Interview | Orschmann-Zwillinge - "In der Bundesliga habe ich so viel verdient wie eine Kassiererin bei Edeka"

Mi 06.07.22 | 16:56 Uhr
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Dina und Katja Orschmann (Quelle: rbb/Lukas Kuite)
Video: rbb|24 | 06.07.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb/Lukas Kuite

Am Mittwoch startet die Fußball-EM 2022. Die Zwillinge Katja und Dina Orschmann aus Berlin hatten gute Voraussetzungen, um für Deutschland zu spielen. Im Interview erzählen sie, warum es nicht dazu kam und es sie ins Ausland zog.

rbb: Katja und Dina Orschmann - zwei hochtalentierte deutsche Fußballerinnen, die als sichere Kandidatinnen für die deutsche Nationalmannschaft gehandelt wurden. Doch die EM in England findet ohne Sie statt. Nun soll die Karriere aber im Ausland Fahrt aufnehmen. Warum?

Dina Orschmann: Ich glaube, dass der Trend aktuell tatsächlich ins Ausland geht, weil im Ausland halt viel mehr passiert. Gerade weil Länder wie England, Frankreich oder die USA im Frauen-Fußball schon mehr gemacht haben in den letzten Jahren, beziehungsweise das Ganze professioneller ist als hier in Deutschland.

Ich glaube aber, dass Deutschland auch gerade wachgerüttelt wird und die EM vielleicht auch zeigen wird, wie viel Potenzial hier noch vorhanden ist oder wie weit wir noch gehen müssen.

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Dina und Katja Orschmann (Quelle: rbb/Lukas Kuite)
rbb/Lukas Kuite

Katja und Dina Orschmann wurden am 08.01.1998 in Berlin geboren. Beide starteten ihre Karrieren im Nachwuchs des SFC Stern 1900. 2013 ging es für sie zu Union Berlin. Sie wurden Junioren-Nationalspielerinnen.

Dina spielte für Turbine Potsdam in der 1. Bundesliga. Jetzt wechselt sie nach Schottland zu den Glasgow Rangers, um dort Champions League zu spielen. Katja wurde im Diensten von Union Berlin gerade zu Berlins Fußballerin des Jahres gewählt. Jetzt wechselt sie an die Lynn University nach Florida.

Dina, du warst bereits in den USA, Katja, du gehst jetzt dorthin. Was macht den Fußball dort so viel besser als hier?

Katja: In den USA ist es so, dass der Fußball auch abseits des Platzes eine ganz andere Wertschätzung bekommt. Das lässt sich auch an den Universitäten beobachten. Man bekommt einen gesonderten Berater, der für dich zuständig ist und darauf achtet, dass du in den Unikursen mitkommst und deine Leistung bringst. Die Lücke, die durch Training und Spiele entsteht, wird gefüllt.

Das ist hier in Deutschland einfach unglaublich schwer, weil diese Anerkennung für den Sport im Bildungszweig teilweise noch nicht so angekommen ist. Und das finde ich persönlich schade, denn es ist eine enorme Leistung, das alles nebenbei zu machen.

Dina: Bei uns im College war der Frauen-Fußball einfach der Topsport. Die Zuschauerzahl war enorm hoch, also deutlich höher als hier in der zweiten Liga oder jetzt noch in der ersten Liga. Durchschnittlich waren teilweise 3.000 Leute da. Und hier lag der Zuschauerschnitt bei Turbine Potsdam im letzten Jahr bei 1.200.

Also die Mentalität da drüben ist einfach eine ganz andere. Und das wünsche ich mir natürlich auch für den deutschen Fußball, dass der Frauen-Fußball auch für sich steht und nicht als Abtreter vom Männerfußball gesehen wird.

Haben Sie den Eindruck, dass der Fußball der Frauen im Vergleich zu dem der Männer immer noch zu sehr belächelt wird?

Dina: Absolut. Gang und gäbe beim Frauen-Fußball ist hier ja immer noch, dass blöde Kommentare seitens der Männer kommen. Ich setze mich auch gerade im Verein sehr dafür ein, dass es sich verbessert. Aber diese Diskriminierung kriegt man erstmal nicht so schnell raus. Auch den Lohnunterschied nicht: Bei meinem vorherigen Verein in der 1. Bundesliga [Anm. d. Red.: Turbine Potsdam] würde ich mein Gehalt mit dem einer Kassiererin bei Edeka vergleichen.

