Alba Berlin steht vor erneutem Titelgewinn - Sie kommen, um sich zu bescheren

19 Spiele am Stück hat Alba Berlin gewonnen, die Welle trägt das Team auch im Finale gegen den FC Bayern. Am Freitag könnte Alba vor ausverkauften Rängen zum dritten Mal in Folge deutscher Meister werden - wenn die Gäste nicht die Party crashen. Von Sebastian Schneider
Es stand 2:0, ein einziger Heimsieg fehlte noch bis zum Glück, aber vor dem dritten Finale hielt sich der Gegner noch rhetorisch im Spiel. "In dieser Saison standen wir schon öfter mit dem Rücken zur Wand", sagte der erste. "Wir haben in beiden Spielen die Chance gehabt, das Spiel zu gewinnen, in München waren wir sogar näher dran", sagte der zweite. "Wir müssen unseren Stil, unser Tempo spielen und rausgehen und gewinnen", sagte der Dritte. Vier Tage später war Bayern München deutscher Meister. Durch einen "Sweep" gegen Alba Berlin.
Drei Jahre ist das jetzt her, es war die letzte Finalserie, die die prominenter besetzten Münchner für sich entschieden. Diese Woche ist alles umgekehrt. Am Dienstag gewann Alba Berlin auch das zweite Finalspiel dieser Serie und zwar mit 71:58 vor den Augen der Münchner Fans, Uli Hoeneß eingeschlossen. Am Freitagabend könnte die Mannschaft des Trainers Israel Gonzalez den dritten Meistertitel in Folge feiern - dann hätte sie den FC Bayern sieglos in die Sommerferien geschickt. Wie würde man Sweep auf bayerisch sagen? Vielleicht: Kehraus [br.de].
"Wir wollen es unserem Heimpublikum gönnen", sagte Berlins hochgewachsener Bayer Oscar da Silva.
Djedovic: "Wir fahren nicht nach Berlin ohne Hoffnung"
Der Verein seiner Heimatstadt zeigte nach dem ratlosen Auftritt in München, dass man 2019 den Sprüchen der unterjochten Berliner offenbar gut zugehört hat. "Es ist nicht Neues, in Berlin zu gewinnen, das haben wir schon ein paar Mal gemacht", sagte zum Beispiel der Bayern-Kapitän Nihad Djedovic. "So lange wir spielen, haben wir Hoffnung. Wir fahren nicht nach Berlin ohne Hoffnung", fügte er hinzu.
Hoffnung ist ein angenehm vager Begriff, alles lässt sich hineindeuten. Hörte man genauer hin, was die frustrierten Münchner da am Dienstag in die Reporterblöcke und Mikrofone diktierten, fiel auf: Davon, diese Serie noch zu gewinnen und deutscher Meister zu werden, sprach am Dienstag keiner mehr. Es klang eher nach: Wenigstens ein Sieg. Wenigstens nicht gesweept, also aus der Saison gefegt, werden.
Selbst der Ehrenpräsi Hoeneß glaubt offenbar nicht mehr an eine Wende. Er hatte am Dienstag beste Sicht von seinem Platz in der zweiten Reihe und er sah, dass nichts gut war. Die Münchner Mannschaft habe zwar einen starken Charakter, sagte Hoeneß danach bei "Sky". Aber seine Zuversicht sei gering.
Das letzte Mal 3:2 nach 0:2? Ist 33 Jahre her.
In diesen Playoffs haben die Berliner noch kein einziges Spiel verloren. Sie haben überhaupt seit 19 Spielen nicht mehr verloren. Die Münchner konnten daran selbst in ihrer eigenen, ausverkauften Halle vor knapp 6.500 klatschpappenden Fans nichts ändern. Sie blieben das gesamte Spiel über im Rückstand. Zwischenzeitlich führte Alba mit 17 Zählern.
Als ein Team im Finale der Basketball-Bundesliga das letzte Mal einen 0:2-Rückstand noch umbog und Meister wurde, saß Uli Hoeneß nicht in Basketballhallen, sondern auf der Bank des Münchner Olympiastadions. Die Berliner Mauer stand noch und Alba existierte nicht. Im Frühsommer 1989 triumphierte Steiner Bayreuth über Bayer Leverkusen.
