Hertha verliert Magath-Debüt in Leverkusen - Eine Niederlage der Kaderplanung

Hertha BSC zeigt gegen Bayer Leverkusen eine ordentliche Leistung, verliert aber aufgrund fehlender offensiver Durchschlagskraft mit 1:2. Der Magath-Effekt ist weiterhin zu erkennen, die Probleme des Kaders aber noch viel mehr. Von Marc Schwitzky
In der 41. Minute kochen die Emotionen bei Hertha BSC hoch. Gerade hat Karim Bellarabi das 2:0 für Bayer Leverkusen erzielt, doch in der Entstehung wollen die Berliner ein Foulspiel von Charles Aranguiz an Marc Oliver Kempf erkannt haben. Kevin-Prince Boateng wütet. Der Leitwolf reklamiert so ausufernd, dass ihm Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck die Gelbe Karte zeigt.
Das Skurrile an dieser Szene: Boateng steht gar nicht auf dem Feld, er kassiert die Verwarnung von der Bank aus. Kempf - der das 0:2 aus Berliner Sicht durch einen unnötigen Ballverlust eingeleitet hat - steht auf dem Feld, zeigt aber einmal mehr eine schwache Leistung. Es sind diese beiden Personalien, die die Blicke nach Herthas Niederlage in Leverkusen nicht auf das Trainerteam, sondern auf die Kaderplanung richten.
Hertha knüpft zunächst an das Hoffenheim-Spiel an
Felix Magath hätte beinahe die Aufstellung seiner erfolgreichen Hertha-Premiere gegen Hoffenheim kopiert, doch kurz vor Anpfiff muss ausgerechnet Marvin Plattenhardt - beim 3:0 dreifacher Vorlagengeber per Freistoß - aufgrund von muskulären Problemen passen. Maxi Mittelstädt ersetzt ihn, zudem rückt Vladimir Darida für Marco Richter in die Startelf. Erneut ist es ein 4-1-4-1, in dem sich Hertha formiert – auffällig: Mit Suat Serdar und Darida finden sich zwei eigentlich zentrale Mittelfeldspieler auf den Flügelpositionen wieder.
Hier wird das erste Kaderproblem der "alten Dame" offensichtlich: Seit Jahren vermisst Hertha qualitativ gute Außenspieler, die zum einen ihre individuelle Klasse zum Ausdruck bringen, sich aber auch taktisch diszipliniert in den Matchplan einfügen können. Schon Magaths Vorgänger, Pal Dardai und Tayfun Korkut, griffen daher notgedrungen auf zentrale Mittelfeldspieler wie Darida, Serdar oder Jurgen Ekkelenkamp für die Besetzung der Flügel zurück.
Trotz der Flügelprobleme findet Hertha gut in die Partie gegen Leverkusen. Erneut präsentieren sich die Blau-Weißen taktisch überaus diszipliniert und kämpferisch beherzt. Der Ruck, der durch die Mannschaft seit dem Trainerwechsel gegangen ist, ist unverkennbar. Wie gegen Hoffenheim stehen die Hauptstädter recht tief und überlassen dem Gegner den Ball. Daraus kann die Werkself in den ersten 30 Minuten jedoch keinerlei Kapital schlagen, immer wieder zerschellen die Offensivbemühungen an den leidenschaftlich und konzentriert verteidigenden Berlinern.
Hertha versteht es gut, wie schon gegen Hoffenheim das Zentrum lückenlos zu verdichten und den Gegner auf die Außen zu zwingen. "Gegen die zu spielen, ist schwierig. Sie beißen und ziehen ihren Verteidigungsstil durch", lobt Leverkusens Torhüter Lukas Hradecky die Herthaner nach dem Spiel.
15 wilde Minuten entscheiden die Begegnung
In der 35. Minute passiert es dann aber: Hertha gerät in Rückstand. Moussa Diaby kann sich auf dem rechten Flügel gegen Mittelstädt durchsetzen und bringt den Ball in den Strafraum zu Lucas Alario. Der Stürmer, der im Winter beinahe zu Hertha gewechselt wäre, macht es daraufhin per Drehung und perfektem Schuss ins linke Eck herausragend.
