Analyse | Herthas Remis gegen Frankfurt - Licht am Ende des Dschungels

Sa 13.08.22 | 21:29 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Hertha-Trainer Sandro Schwarz im Spiel gegen Frankfurt. / imago images/Jan Huebner
Video: rbb24 | 13.08.2022 | Bild: imago images/Jan Huebner

Nach Pokal-Aus und Derby-Pleite war Hertha BSC früh in der Saison in der Bringschuld. Gegen Frankfurt kamen die Berliner dieser nach und zeigten eine ansprechende Leistung. Ein Spiel, das mutig machen sollte - aber nicht blind. Von Marc Schwitzky

Womöglich waren es die Tage nach dem verlorenen Stadtderby, in denen Schwarz endgültig realisierte, was für eine Mammutaufgabe er mit dem Engagement bei der "Alten Dame" übernommen hat. Drei Jahre brutaler Abstiegskampf haben Verein und Mannschaft bis ins Mark erschüttert, sodass jeder neue Ansatz sich mit einer Machete durch einen undurchschaubaren Dschungel an Problemen, Verunsicherungen und Zweifeln schlagen muss.

Viele Trainer sind an dieser Mission in den letzten Jahren gescheitert. Doch Schwarz guckt nicht gerne in die Vergangenheit, die letzten Saisons interessieren ihn nicht - er bewertet, was er jetzt sieht. Und gegen Eintracht Frankfurt sieht der 43-Jährige eine deutliche Reaktion seiner Mannschaft auf den schwachen Saisonauftakt.

Die Reaktion wird mit der Startelf eingeleitet

Die Reaktion Herthas wird bereits mit der Startaufstellung eingeleitet. Verletzungsbedingt fallen Kapitän Marvin Plattenhardt und Myziane Maolida kurzfristig aus, die linke Seite wird mit Maximilian Mittelstädt und Chidera Ejuke neu besetzt. Neuzugang Wilfried Kanga und Aushilfs-Kapitän Lucas Tousart verdrängen Davie Selke und Kevin-Prince Boateng auf die Bank.

Mit den neuen Kräften in der Startaufstellung weiß Hertha den allzu würdigen Heimspiel-Rahmen - eine Choreo zum 130-jährigen Vereinsbestehen färbt das Olympiastadion spektakulär in blau-weiß - zu nutzen. Sind es oft die Anfangsminuten, in denen die Mannschaft strauchelt, ist sie gegen die Eintracht von der ersten Sekunde an voll da. Bereits nach drei Minuten fällt die Berliner Führung: Ejuke gewinnt den Ball in der gegnerischen Hälfte, spielt schnell auf Dodi Lukebakio weiter, der per Flanke den in den Strafraum eingelaufenen Suat Serdar findet - 1:0 für Hertha.

Selbst der defensivfaule Lukebakio arbeitet nach hinten

Die frühe Führung im Rücken bringt Auftrieb. Die Mannschaft - erneut im Schwarz-typischen 4-3-3 aufgestellt - besticht mit genau dem, was gegen Union so fehlte: Laufbereitschaft, Aggressivität im Zweikampf und Schärfe in den eigenen Aktionen. So ist es immer ein guter Indikator dafür, ob Hertha voll da ist, wenn selbst der oftmals defensivfaule Lukebakio eifrig nach hinten arbeitet. Tut er an diesem Nachmittag. Die Blau-Weißen erwischen einen guten Tag. Mit 112 Kilometern laufen sie ganze fünf mehr als noch gegen Union.

In der ersten Halbzeit ist kein qualitativer Unterschied zwischen dem letztjährigen Relegationsteilnehmer Hertha und Europa-League-Sieger Frankfurt zu erkennen. Viel eher sind Vorteile für den Hauptstadtklub auszumachen. Da Hertha nicht nur viel läuft, sondern auch intelligent steht, kommt es häufig zu Ballgewinnen und zu Umschaltmomenten.

