Trainer entlassen, Präsident zurückgetreten - Turbines Trümmerhaufen

Sa 11.06.22 | 15:00 Uhr | Von Fabian Friedmann und Lars Becker
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Melissa Kössler (1. FFC Turbine Potsdam, 25) enttäuscht schauend nach der 0:4-Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg. (Bild: MAGO / foto2press)
Audio: rbb24 Inforadio | 11.06.2022 | Lars Becker | Bild: MAGO / foto2press

Einem sportlich enttäuschenden Saisonende folgten bei Turbine Potsdam erhebliche personelle Querelen: Trainer, Präsident und wichtige Spielerinnen sind weg. Ex-Spielerin Kemme äußert heftige Kritik, steht aber nicht für einen Neuanfang zur Verfügung. Von Fabian Friedmann und Lars Becker

Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam gibt in diesen Tagen kein gutes Bild ab. Zuletzt überschlugen sich die Ereignisse beim einstigen Brandenburger Vorzeigeklub. Zunächst gab der Verein am 3. Juni die überraschende Trennung von Cheftrainer Sofian Chahed bekannt. Sechs Tage später verkündete Präsident Rolf Kutzmutz nach sieben Jahren an der Spitze des Vereins und insgesamt 22 Jahren in Turbine-Ämtern seinen Rücktritt.

Was ist passiert? Und wie geht es weiter?

Die Entscheidung Sofian Chahed zu entlassen hatte viele Beobachter zunächst verwundert. Der Ex-Herthaner hatte mit seiner Mannschaft eine sportlich unterm Strich respektable Saison abgeliefert. Neben Platz vier in der Tabelle stand das Erreichen des DFB-Pokalfinals, wo Turbine allerdings chancenlos mit 0:4 gegen den Favoriten VfL Wolfsburg den Kürzeren zog. Zuvor hatte man zudem in den letzten beiden Saisonspielen den fast schon sicher geglaubten Champions-League-Platz aufgrund zweier Niederlagen gegen Frankfurt (0:2) und Bayern (0:5) noch verspielt.

Trotz des enttäuschenden Saisonabschlusses schien Chahed sicher auf seinem Trainerstuhl zu sitzen, zumal er von Präsident Kutzmutz erst im Dezember mit einem neuen Vertrag bis 2025 ausgestattet worden war.

Doch es kam anders. Wie der rbb anonym von einigen Turbine-Spielerinnen erfuhr, soll es wohl schon länger Diskrepanzen zwischen Trainer und Mannschaft gegeben haben. Sowohl zwischenmenschlich als auch kommunikativ wurden Chahed Probleme attestiert, was auch Ex-Spielerin Tabea Kemme im Gespräch mit rbb24 Inforadio bestätigt: Es herrsche "eine Unzufriedenheit innerhalb der Mannschaft, dass es so nicht mehr ausreicht. Es braucht bestimmte Skills, sich vor ein Frauenteam hinzustellen und bestimmte Führungskompetenzen an den Tag zu legen", sagt Kemme bezüglich der Arbeit des Ex-Trainers.

Vorstand überstimmt Kutzmutz

Jedenfalls sah sich Turbines Vorstand nach diesen Vorwürfen zum Handeln gezwungen und entband Chahed vorletzte Woche von seinen Aufgaben als Cheftrainer. Das geschah allerdings gegen den Willen des damaligen Turbine-Präsidenten Rolf Kutzmutz, der dann aufgrund des Autoritätsverlustes seinen Rücktritt bekannt gab. "Diese Entscheidung habe ich auch auf mich bezogen, dass ich damit gescheitert bin. Wenn man den Verein liebt, wie ich ihn nach wie vor liebe, dann bleibt nur die Konsequenz nicht im Weg zu stehen", erklärt Kutzmutz seine Entscheidung zum Rücktritt.

Erst vor etwa einem Jahr wurde der 74-Jährige nach einem hart geführten und von Vorwürfen geprägten Wahlkampf gegen Ex-Spielerin Kemme nur knapp in seinem Amt bestätigt: Mit 110 zu 100 Stimmen. Schon damals legte das Ergebnis tiefe Spaltungen im Verein offen.

Kemme sieht strukturelle Probleme

Tabea Kemme wird, so sagt sie dem rbb, bei der anstehenden Präsidenten-Neuwahl nicht wieder antreten. Die Ex-Nationalspielerin betont, dass diese Entscheidung auch mit den Vorkommnissen im Klub und seinen strukturellen Problemen zusammenhänge: "Ich finde keine Identifikation mehr mit diesem Verein, wo ich lange Jahre gespielt habe." Der Verein käme, so Kemme, an vielen Stellen seiner Verantwortung bei der Ausbildung und Weiterentwicklung der Spielerinnen nicht mehr nach. Es fehle an Professionalität und an Kernkompetenz. Harte Worte einer verdienten, ehemaligen Nationalspielerin, die sich mittlerweile selbst in der Nachwuchsförderung engagiert.

