Alba gewinnt erstes Finalspiel gegen die Bayern - Alles eine Frage des Chillens

Eine Woche hatte Alba Berlin vor dem Finale gegen Bayern spielfrei, die Münchner hingegen mussten noch 48 Stunden zuvor Schwerstarbeit im Halbfinale verrichten. Am Ende gewann Alba das erste Spiel am Freitag mit 86:73 - aber so klar war es nicht. Von Sebastian Schneider
Freitag, 18:46 Uhr: Matze aus Spandau hockt auf einem knorrigen Holzblock vor der Halle. Er kam dreieinhalb Stunden vor Spielbeginn, erzählt er. Er fragt sich, ob sein Kumpel ihm noch eine Karte klarmachen kann. Aber der Typ ruft einfach nicht zurück. "Alba zerstört Bayern in drei Spielen. Nächsten Freitag feiern wa hier die Meisterschaft, janz einfach”, sagt Matze, Bauchtasche, Jeans, lichter Stachelhaarschnitt. Er lässt dann kein einziges Argument gelten, warum es anders kommen könnte.
Matze wirkt wie einer, der sich anstrengt, entspannt zu wirken. Neben ihm glänzt eine offene Dose Red Bull in der Abendsonne. Er raucht Kette, seine Knie wippen. Als er sich mit der Hand durchs Gesicht fährt, knistern seine grauen Bartstoppeln. "Da mach ick mir jar keene Sorgen", sagt Matze.
18:55 Uhr: Die Schiedsrichterin Anne Panther kommt im marineblauen Hosenanzug um die Ecke der Arena gelaufen, schreitet eher, das Kinn nach vorne gereckt, lächelnd, ihren kleinen Rollkoffer hinter sich herziehend. Ihre beiden Kollegen gehen leicht versetzt hinter ihr. Panther wirkt nicht sonderlich ernst. Eher wie auf dem Weg in ein langes Wochenende.
19:40 Uhr: Fast eine Stunde vor Tip-Off haben die Alba-Trommler ihre Pauken vor dem Fanblock aufgebaut. Die Münchner werfen sich auf dem Korb gegenüber ein, als wäre niemand in der Halle. Sie wirken aufs Wesentliche fokussiert, keiner lacht, keiner quatscht rum. Sie sind Saisonarbeiter auf Montage, waren in Kaunas, Barcelona, Chemnitz. Der gefürchtete Vlado Lucic steht sehnig in der Ecke und trifft Dreier um Dreier. "Die sind alle so riesig", sagt ein ungefähr 10-Jähriger mit blondem Topfschnitt leise zu vier anderen Jungs hinterm Korb. Die erwidern nichts. Sie gucken einfach zu.
19:56 Uhr: Sechs Angehörige des Bayern-Fanklubs "Red Munichs" stellen sich hinter einem Absperrgeländer in ihrem Block für ein Erinnerungsfoto auf. Sie wirken recht fröhlich. Man könnte sagen, sie füllen ihre roten T-Shirts effizient aus.
Im Hintergrund Geigenklänge
20:04 Uhr: Die Berliner Spieler joggen aufs Feld, um sich warmzumachen. Die Fans trommeln und brüllen, mehr als 10.500 sind gekommen. Sofort schwirrt der Korblegerkreisel. "What if I say that I’ll never surrender?", schreit die Stimme von Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl aus den Boxen. "Was wenn ich sage, dass ich mich nie ergeben werde?". "Wir begrüßen das Team vom FC Bayern. Willkommen in Berlin", sagt der Hallensprecher, aber die Buhrufe erzählen den Münchnern gleich, wie willkommen sie sind.
20:22 Uhr: Luke Sikma beugt sich über die Bande und verteilt Fistbumps an die Fans in der ersten Reihe. Ein kleines blondes Mädchen trägt das Trikot mit seinem Namen und haut sich danach verlegen mit der Klatschpappe gegen die Stirn.
20:24 Uhr: Die Bayern-Aufstellung wird angesagt. Als Vlado Lucics Name fällt, kann man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen, den Rest der Aufstellung auch nicht mehr. Sind das nur Pfiffe oder schon ein Fiepen in den Ohren wegen des ganzen Krachs?
20:28 Uhr: Ein Mann in einem blauen Anzug spielt die deutsche Nationalhymne auf dem Saxophon. Im Hintergrund verwöhnen Geigenklänge.