Im College in den USA wurde mir für ein Jahr mehr als 40.000 Euro Studiogebühren bezahlt und noch mehr. Bei den Glasgow Rangers verdiene ich jetzt das Dreifache wie hier in Deutschland, plus Wohnung und Auto. Damit muss ich mir keine finanziellen Sorgen machen und kann mich endlich voll auf den Leistungssport fokussieren.

Katja: Genau. Während ich als junge Spielerin bei Turbine Potsdam in der zweiten Mannschaft gespielt habe, gab es schon einmal den Zeitpunkt, an dem ich mich in Richtung 1. Bundesliga und vielleicht auch in Richtung Nationalmannschaft hätte entwickeln können.

Allerdings: Ich musste auch noch unter schwierigen Bedingungen studieren. Zum Teil habe ich auf der Rückfahrt vom Auswärtsspiel während der zwölf Stunden im Bus versucht zu lernen. Alles andere als einfach. Außerdem musste ich mein Leben auch noch finanzieren und deswegen nebenbei arbeiten. Diese Dreifachbelastung war auf Dauer einfach zu viel. Bei mir haben dann einige Verletzungen dazu geführt, dass ich mich aus dem Leistungssport etwas zurückgezogen habe. Die Dreifachbelastung selbst führt bei vielen Mädchen aber sicherlich schon alleine dazu, dass sie mit dem Leistungssport aufhören. Das ist schon traurig.

[Anm. d. Red: Junge männliche Talente gehen meist auf von den Vereinen bezahlte Internate. Besonders gute Jugendspieler haben bereits hochdotierte Verträge, in denen auch Gehälter festgelegt sind. Ein Studium oder eine Ausbildung kommen bei Männern dann häufig erst nach der Karriere in Frage.]

Wie haben Sie sich trotz der vielen geschilderten Widerstände dennoch für den Leistungssport motivieren können?

Dina: Das habe ich mich in dem Buch, das ich geschrieben habe, auch oft gefragt.

[Anm. d. Red.: In diesem Jahr hat Orschmann das Crowdfunding-Projekt "Rundum fit" veröffentlicht, ein Frauen-Fußball-Buch, das Tipps zu den Themen individuelles Training, gesunde Ernährung und positive Denkweise bieten soll. Eine Mischung aus Ratgeber für junge Kickerinnen und ihrer ganz eigenen Geschichte.]

Ich glaube, das lag an dieser inneren Motivation und Leidenschaft, die wir durchgängig hatten für den Fußball, der uns ja auch so viel gegeben hat. Das darf man auch nicht vergessen. Wir waren mit U-Nationalmannschaften in der ganzen Welt unterwegs. Das war schon toll. Und wir haben nie darüber nachgedacht, ob wir nach der Schule direkt in die Bahn steigen, um zum Training zu fahren. Du machst das einfach, und ich glaube, ein großer Vorteil war natürlich, dass wir diese Leidenschaft geteilt haben und immer zusammen waren.

Katja: Ich denke nicht darüber nach, was uns der Fußball nicht gebracht hat, sondern was er uns gebracht hat. Zum Beispiel das erste Tor, das Dina gegen Wacker 21 geschossen hat. Unvergessen, wie sie den Ball fast im Umfallen noch mit rechts ins linke Eck geschossen hat, wieder hochkam und dann durchs halbe Stadion gerannt ist. [beide lachen]

Dina: Es gibt sogar noch ein Video, das unser Vater gemacht hat und danach die Musik von "Das Wunder von Bern" daruntergelegt hat.

Katja: Zuhause hat er ein ganzes Archiv auf seinem Computer. Also rückblickend haben wir natürlich sehr viel nicht erlebt, Partys zum Beispiel. Es ist halt einfach ein anderer Lebensstil, den man sich aufbaut, aber kein schlechterer. Und ich bin da sehr dankbar für. Bereuen tun wir glaube ich beide nichts.

Dina: Nein.

Das Gespräch mit Dina und Katja Orschmann führte Lukas Kuite, rbb24 Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag im Audio hören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.07.2022, 10:45 Uhr

16 Kommentare

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  1. 16.

    Sie haben bestimmt mehr verdient, aber weniger bekommen!

  2. 15.

    Diese "Werberede" hilft mehr als sinnlose Forderungen unter dem sachlich falschem "Diskriminierungsdeckmantel". Viel Erfolg!

  3. 14.

