Herthas Mitgliederversammlung - Neustart – aber in verschiedene Richtungen

Herthas Mitgliederversammlung ist vor allem eines gewesen - laut. Die Klub-Führung warb um Einigkeit. Die Reaktionen auf die erste Windhorst-Rede zeigten, das wird schwierig. Und der kommissarische Präsident nimmt nun auch seinen Hut. Von Shea Westhoff
Zerrissenheit ist laut, sie fiept in den Ohren. Ein gellendes Pfeifkonzert war am Sonntag der Sound, der die wegweisende Mitgliederversammlung von Fußball-Bundesligist Hertha BSC begleitete. Dabei sollte es um nicht weniger gehen, als den Verein nach einer weiteren desolaten Spielzeit wieder auf Kurs zu bringen und zukunftsfähig aufzustellen.
Am Ende einer Versammlung, die sich über mehr als sieben Stunden zog, lauteten die wichtigsten Resultate wie folgt: Der Interims-Präsident Thorsten Manske gab mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt bekannt. Ein neuer fünfköpfiger Aufsichtsrat wurde installiert. Manager Fredi Bobic sorgte mit einer unverstellten Rede für Begeisterung. Und Millionen-Investor Lars Windhorst musste seine mit Spannung erwartete Premieren-Ansprache an die Fans mit fester Stimme vortragen, um das Pfeifkonzert zu übertönen.
Manske ist die tragische Figur
Es war nicht verwunderlich, dass Interims-Präsident Thorsten Manske bei seiner Begrüßung der rund 2.500 anwesenden Mitglieder direkt mit gutem Vorbild voranging und um Einigkeit warb. "Sie alle, liebe Herthanerinnen und Herthaner, sind wichtige Stützen unseres Vereins und Botschafter unseres Klubs", sagte der einstige Stellvertreter des zu Wochenbeginn zurückgetretenen Präsidenten Werner Gegenbauer in Richtung der Mitglieder. "Wir müssen wieder deutlich näher an die Menschen in der Region und in unserer Stadt heranrücken."
Von der erhofften Einigkeit war in der Folge nicht viel zu spüren. Die tragische Figur des Tages war dabei Interims-Präsident Manske selbst, der im Verlauf der Versammlung seinen Hut nehmen würde. Ihm war zunächst merklich daran gelegen, an diesem Sonntag möglichst geschmeidig den Übergang zu moderieren von der chaotischen Hertha der Vorsaison zu einem befriedeten Bundesligisten, der ab kommender Saison wieder geeint angreifen will.
Präsidiums-Wahl für den 26. Juni terminiert
So stellte Manske direkt die Weichen für einen Neubeginn des als kompliziert geltenden Verhältnis zwischen Klubführung und Investor: "Herr Windhorst, ich reiche Ihnen die Hand und bitte Sie inständig: Lassen Sie uns mit- aber nicht mehr übereinander reden", sagte er und spielte damit wohl auf Windhorsts Schlagzeilen-trächtige Kritik an den Hertha-Entscheidern via Bild-TV und dem Magazin Capital an.
Über seinen aus dem Amt geschiedenen Vorgänger sagte Manske salomonisch: "Werner Gegenbauer hat bei seinem Rücktritt zu Wochenbeginn großen Mut bewiesen, um den Weg für einen Neustart bei Hertha freizumachen. Dafür gebührt ihm Respekt." Von vielen Mitgliedern wurden seine Worte mit Applaus quittiert, von einigen mit Buh-Rufen.
Am 26. Juni, so kündigte Manske an, solle über den durch den Rücktritt Werner Gegenbauers vakant gewordenen Präsidiums-Posten abgestimmt werden. Was Manske da noch nicht wissen konnte: Wenig später würde auch sein eigener Posten vakant werden. Knapp zwei Drittel der Mitglieder stimmten für seine Abberufung – damit scheiterte das gegen ihn eingereichte Misstrauensvotum zwar, für das 75 Prozent der Stimmen notwendig gewesen wären. Doch Manske hatte seine weitere Arbeit an ein "klares Signal" des Rückhalts seitens der Mitglieder geknüpft. Dieses konnte er bei rund 64,2 Prozent an Abwahlstimmen nicht erkennen. "Für mich endet hier ein langer Weg", sagte er nach seiner Abwahl unter einsetzendem Applaus der Mitglieder.