Die Bayern bremsen die Berliner
20:34 Uhr: Der Sprungball landet in den Händen des Berliners Louis Olinde. Es geht los. Die Gelehrten hatten vorab gestritten: Wird es Albas Vorteil sein, fast eine Woche lang nur trainiert und ansonsten im Berliner Frühsommer die Beine hochgelegt zu haben? Oder ist es ein Nachteil, weil man den Rhythmus verliert, wenn man nicht alle zwei Tage spielt?
Die Bayern hatten noch 48 Stunden zuvor die Bonner im Halbfinale an den Hacken und erst im 19. von 20 möglichen Vierteln dieser langen Serie wurden sie sie endlich los [br.de]. Dann flogen sie in ihren Trainingsanzügen aus dem Rheinischen nach Berlin und hey, da wetzen sie nun in ihrer roten Montur. Im 81. Pflichtspiel seit Ende September. Die Freude darüber sieht man ihnen gar nicht an. Wieviel würden sie zu geben haben?
Kettenraucher Matze wird seinen Augen nicht getraut haben, aber tatsächlich ist Bayern wesentlich präsenter, als manch Berliner Optimist gehofft haben mag. Die Gäste haben es zum fünften Mal in dieser Spielzeit mit Alba zu tun, jeder Hanswurst weiß, was sie versuchen: Den Berlinern ihr geliebtes Tempo zu nehmen, jeden Flow zu ersticken, sie zu zwingen, sich hinab in den stinkenden, verrußten Maschinenraum zu begeben, in dem nur sie den richtigen Schraubenschlüssel zur Hand haben. Und es klappt auch diesmal.
Lo fühlt es noch nicht
Berlins Taktgeber Maodo Lo, der die beste Saison seiner bisherigen Karriere spielt, versucht gleich, eine Verbindung zum Geschehen aufzubauen. Er hängt von diesem Gefühl mehr ab als andere Spieler - aber der Charlottenburger vergibt den ersten Wurf von draußen und das setzt erstmal den Ton. Bayerns momentan mit Abstand wichtigster Spieler Nick Weiler-Babb trifft auf der Gegenseite sofort einen Distanzwurf.
Dann wogt das Spiel auf ganz erstaunliche Weise hin und her: Fehler und Treffer, Treffer und Fehler, die ganze Zeit. Beide Teams müssen ackern, aus der Mitte entspringt kein Fluss, sondern nur einzelne Würfe, bestenfalls Sequenzen in beide Richtungen. Man sieht, dass Alba alles über die Bayern und Bayern alles über Alba weiß. Vor allem regnet’s Dreier. Das Trommeln dröhnt in den Ohren. Das Spiel läuft so langsam, wie es den matten Münchnern gefällt.

So offen wie man es sich wünschen konnte
Lucic redet wie wild auf einen Schiedsrichter ein und reklamiert erfolglos einen Einwurf, später verkauft er ein Nicht-Foul so exzellent, wie nur er es vermag. Aber um ehrlich zu sein, hat man ihn hier schon feuriger erlebt. Sein Chef Andrea Trinchieri, weinrote Krawatte, Arme verschränkt, Bauch nach vorne gereckt, schimpft mit seinen ausgewechselten Spielern, das ja. Aber getösetechnisch ist der Trainer ein Schatten seiner früheren Jahre. Auch bei ihm sieht das alles gerade nur nach Pflicht aus.
20:45 Uhr: Yovel Zoosman ist für Alba ins Spiel gekommen. Der 2,01 Meter lange Mann aus Netanya schickt seinen Verteidiger mit einem Fake in die Luft, geht einen Schritt nach rechts und trifft dann von weit weg, sauber und glatt. Er ballt die rechte Faust und presst die Lippen zusammen. Er wird diesem noch drei weitere Dreier folgen lassen, dazu zwei Steals, er wird der wichtigste Spieler des Abends werden.
Nach dem ersten Viertel führt Alba mit 22:20. Die Serie wirkt jetzt genauso offen, wie man sie sich wünschen konnte. Was wohl Matze dazu sagt?
Der letzte Bus in Peiting
20:55 Uhr: Die locker ersten 20 Reihen des harten Alba-Kerns hinter dem Korb springen im Takt und singen “Schalalalalalalalala - Alba Berlin”, im Takt der Trommelschläge. Der Alba-Profi Jonas Mattisseck dreht sich kurz zum gelben Wellenbad um, er tut dabei so inselfokussiert, wie das Profis im Spiel immer tun. Ein Lächeln kann er sich gerade noch verkneifen. Es steht 33:33.
21:04 Uhr: Ein Riss geht durchs Spiel der Berliner, die Halle lärmt leiser. Die Bayern führen jetzt mit fünf und haben es sich gerade in den Köpfen ihrer Gegner gemütlich gemacht. Ziehen sie jetzt davon? War die lange Pause nun doch Mist für Alba? Sehen wir da irgendwo Rost? Aber Berlin trifft schon wieder ein sauschwieriges Ding von draußen. Ein Münchner dribbelt sich auf den Fuß. Maodo Lo hängt fest. Zur Pause liegt Bayern mit 43:40 vorne. Man fühlt sich schon vom Zuschauen, als hätte man selber gespielt.
Im dritten Viertel guckt Lucic, als wäre ihm nach dem letzten Weißbier in Peiting der finale Bus vor der Nase weggefahren. Er hatte versucht, Zoosman hinter der Dreierlinie zu verteidigen. Hat nicht geklappt.
Es folgen Airballs, verdaddelte Bälle, technische Fouls wegen Zeterns, die tollkühnen Künste des bajuwarischen Wurfautomaten Andi Obst. Es ändert sich nichts und das macht es so spannend. Vor den letzten zehn Minuten liegt Alba mit einem Punkt hinten. Aber dann ist Sense.

