Interview | Helfer berichtet von Przemyśl - "Als wir vor Ort ankamen, war die ganze Orga für die Katz"

Di 08.03.22 | 19:20 Uhr
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Bahnhof von Przemysl (Bild: Imago/Eastnews)
Bild: Imago/Eastnews

Elias ist mit einem Freund und der Unterstützung von Blau-Weiß Friedrichshain zur polnisch-ukrainischen Grenze gefahren, um zu helfen. Im Interview berichtet er von seinen Eindrücken.

Elias fuhr letzte Woche zum Monatswechsel nach Przemyśl. Inzwischen ist er wieder in Berlin.

rbb|24: Wie ist eure Idee entstanden? Ging die Initiative von dir oder vom Verein aus?

Elias: Ursprünglich war das nicht so groß gedacht. Ich habe einfach in unsere WG-Gruppe reingeschrieben, ob wir nicht an die polnische Grenze fahren sollten, um dort zu helfen. Einer meiner Mitbewohner zeigte dann schnell Interesse. Weil aber keiner von uns ein Auto hat, bin ich auf die Suche gegangen und habe unter anderem unseren Torwart bei Blau-Weiß gefragt. Und der hat uns seinen Bulli geliehen. Der Verein ist dadurch eingestiegen, dass ich einen Spendenaufruf an die Verantwortlichen unserer vier Mannschaften gerichtet hatte, die den entsprechend an die Spieler*innen weiterleiteten. Unser Vizepräsident hat schließlich den Hashtag "BlauWeissfürBlauGelb" auf Instagram initiiert, neben dem Sach- noch einen Geldspendenaufruf dort gepostet und beschlossen, die Fahrt medial etwas zu begleiten. Das hatte einfach den Grund, dass der Verein Haltung zeigen wollte und auch gezeigt hat.

Was ist dir durch den Kopf gegangen, als ihr euch mit dem Bulli der polnisch-ukrainischen Grenze genähert habt? Habt ihr euch einen Plan überlegt?

Es war sehr schnell klar, dass wir nach Przemyśl fahren. Wir haben uns darüber hinaus informiert, wie wir Flüchtende finden und kontaktieren, die wir auf dem Rückweg nach Berlin mitnehmen können, und wie wir die Unterkünfte für sie in Berlin ausfindig machen. Das haben wir vor allem über Telegram-Chats probiert. Wir haben in diesen Chats auch regelmäßig unsere Plätze auf der Rückfahrt angeboten. Aber weil so viele Menschen dauernd Nachrichten in diese Chats geschrieben haben, sind die ziemlich schnell untergegangen. Als wir vor Ort ankamen, war die ganze Orga vorab eigentlich für die Katz. Letztlich haben wir uns dort an die zahlreichen Freiwilligen gewandt, die uns eine Adresse gegeben haben, zu der wir die Sachspenden bringen konnten, und uns samt Namen, Handynummer und unserer Route auf eine Liste geschrieben. Suchende konnten die Liste einsehen und sich bei uns melden.

Wie war die Situation in Przemyśl? Von anderen Gruppen, die zur Grenze gefahren sind, gab es Berichte, dass sie nicht wussten, wohin sie sollen. Wie seid ihr zurechtgekommen?

Als Außensteher, der diese Bahnhofshalle betreten hat, hatte ich den Eindruck, dass da zwar viel Dynamik drin war, aber es durchaus strukturiert war. Wir wussten, an wen wir uns wenden konnten, weil die Helfer*innen gelbe und orange Westen trugen, auf denen meist auch die Sprachen geschrieben standen, die die Person spricht. Trotzdem war ich super froh, dass ich meinen Mitbewohner dabei hatte, der Polnisch spricht. Im Nachgang würde ich auch empfehlen, eine Person mitzunehmen, die eine slawische Sprache spricht, weil es das einfacher macht. Im besten Falle Ukrainisch, Russisch oder Polnisch. Aber das ist keineswegs notwendig, wenn Menschen dort helfen möchten, denke ich. Außerdem können helfende Personen ja auch mit Plakaten in mehreren Sprachen oder Google Übersetzer die potentielle Sprachbarriere überbrücken.

Der Plan war die Güter abzugeben, aber auch Betroffenen bei der Flucht zu helfen. War der Bulli dann auch auf der Rückfahrt voll?