Auch für Alba wars ein Hindernislauf
Es spricht in ihrer derzeitigen Verfassung nichts dafür, dass die Münchner diesen Husarenstreich wiederholen können. Eher wird es eine titellose Saison, zu wenig angesichts der Gehaltskosten dieses Kaders. Die fest eingeplanten Scorer und Ballverteiler Hilliard und Walden fehlen seit langem verletzt, jetzt auch noch Vlado Lucic. Dazu die mehr als 80 Spiele, das betonen die Münchner Verantwortlichen immer wieder, wie man das so macht, um die Aufmerksamkeit auf diese Dinge zu lenken.
Dass Albas bester Schütze Marcus Eriksson ebenfalls seit Oktober zuschauen muss und Mannschaft und Trainer es trotzdem geschafft haben, seine durchschnittlich 13,5 Zähler zu kompensieren, dass auch Israel Gonzalez in seiner ersten Saison als Cheftrainer immer wieder umdisponieren musste, weil jemand verletzt oder krank war und dass die Mannschaft kaum weniger Meter in den Beinen hat - darüber hört man auffällig wenig.
Gonzalez, vielleicht der eigentliche Star dieser Saison, brachte den Unterschied auf den Punkt: "Wir haben keinen Spieler, der 35 Minuten spielt. Wir haben 14 Spieler, die wir fast die komplette Saison einsetzen." Am Dienstag seien alle eingebunden worden. "Das hilft uns gerade sehr", sagte der Trainer. Aber es gibt noch einen anderen Unterschied.

Es zieht sich
Andrea Trinchieri ist ein exzellenter Trainer, das hat er erst wieder in der Euroleague-Playoff-Serie gegen den FC Barcelona bewiesen [br.de]. Es gab Phasen, da coachte der Münchner seinen berühmten Kollegen Jasikevicius einfach aus, fand immer wieder kluge Lösungen gegen den Favoriten. Fachlich genießt er höchsten Respekt. Aber Trinchieris Menschenführung ist höflich formuliert nicht seine größte Stärke.
Immer wieder war auf seinen Stationen zu beobachten, wie sich die Beziehung zwischen Trainer und Team im Laufe der Saison abnutzte. Trinchieri wirkte zunehmend gereizt, erschöpft, frustriert. So wie seine Spieler. Auch in diesen Tagen drängt sich dieser Eindruck auf. Ognjen Jaramaz, den der Trainer in den Spielen davor nicht mal in den Kader genommen hatte, sollte am Dienstag in der zweiten Hälfte einen Großteil der Offensive schultern. Als Trinchieri ihn in einer Szene anblaffte, winkte der blonde Jaramaz nur ab. Zum zweiten Mal in Folge ist die Bayern-Mannschaft zum Ende der Saison über ihren Zenit, körperlich, vielleicht auch geistig. Seit dem Euroleague-Aus gegen Barca deutet die Kurve nach unten.
Spielerentwicklung als Konstante
Albas Mantra der Entwicklung steht dem entgegen. Gonzalez‘ Lehrmeister Aito sprach in Berlin immer davon, dass es nur darum gehe, dass die Mannschaft sich auf einen Weg des Lernens begebe. In jedem Training, in jedem Spiel sollte sie eine Kleinigkeit besser werden. Die Spielergebnisse seien nur die Folge, nicht die Bedingung. Er hat den Basketball damit sicher nicht neu erfunden und Spieler entwickeln wollen viele – auch in Trinchieris Aufgabenprofil wurde das explizit vermerkt. Aber Alba setzt seit Aitos Ära konsequenter als alle anderen darauf.
Nehmen wir Jaleen Smith: Vergangenen Sommer wechselte er als wertvollster Spieler der Bundesliga aus Ludwigsburg nach Berlin, ein instinktiver Scorer und exzellenter Verteidiger. Eigentlich. Aber anfangs fremdelte Smith mit dem freien Spiel, der Aito-Schule. Alles wirkte mühsam. "Bin ich hier wirklich richtig?", drückte seine Körpersprache aus. Er geisterte umher. Fast ein Jahr danach federt Jaleen Smith wie ein Tennisspieler übers Feld, auch am Dienstag in München nahm und traf er schwierige Würfe mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit.

