Vor dem Relegations-Rückspiel in Hamburg - Fünf Gründe, die doch noch für Herthas Klassenerhalt sprechen

Nach der 0:1-Niederlage im Relegationshinspiel steht Hertha BSC vor der letzten Chance auf den Klassenerhalt mit dem Rücken zur Wand. Viele haben Hertha schon abgeschrieben, aber hier sind fünf Gründe, warum sie doch in der Bundesliga bleiben könnte. Von Till Oppermann
1. Der 1. FC Köln
Vor einem Jahr stand der Fußball-Bundesligist 1. FC Köln am selben Punkt wie Hertha heute. Nach einer desolaten Saison waren die Kölner mit 33 Punkten auf dem Relegationsplatz gelandet. Im letzten Saisondrittel wurde ein glückloser Trainer entlassen. Mit Friedhelm Funkel übernahm dafür ein routinierter Endsechziger. Genau wie Hertha-Coach Felix Magath wurde er 1953 geboren. Aber auch seine große Erfahrung half den Kölnern im Hinspiel gegen den norddeutschen Gegner Kiel nicht.
Im eigenen Stadion verlor der FC mit 0:1. Im Rückspiel passierte dann etwas Überraschendes. Bereits nach 13 Minuten führten die Geißböcke auswärts mit 3:1. Funkels Mannschaft legte noch zwei Tore nach und sicherte sich mit dem 5:1 in Kiel fulminant den Klassenerhalt. Der heutige Hamburger Jonas Meffert spielte damals für Kiel und erinnert sich gut: "Es war eine schmerzhafte Erfahrung." Hertha hofft am Montagabend (20 Uhr) auf Mefferts Deja-Vu.
2. Santiago Ascacibars Rückkehr
Für Felix Magath ist Zweikampfstärke die wichtigste Tugend im Abstiegskampf. Im Hinspiel gegen Hamburg gewann Hertha nur 108 zu 142 Duelle. "Wir haben im Mittelfeld nicht so viel Kontrolle gehabt und so viele Zweikämpfe gewonnen, wie wir es gebraucht hätten, um Übergewicht zu erlangen", erklärte der Trainer nach dem Spiel. Gründe dafür seien der Fitnesszustand von Niklas Stark und die Gelbsperre des Stammsechsers Santiago Ascacibar gewesen, so Magath.
Dass er den früh verwarnten Stark bereits deutlich vor der 70. Minute hätte auswechseln können: geschenkt. Im Rückspiel wird sich zeigen, ob Hertha mit dem Lieblingsspieler des Trainers echten Magath-Fußball spielen kann und besser mit Hamburgs Kombinationsspiel klarkommt. Vielleicht steckt der Argentinier die Mannschaft mit Kampfgeist an. Als Ascacibar in Augsburg trotz blutender Kopfwunde weiterspielte, lobte Magath: "So müssen alle im Abstiegskampf auftreten." Gesund ist das nicht, aber womöglich erfolgreicher.
3. Individuelle Klasse
Der HSV trägt nach wie vor einen großen Namen. 1983 schoss Felix Magath die Hanseaten im Landesmeisterpokal zum Sieger. Aber mittlerweile spielt der ehemalige Bundesliga-Dino seit vier Jahren in der zweiten Liga. Das sieht man auch im Kader. Gegen Hertha kam beispielsweise der 26-jährige Maximilian Rohr, der vor wenigen Jahren noch in der Verbandsliga spielte und vor der Saison als Führungsspieler für die U-21-Mannschaft geholt wurde zu seinem erst elften Profieinsatz.