"Auf der anderen Seite macht mich das traurig, weil ich weiß, wie es ist, wenn man den Traum hat in der 1. Bundesliga und dann in der Nationalmannschaft zu spielen. Dafür brauchst du einfach die Grundlagen und die kann der Verein derzeit nicht bieten", sagt die 30-Jährige über die aktuelle Situation bei Turbine. Kemme weiß, wovon sie spricht. Als Abwehrspielerin hatte sie von 2008 bis 2018 über 150 Pflichtspiele für Turbine Potsdam bestritten, darüber hinaus 47 Einsätze in der Nationalmannschaft.

Auf der anderen Seite macht mich das traurig, weil ich weiß, wie es ist, wenn man den Traum hat in der 1. Bundesliga und in der Nationalmannschaft zu spielen. Dafür brauchst du einfach die Grundlagen und die kann der Verein derzeit nicht bieten.

Tabea Kemme, Ex-Nationalspielerin und langjährige Spielerin von Turbine

Einige Führungsspielerinnen haben den Verein verlassen

Den Vorwurf, dass der Verein momentan sportlich nicht die beste Perspektive zu bieten habe, teilten wohl zuletzt auch einige Leistungsträgerinnen, die den Verein verlassen haben, darunter Kapitänin Sara Agrez (VfL Wolfsburg), Stürmerin Melissa Kössler (TSG Hoffenheim), das Eigengewächs Gina Chmielinski und Mittelfeldspielerin Dina Orschmann (beide Ziel offen).

Dass Agrez und Kössler zu den Ligakonkurrenten Wolfsburg beziehungsweise Hoffenheim wechseln, kommt nicht von ungefähr. Selbst Sofian Chahed räumte in einem Interview mit rbb24 im Frühjahr ein, dass der strukturelle und finanzielle Wettbewerb mit den Frauen-Teams der Bundesligisten Wolfsburg, Bayern, Hoffenheim und Frankfurt zukünftig immer noch schwieriger werden dürfte.

Wie geht es weiter in Potsdam?

Summa summarum steht Turbine Potsdam aktuell vor einem Trümmerhaufen: kein Präsident, kein Trainer, zahlreiche Abgänge und durch die Personalquerelen ein ramponiertes Image. Unterdessen sind der Geschäftsführer Stephan Schmidt und Ehrenpräsident Bernd Schröder erstmal auf Tauchstation gegangen. Mehr als eine kurze Pressemitteilung zu den Vorkommnissen kam von offizieller Seite des Vereins bislang nicht.

Dabei wartet viel Arbeit auf Turbine Potsdam. Es braucht schnellstmöglich eine neue, sportliche Führung, um die strukturellen Probleme anzugehen, am besten einen Sportdirektor, damit neue Spielerinnen mit Perspektive für die kommende Bundesliga-Saison verpflichten werden können. Die Vorbereitung darauf beginnt bereits am 4. Juli, doch die Aussichten sind momentan recht düster.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.06.2022, 14:15 Uhr

Beitrag von Fabian Friedmann und Lars Becker

8 Kommentare

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  1. 8.

    Mit Verlaub, auch wenn Sie Branchenkenner sind und daher meinen, über alles Bescheid zu wissen, ist es wohl weder zweckmäßig noch angemessen, über Tabea Kemme als „Frau Arsenal Sky“ zu sprechen und sie damit zu diskreditieren zu versuchen. Und Unstimmigkeiten zwischen Team und Trainer wurden nicht von ihr angesprochen, sondern von (anonym bleibenden) Spielerinnen in der MAZ. Also verbreiten doch bitte Sie hier keine Gerüchte.

  2. 7.

    Laut aktuellem IFFHS Kontinental Ranking liegt Turbine Potsdam auf Platz 27 der besten europäischen Klubs. Hier spielten einmal zu kleinen Gagen Weltfußballerin Ada Hegerberg, Weltmeisterin Alyssa Naeher und UEFA Frauen Chefin Nadine Kessler. Im aktuellen IFFHS Welt Ranking liegt Turbine Potsdam gemeinsam mit den Chicago Red Stars auf Platz 43, Eintracht Frankfurt auf Platz 64.

    "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche." - (Che Guevara).

  3. 6.

