Aracic trifft gegen Hertha BSC
Bild: IMAGO / Camera 4

Im DFB-Pokal wollen Union und Hertha am Mittwoch die Berliner Derby-Historie um ein Kapitel erweitern. Für das bisher brisanteste Hauptstadtduell sorgte Ilija Aracic. Mit TeBe warf er Hertha aus dem Pokal. Ein Jahr später revanchierte sich der Bundesligist - mit Aracic. Von Shea Westhoff

Die Medien machten richtig Wirbel um das Aufeinandertreffen der beiden Charlottenburger Fußballklubs Tennis Borussia Berlin und Hertha BSC, erinnert sich Jens Schleifenbaum. Der langjährige TeBe-Fan denkt gern zurück an den Oktober 1998, als beide Klubs im Achtelfinale des DFB-Pokals gegeneinander antraten. Endlich wieder ein Berliner Derby mit Brisanz, fand Schleifenbaum. Am Ende war es "ein irres Spiel", sagt er, der die Sensation damals im Olympiastadion verfolgte.

Aracic sollte dem Wahnsinnsspiel den Stempel aufdrücken

"Das Prestigeduell um den Fußballthron in der Millionenmetropole." Andere Zeiten waren das, als der Sportreporter Rolf Töpperwien einen TV-Spielbericht mit Beteiligung des heutigen Viertligisten TeBe noch so ankündigen konnte, ohne dass es abwegig klang.

Die ehemals hitzigen Derbys der beiden Berliner Westklubs hatten da allerdings bereits mehrere Jahre zurückgelegen, Hertha war längst die große Nummer in der Hauptstadt. Und war in der laufenden Bundesliga-Spielzeit 1998/99 unter Trainer Jürgen Röber auch noch blendend in die Saison gestartet: rangierte auf dem vierten Tabellenplatz, konnte mit Spielern wie Michael Preetz, Dariusz Wosz und Sixten Veit vom europäischen Wettbewerb träumen.

"Unsere Mannschaft war aber auch top", sagt Schleifenbaum. Tatsächlich hatte der aus der Regionalliga aufgestiegene Klub gerade die Tabellenführung der zweiten Liga erklommen. "Unser damaliger Trainer Hermann Gerland hatte ein Auge für gute Typen."

Eine bunte, internationale Truppe, mit jungen Berlinern mit türkischen Wurzeln, gleich mehreren Kickern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Damals noch nicht selbstverständlich, wie Schleifenbaum sagt. Der charismatische Spielmacher Bruno Akrapovic war sein Lieblingsspieler. "Ein Leader, ein freundlicher dazu." Und der Klub verfügte über eine starke Offensive, insbesondere mit dem treffsichersten Sürmer Ilija Aracic, der dem Wahnsinnsspiel seinen Stempel aufdrücken sollte.

"Tebe spielte wie vom anderen Stern"

Zum Spiel im Olympiastadion war Schleifenbaum mit zwei Freunden gegangen, sie seien ihm zuliebe mitgekommen. Die nur halbvoll besetzte Arena war, wie sich der heute Endfünfzigjährige erinnert, überwiegend neutral gestimmt.

Mit 1:0 brachte Andreas Thom die Hausherren per Kopfball schnell in Führung. Und Hertha blieb am Drücker, das nächste Tor schien eine Frage der Zeit. Dann erkämpfte sich TeBe-Spieler Matthias Hamann im Mittelfeld den Ball, leitete lang weiter in den Lauf von Ilija Aracic, der vorbeischob an Keeper Gabor Kiraly, Ausgleich.

Von da an war es ein anderes Spiel. Tennis Borussia erspielte sich Chance um Chance, der Favorit hatte nichts mehr entgegenzusetzen. Zwei weitere TeBe-Tore folgten. In Töpperwiens TV-Spielbericht ist das entgeisterte Gesicht von Herthas Trainer Jürgen Röber zu sehen, in Großaufnahme. Töpperwien ins Mikrofon zu den TV-Zuschauern: "Was war mit seiner Hertha los? Antwort: gar nix. TeBe spielte auf wie vom anderen Stern."

Und Aracic netzt noch mal: Im Laufduell schüttelt er Herthas Defensivmann Hendrik Herzog ab, bleibt vorm Tor eiskalt – und erhöht auf 4:1. Schleifenbaum erinnert sich, wie die anfangs neutralen Zuschauer plötzlich dem Zweitligisten zujubelten. Er selbst hörte sich nach dem vierten Treffer gemeinsam mit anderen Fans im Chor rufen: "Nur noch sechs!" Das sei "natürlich etwas kess" gewesen, sagt er heute. Aber die Zehn vollzumachen, erschien in dem Moment plötzlich näher, als dass der Bundesligist noch mal rankommt. "Es war total gaga." Letztlich erzielte Hertha einen noch Treffer, konnte die Sensation aber nicht mehr verhindern.

