Vor dem Trainingslager in England - Hertha auf der Suche nach sich selbst

Zwölf Tage lang wird sich Fußball-Bundesligist Hertha BSC im St. George's Park auf die neue Saison vorbereiten. Wo sonst England trainiert, will Trainer Sandro Schwarz eine Mannschaft herausschälen - aus einem XXL-Kader von 34 Spielern. Von Dennis Wiese
Team-Seminare im Grünen sind eine wunderbare Sache. Ein gemeinsames Wochenende mit der Bürobelegschaft am See, füreinander kochen, miteinander paddeln. Und danach merkt Herr Schulze womöglich, dass Frau Müller ja eigentlich doch ganz nett ist.
Auf der Suche nach einem Team, einem "Wir", ist auch Hertha BSC. Zwölf Tage lang hocken die Berliner Profi-Kicker - 30 Feldspieler plus vier Torhüter - nun im St. George's Park aufeinander. Das ist das Trainingszentrum des englischen Fußballverbands. Neben einem Platz mit originalgetreuem Wembley-Rasen verfügt die Anlage im Herzen Englands über hochmoderne Einrichtungen für Hydrotherapie, Videoanalyse und und und.
Alderete und Dilrosun reisen nicht mit nach England
Ob Hertha in England zusammenwächst, ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln kann, wird sich zeigen. Die große Herausforderung ist verbunden mit der Frage: Wer von den 34 mitreisenden Kickern ist überhaupt noch da, wenn die Saison so richtig losgeht. "Bauchschmerzen haben wir keine", sagte Trainer Sandro Schwarz nach der letzten Einheit vor der Abreise: "Die Gruppe wird sich noch verändern. Bisher zieht jeder gut mit."
Innenverteidiger Omar Alderete ist aktuelle auf der konkreten Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Er hat in der vergangenen Saison als Leihspieler beim FC Valencia auf sich aufmerksam gemacht, Hertha hofft auf gutes Geld, der Abwehrspieler wohl auf eine Zukunft in Spanien. Der Abschied von Außenbahnspieler Dilrosun steht dagegen nach einem Leih-Jahr in Bordeaux bereits fest. Der 24-Jährige wechselt in die niederländische Heimat zu Feyenoord Rotterdam.
Weitere Wechselkandidaten sitzen mit im Flugzeug
Hertha-Manager Fredi Bobic hat für diesen Transfer-Sommer die Devise ausgerufen, dass kein Spieler unverkäuflich sei. Allen voran Top-Verdiener Krzysztof Piatek soll gehen und damit das Budget entlasten. Doch nach finanziell dramatischen Corona-Jahren sitzt das Geld bei den eurpäischen Teams nicht gerade locker. 4,5 Millionen Euro Gehalt plus zehn Millionen oder mehr als Ablöse kann kaum jemand zahlen.
Also muss sich Trainer Schwarz gedulden. Auch die Wechselkandidaten Santiago Ascacibar und Deyovaisio Zeefuik sitzen mit im Flugzeug nach England. Erst muss Hertha Geld einnehmen, bevor es ausgegeben werden kann.
Immerhin soll der nigerianische Flügelstürmer Chidera Ejuke von ZSKA Moskau kommen. Der 24-jährige, der für eine Saison ausgeliehen werden soll, wartet Medienberichten zufolge nur noch auf sein Visum.
Schwarz ist mit dem Anfang zufrieden
Die Unsicherheiten im Hinblick auf seine künftige Elf muss Trainer Schwarz hinnehmen. Und in England zugleich eine Mannschaft herausschälen. Diese soll Fußball arbeiten, kämpfen, den Gegner mit Pressing früh unter Druck setzen. Und vor dem gegnerischen Tor endlich gefährlicher werden. An dieser Zielsetzung sind in den vergangenen drei Jahren reihenweise Trainer bei Hertha gescheitert.
Mit dem Anfang zeigt sich Schwarz zufrieden: "Was wir in den zweieinhalb, drei Wochen gemacht haben, ist ordentlich: Athletisch und auch mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen. Ansätze sind zu sehen. Wir wollen nicht selbstzufrieden sein, sondern knallhart dranbleiben und uns weiter verbessern."
Boateng als Herbergsvater der Arbeitertruppe
Was Schwarz Mut machen kann, sind die letzten Wochen der vergangenen Saison. In den finalen Spielen um den Klassenerhalt war eine Einheit zu erkennen. Mit Prince Boateng als Einpeitscher und Bessermacher. Boateng soll mit seiner Erfahrung nun eine Art Herbergsvater geben und die vielen jungen, internationalen Spieler anführen.
Mindestens drei Testspiele wird Hertha in England absolvieren: Gegen Derby County (16. Juli), Nottingham Forest mit Unions bisherigem Top-Torjäger Taiwo Awoniyi (20. Juli) und gegen West Bromwich Albion (23. Juli). Nach der Englandreise sollten die Berliner die Selbstfindung möglichst bald abschließen. Denn schon am 31. Juli wartet mit dem DFB-Pokalspiel bei Zweitliga-Neuling Braunschweig die erste Pflichtaufgabe dieser Saison.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.07.2022, 16:15 Uhr