Tour de France - "Das kommt sehr nah an Gladiatoren-Kämpfe im alten Rom ran"

Am Freitag startet die 109. Ausgabe der Tour de France. Ex-Radprofi Jens Voigt erwartet dabei zwar keine Überraschung an der Spitze, dafür aber spektakuläre Bilder und deutsche Etappensiege - vielleicht auch von einem Berliner.
Jens Voigt ist aufgeregt. Das ganze Jahr schon fiebert er auf den Start der 109. Ausgabe der Tour de France hin. "Das ist der absolute Höhepunkt. Es ist das größte, schönste, stressigste, gefährlichste und schnellste Rennen der Welt", erzählt der 50-Jährige. Voigt weiß das genau, schließlich gewann der Ex-Radrennfahrer, der seine Laufbahn beim TSC Berlin begann, schon selbst zwei Etappen der berühmten Tour und begleitet sie immer noch als Experte für Eurosport.
Der unschlagbare Pogacar
Die Tour in diesem Jahr wird eine besondere werden. Zum ersten Mal findet der "Grand Depart" im hohen Norden in Kopenhagen statt. Und die Dänen freuen sich unheimlich darauf. Schon zur Mannschaftsvorstellung waren riesige Zuschauermassen gekommen. "Das wird auch während der Tour nicht anders. Es wird so voll werden wie nie zuvor", glaubt Voigt.
Weniger außergewöhnlich wird es wohl an der Spitze des Klassements zugehen. Der erst 23-jährige Slowene Tadej Pogacar gewann die Tour bereits in den letzten zwei Jahren und gilt auch bei der 109. Ausgabe als heißester Kandidat auf den Gesamtsieg. "Wenn er nicht krank wird, stürzt oder einen riesigen Fehler macht, wird es keine Möglichkeit geben, ihn zu schlagen", sagt Voigt voraus.
"Für die Fahrer wird es schrecklich"
Abwechslungsreicher dürften dafür die 3.346,6 Kilometer werden, die von Kopenhagen bis zur Zieleinfahrt auf dem Champs-Élysées in Paris zurückgelegt werden müssen. Nach dem Auftakt durch das Zentrum der dänischen Hauptstadt wartet auf die Zuschauer und Fahrer bereits in der zweiten Etappe ein echter Höhepunkt: die Storebaelt-Brücke oder auch Große-Belt-Brücke genannt.

"Ziemlich präzise 20 Kilometer vor dem Ziel fahren die Fahrer auf eine 18 Kilometer lange Brücke, auf der es überhaupt keinen Schutz vor Wind gibt. Für die Fahrer wird das schrecklich, super stressig, gefährlich und nervenaufreibend. Aber für uns Zuschauer wird es spektakuläre Bilder geben", verspricht Voigt.
Neben der Bergankunft im siebten Abschnitt wird es laut dem Ex-Radrennfahrer auch die fünfte Etappe in sich haben. Elf Kopfsteinpflaster-Passagen gilt es dort für die Fahrer zu bewältigen, Stürze sind also vorprogrammiert. Bereits im letzten Jahr hatte es zu Beginn der Tour viele Stürze und Ausfälle von Fahrern gegeben. "Leider ist diese Situation wieder zu erwarten", sagt Voigt. "Der Druck ist so hoch, dass die Fahrer bereit sind, verrückte Risiken einzugehen. Das kommt dann sehr nah an die alten Gladiatoren-Kämpfe in Rom ran."
Ein Berliner feiert Jubiläum
Einen Sturz und vorzeitiges Tour-Aus will der Berliner Simon Geschke unbedingt vermeiden. Schließlich feiert er mit seinem Start in diesem Jahr seine zehnte Teilnahme an der Tour de France. Voigt bezeichnet den 36-Jährigen als eisenharten Kämpfer, der niemals aufgeben würde. Im Team Cofidis ist er allerdings eher als Helfer eingeplant als tatsächlich um den Sieg mitzufahren. Ausschließen will Voigt einen Etappensieg des Berliners aber nicht. "Er hat schonmal eine Etappe gewonnen. Er weiß also, wie es geht. Die Tour de France ist unberechenbar, und wenn jemand bei ihm in der Mannschaft ausfällt, dann hat er eine Chance."
Mit Maximilian Schachmann geht noch ein zweiter Berliner Fahrer an den Start. Hinter dem 28-Jährigen steht allerdings ein großes Fragezeichen. Seine Vorbereitungen wurden durch eine Coronainfektion unterbrochen und es ist unklar, auf welchem Leistungsniveau er die Tour bestreiten kann.
Kleinstes deutsches Starterfeld seit 20 Jahren
Neben den beiden Berlinern nehmen in diesem Jahr nur sieben weitere deutsche Fahrer an der Tour de France teil. Es ist das kleinste deutsche Starterfeld seit 20 Jahren. Auch Voigt hätte mit mehr Landsleuten gerechnet. Das Problem sei vor allem eine strategische Entscheidung des Teams Lotto-Soudal, die den gesamten Anfahrtszug ihres Sprinters Caleb Ewan zuhause lassen würden. Allein dadurch würden drei deutsche Starter fehlen.
Trotzdem macht Voigt Hoffnung. Denn trotz der wenigen Teilnehmer sei Deutschland gut vertreten. "Bis auf die erste Etappe können wir jeden Tag einen deutschen Fahrer mit im Kampf um die Etappensiege erwarten. Ich rechne schon mit zwei oder drei deutschen Siegen", sagt der 50-Jährige. Vor allem Lennard Kämna und Nils Politt hätten schon bewiesen, dass sie immer für einen Etappensieg gut wären. "Und auch John Degenkolb hat schonmal eine Etappe übers Pflaster gewonnen", sagt Voigt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2022, 12.15 Uhr