Trainer entlassen, Präsident zurückgetreten - Turbines Trümmerhaufen

Einem sportlich enttäuschenden Saisonende folgten bei Turbine Potsdam erhebliche personelle Querelen: Trainer, Präsident und wichtige Spielerinnen sind weg. Ex-Spielerin Kemme äußert heftige Kritik, steht aber nicht für einen Neuanfang zur Verfügung. Von Fabian Friedmann und Lars Becker
Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam gibt in diesen Tagen kein gutes Bild ab. Zuletzt überschlugen sich die Ereignisse beim einstigen Brandenburger Vorzeigeklub. Zunächst gab der Verein am 3. Juni die überraschende Trennung von Cheftrainer Sofian Chahed bekannt. Sechs Tage später verkündete Präsident Rolf Kutzmutz nach sieben Jahren an der Spitze des Vereins und insgesamt 22 Jahren in Turbine-Ämtern seinen Rücktritt.
Was ist passiert? Und wie geht es weiter?
Die Entscheidung Sofian Chahed zu entlassen hatte viele Beobachter zunächst verwundert. Der Ex-Herthaner hatte mit seiner Mannschaft eine sportlich unterm Strich respektable Saison abgeliefert. Neben Platz vier in der Tabelle stand das Erreichen des DFB-Pokalfinals, wo Turbine allerdings chancenlos mit 0:4 gegen den Favoriten VfL Wolfsburg den Kürzeren zog. Zuvor hatte man zudem in den letzten beiden Saisonspielen den fast schon sicher geglaubten Champions-League-Platz aufgrund zweier Niederlagen gegen Frankfurt (0:2) und Bayern (0:5) noch verspielt.
Trotz des enttäuschenden Saisonabschlusses schien Chahed sicher auf seinem Trainerstuhl zu sitzen, zumal er von Präsident Kutzmutz erst im Dezember mit einem neuen Vertrag bis 2025 ausgestattet worden war.
Doch es kam anders. Wie der rbb anonym von einigen Turbine-Spielerinnen erfuhr, soll es wohl schon länger Diskrepanzen zwischen Trainer und Mannschaft gegeben haben. Sowohl zwischenmenschlich als auch kommunikativ wurden Chahed Probleme attestiert, was auch Ex-Spielerin Tabea Kemme im Gespräch mit rbb24 Inforadio bestätigt: Es herrsche "eine Unzufriedenheit innerhalb der Mannschaft, dass es so nicht mehr ausreicht. Es braucht bestimmte Skills, sich vor ein Frauenteam hinzustellen und bestimmte Führungskompetenzen an den Tag zu legen", sagt Kemme bezüglich der Arbeit des Ex-Trainers.
Vorstand überstimmt Kutzmutz
Jedenfalls sah sich Turbines Vorstand nach diesen Vorwürfen zum Handeln gezwungen und entband Chahed vorletzte Woche von seinen Aufgaben als Cheftrainer. Das geschah allerdings gegen den Willen des damaligen Turbine-Präsidenten Rolf Kutzmutz, der dann aufgrund des Autoritätsverlustes seinen Rücktritt bekannt gab. "Diese Entscheidung habe ich auch auf mich bezogen, dass ich damit gescheitert bin. Wenn man den Verein liebt, wie ich ihn nach wie vor liebe, dann bleibt nur die Konsequenz nicht im Weg zu stehen", erklärt Kutzmutz seine Entscheidung zum Rücktritt.
Erst vor etwa einem Jahr wurde der 74-Jährige nach einem hart geführten und von Vorwürfen geprägten Wahlkampf gegen Ex-Spielerin Kemme nur knapp in seinem Amt bestätigt: Mit 110 zu 100 Stimmen. Schon damals legte das Ergebnis tiefe Spaltungen im Verein offen.
Kemme sieht strukturelle Probleme
Tabea Kemme wird, so sagt sie dem rbb, bei der anstehenden Präsidenten-Neuwahl nicht wieder antreten. Die Ex-Nationalspielerin betont, dass diese Entscheidung auch mit den Vorkommnissen im Klub und seinen strukturellen Problemen zusammenhänge: "Ich finde keine Identifikation mehr mit diesem Verein, wo ich lange Jahre gespielt habe." Der Verein käme, so Kemme, an vielen Stellen seiner Verantwortung bei der Ausbildung und Weiterentwicklung der Spielerinnen nicht mehr nach. Es fehle an Professionalität und an Kernkompetenz. Harte Worte einer verdienten, ehemaligen Nationalspielerin, die sich mittlerweile selbst in der Nachwuchsförderung engagiert.
"Auf der anderen Seite macht mich das traurig, weil ich weiß, wie es ist, wenn man den Traum hat in der 1. Bundesliga und dann in der Nationalmannschaft zu spielen. Dafür brauchst du einfach die Grundlagen und die kann der Verein derzeit nicht bieten", sagt die 30-Jährige über die aktuelle Situation bei Turbine. Kemme weiß, wovon sie spricht. Als Abwehrspielerin hatte sie von 2008 bis 2018 über 150 Pflichtspiele für Turbine Potsdam bestritten, darüber hinaus 47 Einsätze in der Nationalmannschaft.
Einige Führungsspielerinnen haben den Verein verlassen
Den Vorwurf, dass der Verein momentan sportlich nicht die beste Perspektive zu bieten habe, teilten wohl zuletzt auch einige Leistungsträgerinnen, die den Verein verlassen haben, darunter Kapitänin Sara Agrez (VfL Wolfsburg), Stürmerin Melissa Kössler (TSG Hoffenheim), das Eigengewächs Gina Chmielinski und Mittelfeldspielerin Dina Orschmann (beide Ziel offen).
Dass Agrez und Kössler zu den Ligakonkurrenten Wolfsburg beziehungsweise Hoffenheim wechseln, kommt nicht von ungefähr. Selbst Sofian Chahed räumte in einem Interview mit rbb24 im Frühjahr ein, dass der strukturelle und finanzielle Wettbewerb mit den Frauen-Teams der Bundesligisten Wolfsburg, Bayern, Hoffenheim und Frankfurt zukünftig immer noch schwieriger werden dürfte.
Wie geht es weiter in Potsdam?
Summa summarum steht Turbine Potsdam aktuell vor einem Trümmerhaufen: kein Präsident, kein Trainer, zahlreiche Abgänge und durch die Personalquerelen ein ramponiertes Image. Unterdessen sind der Geschäftsführer Stephan Schmidt und Ehrenpräsident Bernd Schröder erstmal auf Tauchstation gegangen. Mehr als eine kurze Pressemitteilung zu den Vorkommnissen kam von offizieller Seite des Vereins bislang nicht.
Dabei wartet viel Arbeit auf Turbine Potsdam. Es braucht schnellstmöglich eine neue, sportliche Führung, um die strukturellen Probleme anzugehen, am besten einen Sportdirektor, damit neue Spielerinnen mit Perspektive für die kommende Bundesliga-Saison verpflichten werden können. Die Vorbereitung darauf beginnt bereits am 4. Juli, doch die Aussichten sind momentan recht düster.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.06.2022, 14:15 Uhr