Fredi Bobic als glänzender Redner
Im Amt bleiben konnten hingegen die anderen fünf Präsidiumsmitglieder, denen – mal deutlicher, mal weniger deutlich – das Vertrauen der Mitglieder zugesprochen wurde. Nachdem über das fünfköpfige Kontroll-Organ, den Aufsichtsrat, neu abgestimmt wurde, setzte Manager Fredi Bobic einen weiteren emotionalen Höhepunkt der Versammlung. Mit einem lauten Pfeifkonzert am Rednerpult begrüßt, schien es dem pfiffigen Schwaben in den darauffolgenden Minuten tatsächlich zu gelingen, in einem bedächtigen Tonfall zumindest für den Moment weite Teile der Anhänger hinter sich und der Klubführung zu einen.
"Wir haben eine Mannschaft gehabt, die keine Mannschaft war, die verdammt lange gesucht hat, bis sie sich gefunden hat“, sagte er. In der Relegation jedoch habe sich der Verein der Unterstützung sicher sein können: "Das Stadion war voll. Als wir euch gebraucht haben, wart ihr da", sagte er unter einsetzendem Jubel der anwesenden Mitglieder. Es sei genau die Kraft, "die wir bündeln müssen" für die Zukunft, "die Kraft, nach vorne zu schauen".
"Windhorst-Raus"-Rufe gellen durch den Saal
Bobic versuchte, die Ambitionen des Vereins neu zu sortieren: "Es muss nicht gleich die Champions League oder Europa League sein, davon habe ich auch nie geredet", sagt er. Doch er sagte mit Blick auf die aktuelle sportliche Lage auch: "Dieser Verein kann viel mehr." Zumindest die Fähigkeit zu großem Theater offenbarte der Verein direkt danach. Als Millionen-Investor Lars Windhorst die Bühne betrat, um als einfaches Mitglied vorzusprechen, erreichte das Pfeifkonzert einen bislang nicht gekannten Geräuschpegel.
"Windhorst-raus"-Rufe gellten durch den Raum, ein Banner mit seinem durchgestrichenen Konterfei wurde in die Höhe gereckt. "Das geht so nicht", mahnte Versammlungsführer Dirk Lentfer die Stänkerer. An die lautesten Störer sagte er: "Das ist jetzt ein Ordnungsruf, ich möchte, dass das unterbleibt!" Windhorst wiederum gab sich unbeeindruckt von den lauten Zwischenrufen: "Ich freue mich sehr, dass ich hier sein darf", sagte er mit einem Lächeln. Dann richtete er seinen Blick direkt zu den "Buh"-rufenden Ultra-Vertretern, die von ihm aus rechts im Publikum saßen und stellte klar, dass diese "in der Minderheit" seien mit ihrer "Pfeiferei".
Windhorst: "Ich gehe nicht weg"
Dann umriss er kurz die neuen geschäftlichen Realitäten des Fußball-Bundesligisten, der dem Millionen-Investor und dessen Tennor-Holding vor drei Jahren seine Tore geöffnet hatte und diesen für mittlerweile 374 Millionen Euro rund Zweidrittel seiner Profi-Anteile verkaufte. "Ob es den meisten gefällt oder nicht: Ich bin als Mehrheitseigner hier", stellte er klar. Der Slogan 'Windhorst raus', das würde faktisch nicht funktionieren. "Man kann mich nicht abwählen und meine Anteile stehen nicht zum Verkauf", sagte er. "Ich will allen zeigen, ich meine es ernst, das ist ein langfristiges Engagement für 10, 20, 30 Jahre."
Anschließend gab Windhorst Einblicke in die von ihm erhoffte Einflusszone im Verein: "Mir geht es nicht darum, mitzuentscheiden. Aber ich möchte mitdiskutieren", sagte er, bevor er wieder von lautem Pfeifkonzert unterbrochen wurde. Der Verein müsse sich fragen, ob er Erfolg haben wolle oder zufrieden sei mit dem unteren Tabellendrittel. "Ich gehe nicht weg, das ist auch nicht möglich, in den nächsten zehn, zwanzig Jahren", wiederholte er zum Ende seiner Rede, die unter dem nochmals anschwillenden Pfeifkonzert schon gar nicht mehr vollständig zu hören war.
Sendung: rbb24, 29.05.2022, 22 Uhr