Film | "Special Olympics – Spiele ohne Grenzen" - Sie hoffen auf Wettkämpfe und eine neue Einstellung der Menschen

Sechs Tage, 13 Länder, 20 Sportarten, 4.000 Sportlerinnen und Sportler: Am 19. Juni starten in Berlin die Special Olympics Deutschland. Die Sportler Silvio Wünsche, Collin Kröning und Juliana Rößler legen große Hoffnungen in die Wettkampftage. Von Ulrike Bieritz
Silvio Wünsche weiß was er kann. Er hat schon viele Medaillen bei Schwimmwettkämpfen gewonnen - auch bei vergangenen Special Olympics. Es ärgert ihn, wenn er gefragt wird, ob er bei den Paralympics mitmache. "Nein. Special Olympics", sagt er selbstbewusst. "Ich hasse es, dass man immer mit den Paralympics verwechselt wird. Wir sind bei den Special Olympics" – der weltweit größten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung.
Unter dem Motto "Gemeinsam stark" finden die Special Olympics Deutschland vom 19. bis 24. Juni 2022 in Berlin statt. Rund 4.000 Sportlerinnen und Sportler aus 13 Ländern kämpfen um Gold, Silber und Bronze. Im ganzen Stadtgebiet bestreiten sie in 20 Sportarten ihre Wettkämpfe.
"Ob, Gold, Silber oder Bronze. Das ist egal."
Es geht um höher, schneller, weiter, aber nicht nur darum. Sondern vor allem auch um Gemeinschaft, Zusammenhalt, Teamgeist, einfach Dabei-Sein und für so manchen auch um die Qualifikation für die Internationalen Wettkämpfe, die im kommenden Jahr ebenfalls in Berlin stattfinden.
Collin Kröning ist Läufer und Speerwerfer. Der Berliner Schüler gehört zu den jüngsten Teilnehmern. Zum Sport kam er über seine Kumpels, erzählt er, die alle schon Medaillen gewonnen hätten. Das wolle er auch: "Ob Gold, Silber oder Bronze. Das ist egal", sagt er. Und wenn es nicht klappt, meint er ganz gelassen, dann wäre eine Urkunde auch schön. Dafür strengt er sich sehr an und trainiert nun regelmäßig.
Collin ist zu früh auf die Welt gekommen, er leidet unter einer Wahrnehmungsstörung, hat eine Sprachstörung und eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. Er geht auf eine Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung in Berlin-Pankow. In seiner alten Schule sei er immer als Außenseiter hingestellt worden, erzählt er, hier auf der neuen Schule fühle er sich wohl. Am meisten Spaß macht ihm Schreiben und natürlich Sport, der ihm auch helfe, nicht mehr so oft auszurasten, wie früher.
Juliana freut sich auf die Zuschauer
Juliana Rößler hat schon viele sportliche Wettkämpfe absolviert. Sie wurde mit einem Wasserkopf geboren, erzählt sie und war viel krank. Die Folge: eine Lernschwäche. Heute arbeitet Juliana in den Lichtenberger Werkstätten, einer geschützten Einrichtung. In der Behindertenwerkstatt falle sie nicht so auf, meint sie, da seien alle ein bisschen anders. Das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, schmerzt und sei auch verletzend. Ausgleich und Anerkennung findet sie im Sport. Sie trainiert Kanu – ihre Disziplinen sind Einer, Zweier und Kanadier.
Juliana freut sich auf die Spiele, vor allem darauf, endlich wieder gemeinsam mit anderen Sport machen zu können. Und sie freut sich auf die Zuschauer. Die 38-jährige Kanutin kämpft um Gold. Im Einer hat sie das schon in der Tasche: 2019 bei den World Special Olympics in Abu Dhabi geholt. Die Siegerehrung sei schön gewesen, erinnert sie sich, das will sie nochmal erleben. Und vor allem möchte sie sich für die Weltspiele im nächsten Jahr in Berlin qualifizieren. "Die Menschen sollen offener werden", wünscht sich Juliana: "Vielleicht werden sie freundlicher, wenn sie kommen und uns auch anfeuern."
Ein befreiendes Gefühl von Leichtigkeit
"Es gibt eigentlich gar keine Behinderung. Es gibt nur eine Leistungsschwäche", meint Schwimmer Silvio Wünsche. Er könne einfach nur nicht das, was andere können, aber deswegen sei man doch nicht behindert. "Das Schwierigste am Leben mit einer geistigen Beeinträchtigung ist, dass die Leute keine Zeit haben zu warten", sagt Silvio. "...'Du kannst das nicht...', '...du bist ja eh zu langsam...', '...wir machen das lieber alleine...'" Und schon sei man abgestempelt und rausgeflogen aus einer Gesellschaft der sogenannten Normalen, der Siegertypen. Er ist ein Sieger, wie seine Lebensgefährtin Claudia.
Zweimal die Woche trainieren sie in der Berliner Schwimmhalle am Baumschulenweg. Schwimmen sei wie Urlaub, meint Silvio, im Wasser fühle er sich wohl und frei, es gebe nicht so viele Hindernisse, wie an Land. Und Claudia ergänzt: "Schwimmen ist für mich ein befreiendes Gefühl von Leichtigkeit, und man kann auch mal den Alltag vergessen." Es fühle sich an, als ob eine Last von den Schultern falle. "So wie ein neugeborener Mensch", sagt sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Der Erfolg gibt ihr recht. Bei den Special World Games 2019 in Abu Dhabi hat sie eine Silbermedaille im Freiwasser geholt und Silvio sogar die Goldene.
Sie alle hoffen, dass sich durch die Special Olympics in Berlin, mitten in der Hauptstadt die Einstellung zu Menschen mit Behinderungen ändert, weil sie endlich mal zeigen können, was sie können. Silvio sagt: "Wenn man sieht, was die anderen alles können, dann sieht die Welt doch besser aus." Und Collin meint, wer ihm zugucke, könne sehen, dass er zwar eine geistige Behinderung habe, aber körperlich fit sei. Juliana denkt derweil schon mal über Autogrammkarten nach.