Hertha rekrutiert Aracic

Nach der überwältigen Leistung von Aracic und seinen Teamkollegen frohlockte Töpperwien ins Mikrofon: "Wenn mich nicht alles täuscht, werden die Herthaner in der kommenden Saison die Möglichkeit zur Revanche haben. Wenn nämlich beide Klubs in der ersten Bundesliga spielen."

Die Ironie: Hertha sollte die Chance auf Wiedergutmachung tatsächlich im Jahr darauf erhalten, allerdings nicht in der Bundesliga, sondern erneut im Achtelfinale des DFB-Pokals. Und diesmal unter völlig veränderten Vorzeichen. Hertha war in der Vorsaison zum Spitzenteam gereift, hatte sich für die Champions League qualifiziert – und sich mit Ilija Aracic auch den Helden des Spiels rekrutiert.

"Ich war traurig darüber, dass er gewechselt ist", sagt Schleifenbaum heute. Gleichzeitig konnte er Aracics Schritt in die Bundesliga natürlich nachvollziehen. Trotzdem sagt er heute: Im gesamten Team habe eine andere Stimmung Einzug gehalten, Hermann Gerlands Vertrag war nicht verlängert worden, der schillernde Winnie Schäfer wurde angeheuert, und mit ihm einige größere Spielernamen wie Ansgar Brinkmann und Uwe Rösler. "Ob da so eine Identifikation vorhanden war mit Tennis Borussia, das bezweifle ich."

Möglicherweise ist es Teil einer unbewussten Verdrängungstaktik, dass Fan Schleifenbaum sich an das Pokal-Achtelfinale 1999 nicht mehr wirklich entsinnen kann – obwohl er natürlich auch dieses live im Stadion verfolgt hat. "Zwei zu drei nach Verlängerung ging das aus", sagt er knapp. "Habe ich nicht mehr so in Erinnerung."

Ilija Aracic umso mehr, ausgerechnet TeBes verlorener Sohn erzielte das entscheidende Tor für den Gegner in der Verlängerung.

Aracic: "Man trifft sich immer wieder"

Aracic ist mittlerweile 22 Jahre älter geworden, die Haare ergraut, ein freundliches Lächeln. Der heutige Co-Trainer von Hertha erinnert sich an ein "brisantes Derby" damals zwischen TeBe und Hertha. "Das waren schöne Zeiten." Sicherlich auch, weil er zweimal als Sieger vom Platz gehen durfte.

Im hart umkämpften Spiel wechselte Trainer Röber seinen Ersatzstürmer Aracic in der 74. Minute ein. In der Verlängerung sollte er für die Entscheidung sorgen. "Ich glaube ich habe den Ball mit der Hacke getroffen", sagt er am Rande eines Hertha-Trainings. "Dann kam er direkt wieder zurück." Danach überwand Aracic TeBes Torhüter Andreas Hilfiker. 3:2, Herthas Revanche war geglückt, ausgerechnet durch den ehemaligen Helden des Underdogs. "Das ist im Fußball immer so. Es wiederholt sich immer. Das ist nicht nur bei diesem Derby so gewesen", sagt Aracic. "Man trifft sich immer wieder. Das sind Fußballgesetze."

Am Mittwoch wartet das nächste große Berliner Derby auf Aracic, nun als Co-Trainer. Doch diesmal sind es andere Vorzeichen, Hertha ist nicht mehr der große Favorit, wie damals gegen TeBe, sondern muss im Pokal in dieser Saison gegen eine Berliner Mannschaft antreten, die aktuell um die erneute Europapokalteilnahme kämpft. Union habe es die vergangenen Jahre extrem gut gemacht, sagt Aracic. "Wir müssen uns das erarbeiten, dass wir dann irgendwo wieder diese Schritte nach vorne machen und vor denen stehen."

Den Pokal erachtet er dafür als die perfekte Möglichkeit, wenn es nämlich um "Zusammenhalt" gehe, um den "unbedingten Willen", wie er sagt. Die sportliche Vorherrschaft in der Stadt: "Bei solchen Spielen kann man sich das wieder zurückholen", sagt Aracic. Er weiß es am allerbesten.

Sendung: rbb24, 17.01.2022, 22 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

Nächster Artikel