    Schade, dass Deutschland noch immer ein Land von Chauvis ist, in dem topfite Frauen von alten, bierbäuchigen Männern belächelt werden oder sogar schlimmeren Diffamierungen ausgesetzt sind. Da kann ich als (gerande noch) Angehöriger der Boomer-Generation, die ihre umfangreichen Defizite auf allen Gebieten ja täglich zeigt, wohl nur auf die Generation meines Sohnes hoffen.

  4. 13.

    Das hier ist das Forum für alte, weiße Männer, oder? Dann bin ich ja richtig, 53 Jahre, Bauchansatz :-)

    Jetzt aber im Ernst: Die Ökonomie bestreitet niemand. Gehälter müssen verdient werden, in jeder Branche. Der Punkt ist, dass es sich lohnt, daran zu arbeiten, die fußballerischen Spitzenleistungen auch der Frauen einem breiteren Publikum überhaupt mal aktiv anzubieten. Wer an der Sportart interessiert ist, könnte schnell auf den Geschmack kommen - schneller, taktisch klüger, athletischer und technisch viel besser, als die Männer es in den 1990ern hinbekommen haben. Und das beste: fast komplett ohne sterbende Schwäne und Ballerinas, die nach Nahtoderfahrung im Strafraum kurz darauf wieder rennen können.

    Einen sachlichen Grund, warum die Disziplin weniger interessant sein sollte, wenn sie von Frauen ausgeübt wird, gibt es jedenfalls nicht. Übrigens auch nicht in der Leichtathletik, beim Schwimmen usw.

    Wir kriegen das schon noch hin, mit den vollen Stadien :-)

  5. 12.

    Ihr Frau/Mann Feindbild behalten Sie bitte für sich. Meinem Kommentar und den Meisten hier ist das fremd. So tragen Sie Nichts bei. Sie zeigen ohne Not eine Verunglimpfung an um "Leistungen" zu erschleichen statt zu erarbeiten? Am besten Sie lesen den Ursprung nochmal mit anderen Augen...

  6. 11.

    Immer diese Diskriminierungs-Keule. Ich sehe hier null Diskriminierung. Die Frauen haben ihre Ligen und Europa- und Weltmeisterschaften, die auch im Fernsehen übertragen werden. Wo ist das Problem?

  7. 10.

    Kassiererin bei Edeka kann Anstrengender sein als seinem Hobby Fußball nachzugehen

  8. 9.

    Ich verstehe schon, daß die Frauen gerne etwas mehr Geld hätten, sie spielen ja auch Fußball. Hier zieht aber das Thema Gleichbehandlung nicht. In einer Firma wird die Arbeit zu einem Endprodukt von beiden Geschlechtern gleichermaßen erledigt und sollte auch gleich vergütet werden - ich denke hier besteht Einigkeit. Beim Fußball ist es völlig anders, da produzieren Männer denn MännerFußball mit einer hohen Nachfrage und Frauen produziert ein anderes Produkt und zwar Frauenfußball mit einer geringen Nachfrage. Insofern ist der Ansatz gleiches Geld für gleiche Arbeit Hier nicht an zu setzen beziehungsweise nur innerhalb der Geschlechtergruppen. Dem Frauen Fußball steht folglich auch nur so viel Geld zur Verfügung, wie er erwirtschaften kann. Dieses Geld kann unter den Fußballerinen verteilt werden. Das geht ja in der Wirtschaft auch nicht, dass zum Beispiel ein Produzent von xy-Software sagt, das Management z.B. SAP Bekommt ja viel mehr Geld, wir müssen bei XY das gleiche bekommen.

  9. 8.

    Du verstehst nicht,dass es sich um ein reines Problem des Marktes handelt. Man kann nur das verdienen,was man einspielt. Es geht nicht um das Geschlecht. Frauen- und Männerfußball unterscheidet sich nun mal,auch wenn es die selbe Sportart ist. Wenn nicht,würde es auch gemischte Mannschaften geben.

  10. 7.

    @Ralph Neuert: Dass Sie die Misstände benennen, ist zwar schön, aber dass sie die Erklärung (massive, jahzehntelange und strukturelle Diskriminierung) unterschlagen, weniger.