Kurz bevor wir losgefahren sind, war der Stand so, dass wir voll sind. Wir haben zwei Frauen direkt aus Przemyśl mitgenommen und wollten zwei weitere Personen in Krakau einsammeln. Den Kontakt zu den Menschen in Krakau haben wir letztlich doch über eine Telegram-Gruppe geknüpft. Eine Person fragte, ob ein*e Fahrer*in über Krakau fahre. Daraufhin hatten wir sie angeschrieben. Letztlich war die Kommunikation mit den beiden Personen etwas unglücklich. Am Ende sind beide mit dem Flixbus nach Berlin gefahren. Auch die Kommunikation mit den beiden Frauen lief über Umwege. Beide konnten offenbar nur Ukrainisch. Die Kommunikation am Bahnhof ging erst über Freiwillige und schließlich über zwei Bekannte der Frauen, wovon einer Russisch sprach, meine Freundin am Telefon, die Russisch spricht, und eben über Google Übersetzer.

Was war es für ein Gefühl auf der Rückfahrt, als ihr im Grunde genommen stumm fahren musstet, ohne zwischendurch miteinander reden zu können?

Eigentlich war es angenehm, dass nicht gesprochen wurde, nachdem wir den ganzen Tag in irgendeiner Form kommuniziert hatten. Es war überhaupt keine gedrückte Stimmung. Es war aber auch keine supergroße Euphorie. Eher eine gewisse Beruhigung. Mein Mitbewohner und ich hatten zu dem Zeitpunkt endlich den Eindruck, dass wir als Personen mit dem Verein im Rücken ein bisschen unterstützen konnten, nachdem wir uns tagsüber mehrfach gefragt hatten, wie und ob wir richtig und bestmöglich handeln.

Geht dir das, was ihr da erlebt habt, immer noch durch den Kopf?

In gewisser Weise schon. Es ist ein unschönes Bild gewesen, dass da so viele Menschen bei der Kälte teils auf dem Bahnhofshallenboden sitzen und darauf hoffen, dass Freiwillige ihnen helfen, und alles nur, weil sie zuhause nicht vor kriegerischen Handlungen geschützt sind.

Ich habe mich ziemlich schnell gefragt, ob ich nachvollziehen kann, was sie gerade fühlen. Kann ich natürlich nicht. Und ich denke, dass ich das auch gar nicht möchte, weil ich mir das äußerst unangenehm und schrecklich vorstelle. Gleichzeitig schien sich das, was sich medial langsam andeutete und jetzt immer häufiger zu lesen ist, zu bestätigen: Menschen ohne EU- oder Ukrainischen Pass hatten es schwieriger, aus Przemysl wegzukommen. Ich fand es komisch zu sehen, dass die Menschen am Ticketschalter fast – auch wenn ich das nicht sicher sagen kann und nicht rein an äußerlicher Erscheinung festmachen möchte - ausschließlich nicht-europäischer Herkunft zu sein schienen. Sie mussten sich Tickets kaufen, während der größere Teil der Menschen, vermutlich Ukrainer*innen und EU-Bürger*innen, augenscheinlich schneller über die Freiwilligen an Mitfahrgelegenheiten oder Zugtickets kamen, die sie im Vergleich zu nichteuropäischen Personen nicht bezahlen müssen. Aber auch an Unterkünfte kamen sie offenbar schneller. Aber das ist ein Eindruck, belegen kann ich das natürlich nicht.

Der Verein hat außerdem 1.230 € gesammelt. Hättest du mit so einer großen Summe von einem kleinen Verein gerechnet?

Damit habe ich nicht gerechnet. Wir wurden am Sonntag schon von Mitspielern gefragt, ob wir Spritgeld haben möchten. Da haben wir erstmal abgelehnt, weil das unsere Fahrt bereits finanziert war. Nach Gesprächen mit Spielern und Vorstand haben uns aber darauf geeinigt, dass wir den Vereinsmitgliedern, die es zeitlich nicht einrichten konnten, an der Sammelaktion der Sachspenden teilzunehmen, Geld zu überweisen. Der Plan war, vor Ort nachzufragen, was noch gebraucht wird, und es mit dem Geld zu kaufen. Innerhalb von 24 Stunden kamen diese 1.230 € zusammen. Es kamen auch Geld- und Sachspenden von Personen, die nicht zu Blau-Weiß Friedrichshain gehören. Zum Beispiel von Mitgliedern des SC Berliner Amateure oder Familienangehörigen. Letztlich haben wir das Geld allerdings an drei Organisationen gespendet.

Im Endeffekt sind wir auch nur einige wenige unter unfassbar vielen Menschen gewesen, die sich momentan engagieren, um die Vertriebenen aus dem Kriegsgebiet zu unterstützen. Und die Aktion, die mit zwei Leuten anfing, sich auf den Verein ausgeweitet hat und schließlich darüber hinaus gegangen ist, hat gezeigt, wie schnell sich die Menschen mobilisieren lassen und sich solidarisieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 08.03.2022, 18 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Warum müssen die mit dem Auto oder dem Flixbus fahren, wenn sie kostenlos Zug fahren können?

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