Turbine Potsdam startet Vorbereitung - Neustart mit Rauschebart

Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam steckt mitten in einem gewaltigen Umbruch. Nach vielen Abgängen im Team und im Verein geht es mit dem neuen Trainer Sebastian Middeke in die Saisonvorbereitung. Von Dennis Wiese
Der erste Tag am neuen Arbeitsplatz kann eine echte Herausforderung sein. Sollte Sebastian Middeke, der neue Trainer von Turbine Potsdam, so etwas wie Aufregung verspürt haben, dann konnte man die dem ehemaligen Meppener nicht anmerken. Der 38-Jährige strahlte bei seiner ersten Einheit in Potsdam, klatschte, motivierte, nach Ende des Trainings plauderte er mit den Fans.
Der Mann mit dem Rauschebart ist einer, der mitreißen kann. Genau richtig für einen Neustart, wie er für Middeke nun bei Turbine Potsdam ansteht: "Wir wollen die Vergangenheit hinter uns lassen. Ich persönlich komme komplett neu hier rein. Das ist mir wichtig, dass wir sagen: 'Jetzt ist unser Start, jetzt wollen wir nach vorn schauen und das Beste geben für den Verein, für das Team'", so Middeke nach dem Training am Montagvormittag.
Middeke zum ersten Mal in der Bundesliga
Bislang saß Turbines Neuer bei den Frauen des SV Meppen auf der Trainerbank. Als Co-Trainer der Zweitligamannschaft und als Chef im Juniorenbereich. Neben Turbine Potsdam sollen an Middeke zwei weitere Bundesligisten interessiert gewesen sein. Seine Entscheidung für Potsdam fiel auch wegen der großen Tradition: "Es ist noch immer einer der erfolgreichsten Vereine. Deshalb ist für mich der Frauenfußball ganz eng mit Turbine Potsdam verbunden. Alles was dahintersteckt: Die Fans, das Umfeld. Ich bin damit groß geworden, habe noch die Spiele zwischen Potsdam und Frankfurt vor Augen. Dieser Verein sollte für jede Spielerin eine Adresse sein. Deshalb war er das auch für mich."
Laut Turbine-Vizepräsident Uwe Reher war es eine einstimmige Entscheidung des Präsidiums, Middeke nach Potsdam zu holen – nur der ehemalige Präsident Rolf Kutzmutz sei dagegen gewesen, er wollte demnach weiter an Trainer Sofian Chahed festhalten. Infolge des Vertrauensverlustes verließ Kutzmutz den Verein. Reher beschreibt Middekes Verpflichtung folgendermaßen: "Wir haben viele Gespräche geführt, mit Middeke und dem gesamten Vorstand, wir haben eine Videokonferenz gemacht, das waren dann zwei Stunden Frage-Antwort-Spiel. Und das Präsidium hat sich einstimmig für Middeke ausgesprochen."
Turbine und Chahed: Sportlich erfolgreich, zwischenmenschlich unterkühlt
Mit Blick auf die vergangene Saison scheint es verwunderlich, dass Turbine Potsdam in diesem Sommer einmal mehr vor dem Umbruch steht. Die Spielzeit endete auf dem vierten Tabellenplatz, gerade einmal drei Punkte fehlten Turbine zur Champions-League-Qualifikation. Im DFB-Pokal zog Potsdam nach sieben Jahren erstmals wieder in das Finale ein.
Und doch fehlte es unter dem früheren Hertha-Profi Sofian Chahed offensichtlich am Miteinander, am Menschlichen. Zwar wollte sich nach dem ersten Training der neuen Saisonvorbereitung niemand über den alten Coach äußern, gelobt wurden aber auffällig oft die Qualitäten des neuen Trainers. Mittelfeldspielerin Viktoria Schwalm etwa sagte: "Ich mag Trainer, die während des Trainings anhalten, um kleine Dinge zu verbessern, ich mag Trainer, die Emotionen haben, die uns auch ein bisschen pushen, die am Reden sind, am Kommunizieren. Und der erste Eindruck war gut, ja." Und Rückkehrerin Jennifer Cramer fügte hinzu: "Was die Mannschaft jetzt braucht, mit den vielen jungen Spielerinnen, ist Kommunikation, Feedback. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind."
Und Trainer Middeke sagte: "Was mir besonders wichtig ist, ist die menschliche Komponente. Dass man wirklich ein gutes Miteinander hat, dass man sich die Butter auf dem Brot gönnt, dass man sich für die Mitspielerin freut, auch wenn man selber nicht spielt."
Ziel ist nicht Champions League, sondern: Zusammenwachsen
Mitte September startet für Turbine Potsdam und Sebastian Middeke die neue Bundesliga-Saison. Das konkrete Saisonziel soll noch formuliert werden. Anders als in der vergangenen Spielzeit wird das aber nicht "Champions League" lauten. Nach schmerzhaften Abgängen - unter anderem von Kapitänin Sara Agrez (zum VfL Wolfsburg) und Top-Torjägerin Selina Cerci (zum 1. FC Köln) - soll ein neues Team entstehen.
Teil dieses Teams sind nun auch die Japanerin Mai Kyokawa und die polnische Nationalspielerin Martyna Wiankowska. Jennifer Cramer, die elf Jahre lang für Turbine kickte, ist auch zurück in Potsdam. Sie soll mit ihrer Erfahrung helfen. Denn ansonsten besteht die Mannschaft aus vielen jungen Spielerinnen. Auf die 29-jährige, frühere Nationalspielerin Cramer wartet eine Führungsrolle: "Es wird eine Weile dauern. Wir haben eine junge Mannschaft, die sich erstmal finden muss. Andere Mannschaften, die zusammen geblieben sind, feilen jetzt an Feinheiten. Wir bauen sozusagen komplett neu auf. Es kann auch positiv sein, eine junge, wilde Mannschaft zu haben." Jung, wild und mit großer Lust auf den Neustart - so begann Turbine Potsdam die Vorbereitung auf die kommende Saison.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2022, 16:16 Uhr