Finanzielle Situation bei den Berlinern dramatisch - Ein düsteres wirtschaftliches Bild: Herthas verlorene Wette

Hertha BSC wollte mit dem Investment von Lars Windhorst und seiner Tennor Holding hoch hinaus. Geblieben ist von dem Geld und den Träumen nahezu nichts. Wirtschaftlich steht der Hauptstadtklub kaum besser da als vor den 375 Millionen Euro. Von Marc Schwitzky
"Von dem Geldregen ist so viel gar nicht mehr übrig." Das sagte Geschäftsführer Sport Fredi Bobic relativ zu Beginn seiner Amtszeit bei Hertha BSC im vergangenen Sommer. Viele hielten diesen Satz aus einem 11Freunde-Interview für plumpes Tiefstapeln. Womöglich hätte Bobic einfach nur im Sinn, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass die "Big City Club"-Zeiten vorbei seien - auch um Ablösesummen und Gehaltsvorstellungen senken zu können. Wirklich abgebrannt könne Hertha nach den Investitionen von Lars Windhorst doch unmöglich sein. In mehreren Tranchen hat seine Tennor Holding 375 Millionen Euro in den Hauptstadtklub gepumpt.
Ein tiefer Blick in Herthas Finanzen verrät allerdings: Dieses Investment wird Hertha finanziell bestenfalls auf null gehalten haben als dass es eine Aufschubhilfe in neue Sphären gewesen ist. Denn: Die wirtschaftliche Situation der "alten Dame" ist einmal mehr dramatisch.
Mit Hauruckaktion nach Europa
Die Geschichte von Herthas Finanzen seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst im Sommer 2019, sie ist die einer Wette. Eine Wette, die der Verein - allen voran die damalige Geschäftsführung, bestehend aus Michael Preetz für Sport und Ingo Schiller für Finanzen - erfolgsgierig eingegangen ist. Mit den Windhorst-Millionen sollte es hoch hinausgehen. Neben dem aktiven Abbau von Verbindlichkeiten der Vergangenheit sollte das viele neue Geld dafür genutzt werden, den Anschluss an die oberen Tabellenplätze der Bundesliga herzustellen. Schluss mit den zahllosen Saisons im grauen Mittelfeld, hinein in die Phalanx der etablierten Topklubs der Liga.
Zwar wurde damals seitens des Vereins von einem behutsamen Investieren gesprochen, die Realität sah jedoch anders aus. Bereits in der ersten Spielzeit nach Windhorsts Einstieg gab Hertha 110 Millionen Euro für neue Spieler aus. Waren es im Sommer "nur" 33,7 Millionen Euro für Neuzugänge, explodierten die Personalkosten im Winter regelrecht. Getrieben von der Goldgräberstimmung unter Interimstrainer Jürgen Klinsmann investierte der Hauptstadtklub zur Saisonhalbzeit 77 Millionen Euro in neue Spieler - mehr als jeder andere Verein auf der Welt.
Es ist die erwähnte Wette, die Hertha eingeht. Anstatt sich auf einen längerfristigen und nachhaltigen Plan zu einigen, den Verein organisch nach Europa zu führen, soll es mit einer Hauruckaktion sofort gelingen. Was davon geblieben ist, ist bekannt. Klinsmann ging spektakulär, der teure Kader mit einer aus den Fugen geratenen Gehaltsstruktur blieb. Die Realität hieß nicht Europa, sondern Abstiegskampf. Dann kam die Corona-Pandemie erschwerend hinzu. 2019/20 verzeichnete Hertha mit 53,5 Millionen Euro die höchsten Verluste aller Bundesligisten.
Ligaweit die größten Einbußen
Auch im Geschäftsjahr 2020/21 hat die "alte Dame" mit 77 Millionen Euro ligaweit die größten Einbußen hinnehmen müssen. "Viel Geld ist in Beine geflossen, etwa 100 Millionen Euro des Investments wurden in Spieler investiert. Etwa 130 Millionen Euro wurden investiert, um die Verluste aus den letzten beiden Spielzeiten auszugleichen", erklärt Sportökonom Christoph Breuer dem rbb. "Insgesamt wurden auch die Schulden etwas reduziert, die zu Beginn der Spielzeit 19/20 deutlich angestiegen sind, aber Stand heute hat Hertha BSC einen etwa gleichhohen Schuldenberg wie vor dem Windhorst-Investment."
2019 betrugen die Verbindlichkeiten 91,6 Millionen Euro, zum Ende des Geschäftsjahres 2021 sind es 99,6 Millionen Euro. Schuldenstand und Eigenkapital (107,5 Millionen Euro) befinden sich auf einem Niveau. "Das ist eine kritische Größe", so Breuer. "Insbesondere da die Anteile ja nicht noch einmal veräußert werden können. Ein finanzielles Sicherheitsnetz wurde also nicht geschaffen, diese Chance wurde vergeben."
