Betreuer am Sportinternat - Tony Martins neues Leben nach der Karriere am Limit

Do 10.02.22 | 12:56 Uhr | Von Shea Westhoff
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Tony Martin
Vide: Mittagsmagazin | Michael Brandt | 10.02.2022 | Bild: picture alliance / Roth

Tony Martin holte große Titel, galt als einer der besten Zeitfahrer seiner Generation. Zum Ende seiner Karriere zermürbten ihn zahlreiche Stürze, auf der Tour de France brachte ihn eine Zuschauerin mit Pappschild zu Fall. Nun beginnt der Cottbuser ein neues Kapitel.

Benommen und blutüberströmt steht Tony Martin auf wackligen Beinen in einem Straßengraben. Taumelt, lehnt sich an die Böschung, um Halt zu finden. Es ist der 7. Juli 2021, die 11. Etappe der Tour de France, am Mont Ventoux, dem prachtvollen Bergmassiv in der Provence. "Ich habe mal gesteigerte Zweifel, dass der noch mal aufs Rad steigt", sagt der TV-Kommentator. Die Fernsehbilder zeigen nur Martins entsetzte Reaktion auf seinen Unfall, wie er ins Leere blickt [sportschau.de]. Den eigentlichen Sturz haben die Kameras nicht festgehalten.

"Da kamen sofort die Zweifel"

Dieser Unfall war der Moment, in dem der gebürtige Cottbuser den Entschluss fasste: Es reicht, zu gefährlich. Tony Martin, einer der erfolgreichsten Radprofis Deutschlands, wollte Schluss machen mit dem aktiven Sport. "Das hat man auf den Bildern gar nicht so mitbekommen. Da bin ich 1,5 bis 2 Meter in den Straßengraben rein, mit dem Gesicht aufgeschlagen", sagte er später dem Fachportal radsport-news. "Da kamen sofort die ersten Zweifel."

Es war nur der letzte von einer Reihe an Stürzen, deren Anzahl im Lauf seiner Karriere zunahm. In derselben Tour war er bereits durch ein Pappschild einer Zuschauerin zu Fall gebracht worden, wodurch ein Massensturz ausgelöst wurde. Nun wollte der heute 36-Jährige das Schicksal nicht weiter herausfordern.

Was soll danach kommen?

"Man kann schon sagen, dass sich gerade zum Ende meiner Karriere die schweren Stürze gehäuft haben", sagt er in der ARD. "Aber ich konnte meistens sogar weiterfahren. Und wenn es dann doch mal ein Krankenhausbesuch war, bin ich da auch schnell wieder rausgekommen." Dankbar sei er, "dass ich immer einen Schutzengel an meiner Seite hatte, der mich beschützt hat."

Eine knallharte Laufbahn, die er allerdings mit zahlreichen Erfolgen dekorieren konnte: fünf Etappensiege bei der Tour de France beispielsweise, vier Weltmeistertitel im Einzelzeitfahren, die Silbermedaille bei den Olympischen Spiele 2012 in London. Martin gilt als der überragende Zeitfahrer der letzten Jahre.

So eine Erfolgsgeschichte macht es umso schwerer, eine Antwort auf die Frage zu finden: Was soll danach kommen? Im schweizerischen Kreuzlingen am Bodensee, wo er mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt, wartet nun seine neue Herausforderung.

Umringt von jugendlichen Sporttalenten steht die Radsport-Legende neben Sportmatten, Turn- und Kraftsportgeräten. Stellt sich bescheiden vor: "Ich bin Tony, ich entschuldige mich jetzt schon mal, dass ich die Namen von euch noch nicht kenne. Aber das wird sich glaube ich in Zukunft ändern." Im Kreuzlinger Sportinternat will er nach 14 Jahren als Profi nun als Betreuer ein anderes Leben beginnen.

"Ein anderes Lebensgefühl"

"Es war schon immer in meinem Kopf, nach meiner Karriere mit Kindern im Allgemeinen zu arbeiten, gerade auch in der Schule", erklärt er seinen Neustart. Über eine schulische Qualifikation wie ein abgeschlossenes Lehramt-Studium verfüge er zwar nicht. "Aber was ich habe, ist das Verständnis für die Situation, in der sich die Kinder aktuell befinden. Ich war selber in einer Sportschule, ich war selber von zu Hause weg gegangen, drei Stunden weg von zu Hause, nach Erfurt ins Sportinternat." In dieser Phase wolle er die Jugendlichen nun unterstützen.

Fest steht, das neue Umfeld wirkt wie eine Antithese zu den letzten, recht martialischen Unfall-Bildern von Martin, die aus seiner erfolgreichen Karriere hängen bleiben. Für ihn hat sein anderes Leben etwas Befreiendes: "Ich merke natürlich jetzt, da kommt noch mal ein anderes Lebensgefühl hinzu", sagt er.

Für die Pointe seiner aktiven Karriere hatte Martin noch selber gesorgt, der allerletzte Eindruck, der bleiben wird, ist der des Triumphs. In seinem letzten Profirennen gewann der 36-Jährige bei der WM in Belgien die Goldmedaille mit der Mixed-Staffel.

Sendung: Mittagsmagazin, 10.02.2021, 12 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

1 Kommentar

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  1. 1.

    Toni wird uns nicht nur bei der Tour fehlen. Alles Gute für die Zukunft! Vielen Dank für viele spannende Rennen!

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