Herthas neuer Trainer Sandro Schwarz - Wer kennt diesen Mann?

Kann Sandro Schwarz Hertha BSC? Die Bundesliga verbindet mit dem einstigen Mainz-Trainer wenige Erinnerungen. Im rumorenden Hauptstadtklub soll er für Ruhe sorgen. Ausgerechnet mit Union Berlin hat Schwarz zwei Rechnungen zu begleichen. Von Shea Westhoff
Für einen ambitionierten Fußballtrainer dürfte es weit schlechtere Herkunftsorte als Mainz geben. In der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt scheint man quasi unwillkürlich auf die größten Trainer-Idole des Fußballgeschäfts zu treffen. Sandro Schwarz ist das Glück vergönnt gewesen, als Mainzer auf die Welt zu kommen.
Wer ihm dort nicht alles begegnete. Mit Marco Rose, seinem einstigen Teamkollegen beim FSV Mainz 05, verbindet ihn nach wie vor eine enge Freundschaft. Zusammen mit Jürgen Klopp streifte Schwarz das Mainzer Trikot über, bevor er später von ihm trainiert wurde. Als Schwarz später selbst Nachwuchs-Coach wurde, arbeitete er eng zusammen mit dem damaligen Cheftrainer bei den Profis, Thomas Tuchel.
Schwarz war anders als seine Vorgänger Klopp und Tuchel
Schwarz’ Bekanntschaften aus Mainzer Zeiten sind heute Fußball-Berühmtheiten, die ihren eigenen Trainerstil kultiviert haben. Mit Schwarz hingegen verbinden hierzulande die wenigsten irgendetwas. Welchen Übungsleiter hat sich Hertha da geangelt?
Mit dem glänzenden Arbeitsnachweis, die Mainzer U23-Mannschaft überraschend in die 3. Liga geführt zu haben, übernahm Schwarz im Sommer 2017 das Traineramt bei den Profis als Nachfolger von Martin Schmidt. Schwarz unterschied sich in seinen fast zweieinhalb Jahren als Cheftrainer grundlegend von manch anderem Trainer-Eigengewächs aus Mainz. Er galt nicht als charismatischer Charakterkopf, er war kein schillernder Sympathieträger, vermarktete nicht seine eigene Person oder seinen Spielstil. Er schien nicht als Identifikationsfigur für den Mainzer Anhang zu taugen.
Auch der Liga hinterließ Schwarz wenig bleibende Erinnerungen – obwohl er guten, teils mitreißenden Fußball spielen ließ. Schon in seiner ersten Bundesliga-Saison impfte er seinen Spielern einen offensiven Stil ein, mit hohem Pressing und mutigen Umschaltspiel.
Schwarz formte heutige Leistungsträger
Der Erstliga-Verbleib 2017/18 glückte indes nur knapp, allerdings mit denkwürdigen Siegen gegen Borussia Dortmund und RB Leipzig zum Saisonende. In seiner zweiten Spielzeit schälte sich als Grundformation ein 4-4-2-System heraus, mit einer Mittelfeld-Raute, die bis zu fünf Offensivspielern Entfaltungsmöglichkeiten bot. Der attraktive Fußball wurde am Ende von Schwarz’ zweiter Saison mit Platz 12 belohnt.
In seiner ruhigen, geradlinigen Art formte er in Mainz ein horizontales Teamgefüge. Profiteure waren Spieler, die heute teils gestandene Leistungsträger sind: Flügelspieler Ridle Baku, Torhüter Florian Müller, aber auch Suat Serdar, der über den FC Schalke mittlerweile bei Hertha gelandet ist und sich auf das Wiedersehen mit Schwarz besonders freuen dürfte.
Andere Ballkünstler wie Jean-Philippe Mateta und Robin Quaison konnten unter der Schwarz-Ägide glänzen - und schienen nach dessen Abgang nicht mehr wirklich an die einstige Form anknüpfen zu können.
Der Abschied von Sandro Schwarz folgte in seiner dritten Saison, Mainz kam nicht in Tritt, mit den gestiegenen Ansprüchen schwand die Geduld beim Vorstand. Nach neun Punkten aus den ersten elf Bundesligaspielen entließ der damalige Manager Rouven Schröder Sandro Schwarz.
Ein verbindlicher Trainertyp
Später konnte er beim russischen Erstligisten Dynamo Moskau überzeugen, einem Klub, der in Russland als graue Maus galt. Schwarz einte die junge Mannschaft, führte sie gemeinsam mit Assistenztrainer Andrej Voronin ins diesjährige Pokalfinale, beendete die Saison auf Platz drei.
Rätsel gab er auf, als er sich auch nach Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine entschloss, bis zum Saisonende Trainer in Moskau zu bleiben, während alle anderen internationalen Trainerkollegen ihre Koffer packten. Schwarz selbst gab an, er fühle sich für den Klub verantwortlich. Auf der Hertha-Homepage erläuterte Voronin diesen Entschluss seines einstigen Trainerkollegen: "Er hat gezeigt, dass es für ihn nicht nur um das Sportliche oder ums Geld ging, sondern darum, die Menschen vor Ort nicht im Stich zu lassen. Das zeichnet ihn aus." Gut möglich, dass diese Deutung genau so zutrifft.
Dass nun in chaotischen Hertha-Tagen ein gelassener und gleichsam verbindlicher Typ wie Sandro Schwarz wieder für Ruhe und Kontinuität sorgen könnte, scheint durchaus denkbar. Dass er dabei über eine eigene, mutige Spielidee verfügt, ist überdies die ideale Voraussetzung für einen gelingenden sportlichen Umbruch.
Union Berlin fügte ihm zwei schmerzhafte Pleiten zu
Welch Ironie, dass Herthas neuer Coach zwei Rechnungen offen hat mit dem Konkurrenten aus Köpenick. Union Berlin fügte ihm immerhin zwei seiner bittersten Niederlagen zu: Als Profi unterlag er 2002 am letzten Spieltag der 2. Bundesliga den Unionern, die den Mainzern damit den ersehnten Aufstieg zunichtemachten.
Zu seiner Zeit als Bundesliga-Trainer griffen die Unioner ebenfalls ins Schicksal von Schwarz ein: Das Team von Urs Fischer besiegte Mainz im Herbst 2019 mit 3:2 - danach wurde Schwarz entlassen und musste sich vorerst aus der Bundesliga verabschieden.
Mit Hertha hat Sandro Schwarz nun die Möglichkeit zur Revanche.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.06.2022, 10:15 Uhr