Interview | Orschmann-Zwillinge - "In der Bundesliga habe ich so viel verdient wie eine Kassiererin bei Edeka"

Am Mittwoch startet die Fußball-EM 2022. Die Zwillinge Katja und Dina Orschmann aus Berlin hatten gute Voraussetzungen, um für Deutschland zu spielen. Im Interview erzählen sie, warum es nicht dazu kam und es sie ins Ausland zog.
rbb: Katja und Dina Orschmann - zwei hochtalentierte deutsche Fußballerinnen, die als sichere Kandidatinnen für die deutsche Nationalmannschaft gehandelt wurden. Doch die EM in England findet ohne Sie statt. Nun soll die Karriere aber im Ausland Fahrt aufnehmen. Warum?
Dina Orschmann: Ich glaube, dass der Trend aktuell tatsächlich ins Ausland geht, weil im Ausland halt viel mehr passiert. Gerade weil Länder wie England, Frankreich oder die USA im Frauen-Fußball schon mehr gemacht haben in den letzten Jahren, beziehungsweise das Ganze professioneller ist als hier in Deutschland.
Ich glaube aber, dass Deutschland auch gerade wachgerüttelt wird und die EM vielleicht auch zeigen wird, wie viel Potenzial hier noch vorhanden ist oder wie weit wir noch gehen müssen.
Dina, du warst bereits in den USA, Katja, du gehst jetzt dorthin. Was macht den Fußball dort so viel besser als hier?
Katja: In den USA ist es so, dass der Fußball auch abseits des Platzes eine ganz andere Wertschätzung bekommt. Das lässt sich auch an den Universitäten beobachten. Man bekommt einen gesonderten Berater, der für dich zuständig ist und darauf achtet, dass du in den Unikursen mitkommst und deine Leistung bringst. Die Lücke, die durch Training und Spiele entsteht, wird gefüllt.
Das ist hier in Deutschland einfach unglaublich schwer, weil diese Anerkennung für den Sport im Bildungszweig teilweise noch nicht so angekommen ist. Und das finde ich persönlich schade, denn es ist eine enorme Leistung, das alles nebenbei zu machen.
Dina: Bei uns im College war der Frauen-Fußball einfach der Topsport. Die Zuschauerzahl war enorm hoch, also deutlich höher als hier in der zweiten Liga oder jetzt noch in der ersten Liga. Durchschnittlich waren teilweise 3.000 Leute da. Und hier lag der Zuschauerschnitt bei Turbine Potsdam im letzten Jahr bei 1.200.
Also die Mentalität da drüben ist einfach eine ganz andere. Und das wünsche ich mir natürlich auch für den deutschen Fußball, dass der Frauen-Fußball auch für sich steht und nicht als Abtreter vom Männerfußball gesehen wird.
Haben Sie den Eindruck, dass der Fußball der Frauen im Vergleich zu dem der Männer immer noch zu sehr belächelt wird?
Dina: Absolut. Gang und gäbe beim Frauen-Fußball ist hier ja immer noch, dass blöde Kommentare seitens der Männer kommen. Ich setze mich auch gerade im Verein sehr dafür ein, dass es sich verbessert. Aber diese Diskriminierung kriegt man erstmal nicht so schnell raus. Auch den Lohnunterschied nicht: Bei meinem vorherigen Verein in der 1. Bundesliga [Anm. d. Red.: Turbine Potsdam] würde ich mein Gehalt mit dem einer Kassiererin bei Edeka vergleichen.
Im College in den USA wurde mir für ein Jahr mehr als 40.000 Euro Studiogebühren bezahlt und noch mehr. Bei den Glasgow Rangers verdiene ich jetzt das Dreifache wie hier in Deutschland, plus Wohnung und Auto. Damit muss ich mir keine finanziellen Sorgen machen und kann mich endlich voll auf den Leistungssport fokussieren.
Katja: Genau. Während ich als junge Spielerin bei Turbine Potsdam in der zweiten Mannschaft gespielt habe, gab es schon einmal den Zeitpunkt, an dem ich mich in Richtung 1. Bundesliga und vielleicht auch in Richtung Nationalmannschaft hätte entwickeln können.
Allerdings: Ich musste auch noch unter schwierigen Bedingungen studieren. Zum Teil habe ich auf der Rückfahrt vom Auswärtsspiel während der zwölf Stunden im Bus versucht zu lernen. Alles andere als einfach. Außerdem musste ich mein Leben auch noch finanzieren und deswegen nebenbei arbeiten. Diese Dreifachbelastung war auf Dauer einfach zu viel. Bei mir haben dann einige Verletzungen dazu geführt, dass ich mich aus dem Leistungssport etwas zurückgezogen habe. Die Dreifachbelastung selbst führt bei vielen Mädchen aber sicherlich schon alleine dazu, dass sie mit dem Leistungssport aufhören. Das ist schon traurig.
[Anm. d. Red: Junge männliche Talente gehen meist auf von den Vereinen bezahlte Internate. Besonders gute Jugendspieler haben bereits hochdotierte Verträge, in denen auch Gehälter festgelegt sind. Ein Studium oder eine Ausbildung kommen bei Männern dann häufig erst nach der Karriere in Frage.]
Wie haben Sie sich trotz der vielen geschilderten Widerstände dennoch für den Leistungssport motivieren können?
Dina: Das habe ich mich in dem Buch, das ich geschrieben habe, auch oft gefragt.
[Anm. d. Red.: In diesem Jahr hat Orschmann das Crowdfunding-Projekt "Rundum fit" veröffentlicht, ein Frauen-Fußball-Buch, das Tipps zu den Themen individuelles Training, gesunde Ernährung und positive Denkweise bieten soll. Eine Mischung aus Ratgeber für junge Kickerinnen und ihrer ganz eigenen Geschichte.]
Ich glaube, das lag an dieser inneren Motivation und Leidenschaft, die wir durchgängig hatten für den Fußball, der uns ja auch so viel gegeben hat. Das darf man auch nicht vergessen. Wir waren mit U-Nationalmannschaften in der ganzen Welt unterwegs. Das war schon toll. Und wir haben nie darüber nachgedacht, ob wir nach der Schule direkt in die Bahn steigen, um zum Training zu fahren. Du machst das einfach, und ich glaube, ein großer Vorteil war natürlich, dass wir diese Leidenschaft geteilt haben und immer zusammen waren.
Katja: Ich denke nicht darüber nach, was uns der Fußball nicht gebracht hat, sondern was er uns gebracht hat. Zum Beispiel das erste Tor, das Dina gegen Wacker 21 geschossen hat. Unvergessen, wie sie den Ball fast im Umfallen noch mit rechts ins linke Eck geschossen hat, wieder hochkam und dann durchs halbe Stadion gerannt ist. [beide lachen]
Dina: Es gibt sogar noch ein Video, das unser Vater gemacht hat und danach die Musik von "Das Wunder von Bern" daruntergelegt hat.
Katja: Zuhause hat er ein ganzes Archiv auf seinem Computer. Also rückblickend haben wir natürlich sehr viel nicht erlebt, Partys zum Beispiel. Es ist halt einfach ein anderer Lebensstil, den man sich aufbaut, aber kein schlechterer. Und ich bin da sehr dankbar für. Bereuen tun wir glaube ich beide nichts.
Dina: Nein.
Das Gespräch mit Dina und Katja Orschmann führte Lukas Kuite, rbb24 Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag im Audio hören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.07.2022, 10:45 Uhr