Bei Hertha sieht es anders aus. Auch wenn Fredi Bobic vor der Saison beispielsweise mit Jhon Cordoba und Matheus Cunha einige Filetstücke der ehemaligen Luxusmannschaft verkauft hat, stehen Felix Magath weiterhin zahlreiche aktuelle und ehemalige A-Nationalspieler zur Verfügung. Die Top-Torschützen Stevan Jovetic und Marco Richter konnten im Hinspiel nur eingewechselt werden, am Montag sind sie wieder voll einsatzbereit. "Wir haben wieder mehr Qualität zur Verfügung und deswegen werden wir stärker auftreten", konstatiert Magath am Tag vor dem Rückspiel. Auf die Frage, wie seine Mannschaft zwei Tore schießen solle, hob er individueller Klasse seines Außenverteidigers Marvin Plattenhardt hervor: "Unsere größte Waffe ist, wenn Platte an Standardsituationen geht", sagte Magath.
4. Unaufsteigbare Hamburger
Lange war der Hamburger SV gefühlt unabsteigbar. 2014 und 2015 waren die Rothosen in Herthas Position und retteten sich jeweils in der Relegation. Aber seit die Norddeutschen 2018 erstmals aus der Bundesliga abstiegen, scheiterten sie bereits drei Mal auf der Zielgeraden am Wiederaufstieg. 2019 wurde Hamburg mit einem Punkt Rückstand auf Union Berlin und Paderborn auf den Rängen drei und zwei Vierter. Ein Jahr darauf hätte am letzten Spieltag zuhause ein Punkt gegen Sandhausen für die Relegation gereicht. Hamburg verlor 1:5 und verpasste die Chance den Erzrivalen Werder Bremen in der Relegation zu schlagen.
2021 wurde Hamburg erneut Vierter. Diesmal fehlten sogar vier Punkte auf Holstein Kiel. Jeweils stand der HSV lange auf einem Aufstiegsplatz, aber zerbrach gegen Saisonende am großen Druck. Unter Tim Walter haben es die Hanseaten nun endlich zumindest in die Ausscheidungsspiele um den letzten verbliebenen Bundesliga-Startplatz geschafft. Das 1:0 aus dem Hinspiel ist ein handfester Vorteil. Felix Magath versucht das psychologisch auszunutzen: "Der Druck ist beim HSV." Die Situation sei nun umgekehrt als vor dem Hinspiel. Hertha habe nichts mehr zu verlieren – Hamburg schon. "Deswegen sehe ich die Situation jetzt als die bessere für uns an und glaube, dass wir gute Chancen haben werden, das im Rückspiel noch zu drehen", so Magath.
5. Felix Magaths Optimismus
Schon einmal stand Hertha in dieser Saison nach einer Niederlage im restlos ausverkauften Olympiastadion vor dem Abgrund. Nach dem 1:4 gegen Union am 29. Spieltag hatten sich viele Herthaner schon mit dem Schlimmsten abgefunden. Die Mannschaft war 17. und lag damit auf einem direkten Abstiegsplatz. Die aufgebrachten Ultras forderten die Spieler auf ihre Trikots abzulegen, weil sie nicht würdig seien, für Herthas Fahnen aufzulaufen. Nur einer blieb optimistisch: Felix Magath. Er sagte, dass Hertha nicht gegen einen Europapokalanwärter wie Union die nötigen Punkte holen müsse und zeigte sich im Hinblick auf die restlichen Spiele gegen direkte Konkurrenten zuversichtlich.
Tatsächlich holte Hertha gegen Augsburg, Stuttgart und Bielefeld sieben Punkte. Auch wenn die späten Punktverluste gegen Bielefeld und Mainz eine direkte Rettung verhinderten, verteidigte Hertha am letzten Spieltag bei Vizemeister Dortmund solide. "Wir waren immer kurz davor, den Klassenerhalt zu sichern, und relativ spät haben wir dann einen Rückschlag bekommen", erklärt Magath. Trotzdem glaubt er, dass es im fünften und letzten Anlauf klappt: "Wir sind immer wieder zurückgekommen und ich bin überzeugt, dass wir auch diesen Rückschlag wegstecken."
Sendung: rbb UM6, 23.05.2022, 18 Uhr