    @Wossi: Wo steht etwas von Millionen? Frauen im Fußball fordern, dass sie von ihrem Beruf leben können, denn das ist derzeit nicht der Fall. Millionen strebt kaum jemand von ihnen an. Und selbst wenn, würde ich Sie darum bitten, sich erstmal unter jedem einzelnen Artikel zu männlichen Spielern zu beschweren, denn Sie wollen sicher nicht den Eindruck erwecken, Sie hätten es darauf abgesehen, nur Sportlerinnen zu attackieren.

    @Robinson: Es geht nicht um den Vergleich mit anderen Sportarten, die grundsätzlich finanziell schlechter stehen als der Fußball, sondern um den Unterschied zwischen Männern und Frauen. Vielleicht liegt ja das Problem bei den Millionen der Männer und nicht den paar Kröten mehr, die die Frauen gerne hätten.

  11. 6.

    Fußball ist eine Ware und muss das Einspielen, was man dafür ausgeben will. Die Spielerinnen jammern auf hohem Niveau. Es gibt andere Sportarten, da müssen die Nationalmannschaften oder Einzelsportler wenn sie zur WM oder EM fahren sogar ihre Reisekosten selber tragen, über Gehalt reden wir schon gar nicht. Die Fußballerinnen waren international unterwegs und die Kosten wurden für sie bezahlt. Etwas Bescheidenheit würde gut tun und einfach kleinere Brötchen backen und sich nicht mit dem Produkt Männerfußball vergleichen. - oder einfach (wie geschehen) in ein Land wechseln wo mehr Interesse daran besteht und somit besser bezahlt werden kann.

  12. 5.

    Also ich finde ja Frauenfußball ist tatsächlich eine andere Sportart, als was man kennt im klassischen Sinne.

  13. 4.

    Beide Halbfinals werden an einem einzigen Austragungsort ausgetragen, wobei die Sieger jedes Duells am 21. August in einem Finale um einen Platz in Runde 2 gegeneinander spielen. Einzelheiten zum Spiel, einschließlich Austragungsort und Anstoßzeiten, werden zu gegebener Zeit bestätigt. Der bevorstehende Umzug nach Glasgow wird sicherlich etwas Nerven kosten, da die Schotten natürlich schnell mit dem Training starten müssen, um nicht gleich auszuscheiden im UWCL Mini-Turnier.

    Schade, die Kassiererinnen wandern aus und werden darüber sicherlich ein weiteres Buch schreiben können. Übrigens Staatsbürgerkunde findet meist im Ehrenamt in der heimischen Kommunalpolitik statt. Dazu sind in der Regel 5 bis 8 Jahre zu investieren, neben Familie, Beruf und Freizeit. Ich hoffe, dass ich meine freundliche Rewe Kassiererin dazu bewegen kann, in die Politik zu gehen oder aktives Mitglied eines Sportvereines zu werden. Die rbb-Redaktion sollte populistische Headlines vermeiden, im Text ist es ok.

  14. 3.

    Sollte der angekündigte Wechsel von Dina Orschmann in den nächsten Tagen von den Rangers verifiziert werden und offiziell bestätigt werden, steht die Ex-Teilzeit-Fußballerin aus der deutschen Bundesliga schon am 18. August im Kader des UWCL Debütanten Glasgow Rangers. Die Rangers wurden in Runde 1 gegen den ungarischen Meister Ferencváros gelost

    Die Rangers wurden in Gruppe 2 mit dem anderen Halbfinalspiel in dieser Gruppe zwischen dem griechischen Klub PAOK und den Swansea City Ladies gelost. Die "Light Blues" treffen also am 18. August auf den ungarischen Meister, wenn die Mannschaft von Malky Thomson ihr Debüt im europäischen Wettbewerb gibt.

  15. 2.

    Warum sollte Turbine Pdm mehr Gehalt als Edeka bezahlen? Warum? Da verkennt jemand die Einnahmesituation und warum das so ist. Millionengehälter für ganz ganz Wenige hat mit Vermarktung zu tun. Und genau das dürfen Fußballerinnen auch. Deshalb sind sie NICHT diskriminiert. Wenn man selber dafür sorgt, dass genug und Millionen Fans das sehen wollen, dann bekommt man auch mehr. Von alleine eben nicht.

  16. 1.

    Auch beim Frauenfußball geht es nach den Gesetzen des Marktes. Kein öffentliches Interesse, keine Zuschauer, keine Werbeeinnahmen, kein üppiges Gehalt wie bei den Männern. Ganz einfach.
    Zum Frauenfußball an sich schweige ich ganz höflich.

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