Es beginnen daraufhin wilde 15 Minuten, die das Spiel entscheiden. Der bereits angesprochene Ausflug Kempfs und ein zu lasches Verteidigen von Abwehr-Partner Dedryck Boyata gegen Bellarabi bescheren das 0:2. Nur zwei Minuten später stellt Darida per Volley den 1:2-Anschluss her, nur damit Hertha drei Minuten später beinahe das 1:3 kassiert. Es sind die mittlerweile berühmten Chaos-Minuten der "alten Dame", die Trainer Magath zum ersten Mal erlebt. Man will ihm in dieser Phase ein bedeutungsschwangeres "Willkommen in Berlin" zurufen.
Offensiv fehlt es an Durchschlagskraft
Erneut tun sich Herthas Kaderprobleme auf: Magath will für die zweite Halbzeit mehr Druck auf den offensiven Flügeln entwickeln, ihm fehlen auf der Bank jedoch die geeigneten Alternativen. So lässt er Mittelstädt eine Position nach vorne rücken und den für Serdar eingewechselten Linus Gechter positionsfremd als Linksverteidiger agieren.
Hertha kommt offensiv etwas mutiger aus der Kabine, die erste Pressinglinie wird nun höher angesetzt. Die seichten Offensivbemühungen schlafen nach zehn bis 15 Minuten jedoch wieder ein. Weder die Einwechslungen von Richter und Eigengewächs Marten Winkler (65. Minute) noch die von Davie Selke (75.) bringen den gewünschten Effekt. Hertha fehlt es eklatant an Tempo und Ideen, um offensiv auch nur irgendetwas zu entwickeln – Leverkusen hat keinerlei Probleme, die zahnlosen Angriffe zu verteidigen. Das Kräfteverhältnis hat etwas von dem großen Bruder, der seinen kleinen Bruder bei einer Rangelei mit dem ausgestreckten Arm mühelos von sich weghalten kann, während dieser zwar alles gibt, aber nicht im Ansatz gefährlich wird.
Herthas Kaderprobleme kosten Punkte
Am Ende verliert Hertha mit 1:2. Es ist ein knappes Ergebnis gegen einen auf dem Papier übermächtigen Gegner, den die Berliner allerdings über weite Strecken der Begegnung defensiv Paroli bieten können. Den Blau-Weißen ist am 28. Spieltag kaum ein Vorwurf zu machen: Die Einstellung hat gestimmt, die Körpersprache und das Miteinander haben sich im Vergleich zu den Vorwochen- und Monaten deutlich verbessert. Hertha zeigt die so lange eingeforderten Grundtugenden.
Ein riesiges Problem sind jedoch die so offensichtlichen Defizite in Herthas Kader. Gegen Leverkusen fehlt in nahezu der kompletten zweiten Halbzeit die offensive Durchschlagskraft. Das liegt nicht an mangelndem Willen, sondern schlicht an fehlender Qualität. Herthas Tore entstehen zu großen Teilen aus Zufallsprodukten und Standardsituationen. Das reicht in vielen Spielen nicht. Boateng scheint kein sportlicher Faktor mehr zu sein, mit Jovetic kann aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit nicht geplant werden, Richters Spiel ist von großer Inkonstanz geprägt, Maolida spielt keine Rolle, Ekkelenkamp schafft es aktuell nicht einmal in den Spieltagskader.
Ein Puzzle, das nicht passt
All diese Spieler haben Bobic und Kaderplaner Dirk Dufner verpflichtet, zuzüglich des so wackeligen Kempfs hat keiner von ihnen über eine längere Strecke als Leistungsträger funktioniert. Scheint zumindest das Problem des schwachen Teamgedankens vom neuen Trainerteam notdürftig bis Saisonende geflickt, können Qualitätsdefizite nicht mehr aufgefangen werden.
Der Kader wirkt wie ein Puzzle, bei welchem kein Teil in das andere greifen mag. Herthas Chancen auf den Klassenerhalt scheinen sich durch den Trainerwechsel erhöht zu haben, der Mangel an Kaderqualität macht ihn aber immer noch nicht wahrscheinlich. Nun steht das Stadtderby an: Wird Union Berlin ebenfalls zum großen Bruder?
Sendung: rbb UM6, 03.04.2022, 18 Uhr