    Das unrühmliche Nachtreten von Melissa Kössler, die in Hoffenheim 4000,- Euro netto monatlich abkassieren wird, ist infam. Ihre Leistungen waren in den letzten Partien "grottenschlecht" und entsprachen nicht ihren überhöhten Forderungen. Zum Vergleich: mit 3.500 Euro netto Haushaltsbudget plus Kindergeld muss derzeit eine vierköpfige Familie mit schulpflichtigen Kindern finanziert werden. Weiterhin sind diplomatische Verhandlungen zu Sofian Chahed aufzunehmen und ihn wieder ins Boot zu holen. Dieser Mann hat es verdient.

    Es ist unverzüglich eine international besetzte Task Force zu bilden, also engagierten Netzwerkern aus der Wirtschaft, die Vorschläge für einen soliden Verbindungsaufbau zu potentiellen Sponsoren und Investoren ausarbeiten sowie ergebnisorientiert operativ umsetzt mit dem zeitlichen Ziel eines Ergebnisses bis zum Tag des Saisonbeginns. Mitte September.

  4. 5.

    Der Vorstand von Turbine Potsdam hat mit dem Rausschmiss des sportlichen Leiters einen kapitalen Fehler gemacht. Ohne eine Persönlichkeit, wie Trainer Chahed, kann keine Kaderplanung starten. Von einer Disharmonie zwischen Chahed und einigen Spielerinnen zu sprechen ist ein Gerücht ohne Substanz. Wer so etwas behauptet, schadet dem Verein, Frau Arsenal Sky.

    Auf Finanz-Vorständin Stephanie Draws und Vize-Präsidentin Ulrike Häfner lastet jetzt eine große Verantwortung. Ein Interimspräsident muss umgehend berufen werden, um operativ tätig zu werden. Hierzu sollten sich Personen bewerben, aus deren Kreis im Rahmen einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in das Amt gewählt und berufen werden. Turbine Geschäftsführer ist der loyale Stephan Schmidt, der dafür bekannt ist, Verantwortung zu übernehmen und ein kooperativer Teamarbeiter ist.

  5. 4.

    @Dennis: Ob konkret der DFB als zuständiger Verband Schuld ist oder jemand anderes: Fakt ist, dass Ostdeutschland auch im Sport stark vernachlässigt wird. Keine Sponsor*innen, keine Förderung vom Staat. Bis auf wenige Ausnahmen (und das meistens auch eher in Nicht-Mainstream-Sportarten) gibt es keinen Leistungssport im Osten. Hauptgrund sicherlich, dass Unternehmen im Westen zahlungskräftiger sind und die Leute weglocken. Das führt dann leider dazu, dass Konzerne wie Red Bull sich im Osten breitmachen und sich als dessen Stimme darstellen können.

    @Spandauer: Ich kann das aus der persönlichen Sichtweise gut nachvollziehen. Wenn man sein halbes Leben Herzblut in einen Verein steckt, dann aber vom Hof gejagt wird, weil man den Herrschaften zu anders (zu modern) ist, dann sagt man sich nicht einfach „Okay, jetzt doch.“ – erst recht nicht, wenn bis auf Kutzmutz die restliche Alte Garde weiterhin im Amt ist.

  6. 3.

    Merkwürdig, erst wollte Tabea Kemme unbedingt Präsidentin werden und alte Strukturen aufbrechen sowie Veränderungen herbeiführen. Jetzt, wo der alte Präsident weg ist, und der Weg frei ist, hat sie für einen Neuanfang plötzlich keine Lust mehr … War die Kandidatur doch nicht so ernst gemeint?

  7. 2.

    Ja, der böse dfb der die Ossies gängelt. Schön weiter an der Kummer Nummer arbeiten. Liegt vielleicht am eigenen Unvermögen? Nö,ist einfacher wenn andere Leute Schuld sind.

  8. 1.

    Läuft……nicht mehr bei DEM Aushängeschild der Landeshauptstadt. Ob die „graue Eminenz“,der Ehrenpräsident, da noch zuviel Einfluss hat/hatte? Solange Fußballvereine in Profiligen immer noch geführt werden, wie ein Gartenverein, und Personen nicht mitbekommen, daß ihre Zeit im Verein um ist, wird es sowas immer wieder geben. Viele Traditionsvereine können da ein Lied von singen. Egal ob in Ost oder West. Allerdings wird es im Osten der Republik immer etwas schwerer, wieder auf die Füße zu kommen. Dem „lieben“ DFB sei dank…..
    Allerdings stellt sich auch die Frage, welche „Skills“ Frau Kemme meint. Und da kommt man zum Potential der Spielerinen und der persönlichen Wahrnehmung. Ob da Anspruch & Wirklichkeit immer zueinander passen?

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