Automat Obst: Fehlermeldung
21:54 Uhr: Automat Obst vergibt tatsächlich mal einen Wurf für die Bayern, sieh an. Im Gegenzug trifft der kleine Tamir Blatt, beim Zurücklaufen schließt er kurz erleichtert die Augen. Alba führt jetzt mit 68:65, gefühlt das erste Mal seit dem Pleistozän. Die meisten Fans stehen jetzt, bis Oberkante Unterring.
21:56 Uhr: Louis Olinde rennt nach vorne, kriegt einen Pass, hebt ab und knallt den Ball von janz weit oben rein, er schreit vor Glück, die Halsschlagader ballert. Die Halle wird vom Sog erfasst. München muss die Auszeit nehmen.
Plötzlich ist Alba das Team mit der viel besseren Defense, man sieht es an Zoosmans kaltem Blick und an Maodo Los zusammengepressten Lippen. Die Berliner wittern, dass sie die Münchner nun brechen können und bearbeiten sie mit allem was sie haben. Sechs Ballverluste sammeln die Gäste alleine im letzten Viertel an, die meisten erzwungen durch ihre Widersacher. Man spürt jetzt eine Energie, die drei Viertel nicht zu greifen war.

Lucic humpelt vom Feld
22:02 Uhr: Diesmal trifft Lo. Der Haderer hat die goldene Regel beherzigt: Fällt vorne nix rein, hol Dir Dein Selbstbewusstsein in der Verteidigung. Es steht 77:68 für Berlin. Hätte Luka Pavicevic jetzt sein Sakko angezogen? Er hätte. Das Ding ist durch. Jetzt wirkt Alba nicht mehr wie: Wir hoffen, dass wir heute gewinnen, sondern wie: Wir wissen, was wir können. Ein glücklicher Junge im gelben Trikot prügelt mit seiner Klatschpappe auf die Werbebande ein, als wollte er mit einer Axt einen Holzscheit spalten.
Vlado Lucic wird ausgewechselt und humpelt in die Kabine. Er greift sich dabei an den rechten Oberschenkel. Sein Chef Trinchieri ließ ihn mehr als 28 Minuten auf dem Feld. Dem wahrscheinlich besten Spieler der Bundesliga sind vier Zähler und ein Rebound gelungen. Am Ende konnte er einfach nicht mehr.
22:09 Uhr: Die Münchener dribbeln den Ball ein letztes Mal pflichtschuldig nach vorne, die Sirene erlöst sie. Es geht 86:73 aus, für Alba ist es der 18. Sieg hintereinander. 13 Punkte besser waren die Berliner nicht. Aber das Schlussviertel haben sie eben mit 25:11 abgehakt. "Es zeichnet uns aus, dass wir nicht aufhören", diagnostiziert Albas Obersegler Louis Olinde bei Magentasport. "Sie haben in den letzten sieben Minuten ihren größten Einsatz gebracht. Das war ein Tritt in den Hintern", fügt der Bayern-Trainer Andrea Trinchieri hinzu.
Was nun am Dienstag in Spiel 2 in München-Obersendling passieren wird? Herrlich unmöglich vorauszusagen. Außer man fragt Matze.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.06.2022, 6 Uhr