Fehler, die sich lohnten
Oder Tamir Blatt: Als er 2021 aus Israel kam, schienen die Passwege für ihn zugetackert, seine Wurfauswahl war flatterhaft und überhastet. Blatt überdrehte, wirkte verunsichert. Es war alles eine Nummer zu groß für ihn. Der Point Guard, der Alba in diesen Tagen antreibt, ist ein anderer Spieler. Der 25-Jährige findet Lücken, durch die andere niemals einen Pass wagen würden, drückt gnadenlos aufs Tempo. Der eine oder andere Dreier ist immer noch für die Katz, aber Blatts Mut und Frechheit retten den Berlinern inzwischen Spiele. Man merkt ihm an, dass ihn das Vertrauen der Trainer stärker gemacht hat. Die Fehler waren nicht umsonst.
Blatts Kollege in der Rhythmusgruppe, Maodo Lo, auch so ein Fremdler zu Beginn seiner Alba-Zeit, hat die beste Saison seiner bisherigen Karriere hinter sich. Lo war auch vorher sehr gut und jeder wusste das. Aber nun wirkt sein Spiel, als habe es auf alles eine Antwort.
Das Fundament fehlt
Bayern richtete seine Strategie in den letzten Jahren an wenigen Stars aus, die dann einen Großteil des Outputs liefern müssen - und entsprechend bezahlt werden. Umkehrschluss: Wer wenig spielt, ist weniger wichtig und genießt weniger Kredit bei Fehlern. Jetzt, wo das Fundament der verletzten Vielspieler fehlt, funktioniert die ganze Statik der Bayern nicht mehr. Sie müssen improvisieren, brauchen jeden Mann und selbst das Basketballbrain Trinchieri stößt hier sichtlich an seine Grenzen. Es läuft dann in der Regel darauf hinaus: Aufposten, Eins gegen Eins, oder Dreier von Andi Obst. Am Dienstag standen sich Trinchieris Spieler in manchen Szenen fast auf den Füßen, guckten sich verständnislos an – der eine wusste nicht, was der andere tat.
Alba dagegen findet inzwischen auch an zähen, fehlerreichen Arbeitstagen immer wieder in die Spur. Ob in Berlin oder nun in München, Gonzalez' junge Mannschaft machte einfach weiter, blockierte jeden noch so zart angedeuteten Lauf der Bayern. Wie immer im Basketball ist der Schlüssel dazu die Verteidigung.
Diese Boss-Einstellung hatten in früheren Duellen fast immer nur die Münchner, sie gehörte zu ihrem Selbstverständnis. Aber die Lehrjahre unter Aito und nun Gonzalez haben den Alba-Basketball nicht nur fluffiger und vielseitiger, sondern auch widerstandsfähiger werden lassen. Letzteres dürfte vor allem das Verdienst des jetzigen Chefs sein. Mit dem Spaß und dem Flow kam die Gewissheit, dass alles gut werden kann und am Ende in "Hardware" mündet, wie Kapitän Luke Sikma bissfest-metallene Pokale zu nennen pflegt. Am Freitag könnte ihm der nächste überreicht werden.

Wunsch der Bayern: Finale dahoam
Die Kartenverkäufer werden vor der Halle herumtigern und Suchende anquatschen, an den Schaltern braucht man sein Glück nicht mehr zu versuchen, so wie es aussieht. Schon am Mittwoch waren nur noch zweistellig Tickets verfügbar, von 14.500 Stück. Zum ersten Mal seit zwei Jahren und vier Monaten wird die Bude voll sein. Die Münchner Auswärtigen riefen ihr Kontingent nicht mehr ganz ab.
Wer für gelb schwärmt, wird nicht verpassen wollen, wie die Bayern in Friedrichshain die Verlierermedaillen um den Hals gehängt bekommen. Schaffartziks Verbeugung, Djedovics Dreier, die Narben von 2014. Aber noch ist das nur Phantasie.
Um 19 Uhr gehts los, viele Argumente hat München nicht mehr für einen Sieg - aber man sollte nie unterschätzen, welche Kräfte die Angst vor einer Demütigung bei Spielern freisetzen kann. Ihren Prestigegnern die Feier zu versauen, dürfte den Bayern Ansporn genug sein - egal, ob sie dann nächste Woche daheim gratulieren müssen.
Beim letzten Final-Sweep im Frühsommer 2019 gab es da noch einen Beteiligten, der den vielleicht interessantesten Satz sagte: "Es geht nicht darum, ob du Titel gewinnst oder nicht. Es geht darum, die Dinge zu tun, an die du glaubst." Das war Albas Sportdirektor Himar Ojeda. Der Rest ist Geschichte.