Breuer: Personalausgaben als zentrales Problem
Breuer gibt als größtes Problem nach wie vor die Personalausgaben an: "Aus meiner Ansicht ist eine Anpassung der Gehaltsstrukturen unabdingbar." Vor dem Windhorst-Einstieg lag Hertha auf Bundesliga-Rang 13 in den Personalausgaben, heute ist es Platz acht - die sportliche Entwicklung zeigt jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Im Sommer 2019 gab Hertha laut eigenen Zahlen 59 Millionen Euro für Personal aus. 2021 waren es 92 Millionen Euro.
Zum Vergleich: Der SC Freiburg hat im Geschäftsjahr 2021 ein nahezu gleiches Rohergebnis wie Hertha erzielt - mit 104,2 Millionen Euro etwa 1,5 Millionen Euro mehr als die Berliner - verzeichnet mit 53,5 Millionen Euro aber einen beinahe halb so hohen Personalaufwand. "Wenn keine weiteren Tranchen eingehen, zeichnet sich eine dramatische wirtschaftliche Situation ab - wenn es keine erheblichen Einschnitte geben sollte", stellt Breuer klar. Der wirtschaftliche Anschluss an das vordere Mittelfeld der Liga - das beinhaltet Klubs wie Eintracht Frankfurt, Freiburg oder Mainz 05 - wurde laut dem Experten verpasst.
Für das Geschäftsjahr 2022 prognostiziert Herthas Finanz-Chef Schiller einen Verlust von 47 Millionen Euro. Aus den letzten drei Geschäftsjahren ergeben sich somit Gesamteinbußen in Höhe von 177,5 Millionen Euro. Hier lässt Breuer Corona als zentrales Argument nicht gelten. Die Pandemie sei nicht als vordergründiges Problem zu nennen, sondern vielmehr, dass Hertha sportlich-wirtschaftlich chronisch ineffizient arbeite. "Die Mindereinnahmen durch Corona haben nur dazu geführt, dass diese Schwachstellen schneller sichtbar wurden. Corona ist nicht die Ursache, sondern nur der Brandbeschleuniger."
Bis Ende 2023 werden 88 Millionen Euro an Verbindlichkeiten fällig
Es gibt somit gute Gründe, weshalb Fredi Bobic nun im zweiten Jahr infolge erklärt, einen Überschuss an Transfereinnahmen erzielen und die Gehaltsstruktur dringend anpassen zu müssen. Der Kader, den der 50-Jährige übernahm, war finanziell schlichtweg nicht tragfähig, er erdrückte den Verein. Bobic erwirtschaftete im vergangenen Sommer ein reines Transferplus von geschätzten 20 Millionen Euro. Hinzu kommen die insgesamt zehn Leihen von teilweise Topverdienern.
Der von Schiller angegebene Personalaufwand hat sich um knapp sieben Millionen Euro verringert, er beträgt nun 85,3 Millionen Euro. Auch im Sommer 2022 wird Hertha Teile seines Tafelsilbers veräußern müssen, um den Klub finanziell atmen lassen zu können. "Keiner ist unverkäuflich", versicherte Bobic Ende Mai.
"Hertha BSC steht heute finanziell nur leicht besser da als vor Windhorst", so das nüchterne Urteil Breuers. "Dass Hertha gewisse finanzielle Ausfälle aktuell noch besser wegstecken kann als manch anderer Traditionsverein in der Bundesliga, ist kein Dauerzustand - das lässt sich noch ein bis zwei Spielzeiten so kompensieren. Dann sind auch diese Millionen aufgebraucht." Für diese These spricht, dass für Hertha bis Ende 2023 zusammenfassend 88 Millionen Euro an Verbindlichkeiten fällig werden. Das geht aus dem jüngsten Jahresabschlussbericht hervor. Ein großer Teil davon ist die Rückzahlung der "Nordic Bonds"-Anleihe, die 40 Millionen Euro beträgt und aufgenommen wurde, um 2018 Finanzinvestor KKR auszahlen zu können.
Hertha muss kleinere Schrippen backen
Zusammenfassend zeichnet Herthas finanzielle Situation ein düsteres Bild. Der Verein hat jahrelang eklatant über seine Verhältnisse gelebt, doch der sportliche Erfolg hat sich nicht eingestellt. Nun muss in Form von massiven Einsparungen die Quittung gezahlt und zukünftig deutlich kleinere Schrippen gebacken werden. Das wohl noch beste Szenario wäre, dass Hertha als gesundeter Verein herauskommt, ohne Schulden, aber auch ohne oder nur mit sehr wenig Eigenkapital.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre ein schlüssiges sportliches Konzept mit Neu-Trainer Sandro Schwarz zu erarbeiten. Schwarz hat sowohl in Mainz als auch bei Dynamo Moskau bewiesen, sehr gut mit jungen Spielern arbeiten und somit Marktwerte schaffen zu können. Hertha sah sich womöglich schon weiter, doch an dem Rückschritt zum Ausbildungsverein führt kein Weg vorbei. Sonst wird Bobic in ein paar Jahren sagen müssen: "Von dem Verein ist so viel gar nicht mehr übrig."
Sendung: rbbUM6, 04.06.22, 18 Uhr