Immer wieder kann der Gastgeber durch seinen neuformierten Dreiersturm aus Ejuke, Kanga und Lukebakio - allesamt sehr schnell und stark im Eins-gegen-Eins - gefährliche Nadelstiche setzen. So muss Kanga, perfekt von Mittelstädt in Szene gesetzt, in der 23. Minute eigentlich zwingend das 2:0 erzielen - wenige Meter vor dem Tor rutscht dem Neuzugang jedoch der Ball über den Schlappen.

Danach wird die Begegnung ausgeglichener. Hertha lässt sich aufgrund der Führung tiefer fallen, überlässt der SGE den Ball, um mehr Raum für eigene Konterchancen zu bekommen. Bis zur Halbzeitpause sollte jedoch nicht mehr viel passieren, da die Berliner defensiv stabil agieren und im Spiel nach vorne keine allzu große Entlastung mehr schaffen. Zum Pausentee kann durchaus von einer verdienten Führung gesprochen werden.

Rückfall in alte Muster, aber nur teilweise

Ist es im ersten Durchgang Hertha, das nach nur drei Minuten trifft, ziehen die Gäste aus Hessen nach Wiederanpfiff nach. In der 48. Minute verliert Innenverteidiger Filip Uremovic nahe am Mittelkreis verheerend leichtsinnig den Ball, sodass Frankfurts Angreifer nur noch Kempf überspielen müssen, um den 1:1-Ausgleich zu erzielen. Torschütze Daichi Kamada hat letztendlich leichtes Spiel. Es ist in diesem Spiel der erste Rückfall Herthas in alte Muster - individuelle Patzer waren und sind ein großes Problem der Berliner Abwehr, da sie so oft mit nur einem Moment alles einreißen, was vorher erarbeitet wurde.

So auch am zweiten Spieltag der neuen Bundesliga-Saison. Die Frage ist nun, wie Hertha mit einem solchen Nackenschlag umgehen wird, denn das regelmäßige Kollabieren nach Rückschlägen ist ein Merkmal der vergangenen Jahre gewesen. Doch die Mannschaft von Trainer Schwarz zeigt Widerstandsfähigkeit und entwickelt eine völlig offene Partie gegen einen wiedererstarkten Gegner, der eigentlich das Momentum auf seiner Seite hat. Die Partie ist nach dem 1:1 auffällig hektisch, keine Mannschaft kann ein deutliches Übergewicht entwickeln und damit Ruhe ins eigene Spiel bringen. Es geht hin und her.

Wild wie leistungsgerecht

Hertha zeigt in der Halbzeit zwei Gesichter. Offensiv wird weiterhin gefällig gespielt. Lukebakio ist für den Gegner kaum einzufangen, am Spielende steht der hervorragend aufgelegte Belgier bei drei Torschüssen, drei Schlüsselpässen und sechs erfolgreichen Dribblings. Auch Kanga bleibt ein Aktivposten, ehe er nach 70 Minuten ausgewechselt wird. In der 53., 72. und 83. Minute hat Hertha jeweils die erneute Führung auf dem Fuß.

Defensiv aber tun sich altbekannte Schwächen auf, gegen den Ball geht die Kontrolle vollkommen verloren, vor allem Randal Kolo Muani ist nicht in den Griff zu bekommen. In der 55. und 63. Minute hat Frankfurt gute Möglichkeiten auf das 2:1. Darüber hinaus haben die Berliner etwas Glück, dass der Elfmeter aus der 89. Minute gegen sie zurückgenommen wird. Hier wirkt Hertha längst noch nicht gefestigt.

Es ist eine sportliche Patt-Situation. Beide Mannschaften haben Glück, nicht in Rückstand geraten zu sein und Pech, nicht die Führung erzielt zu haben. So steht es nach letztlich 94 Minuten 1:1, man trennt sich mit einem wohl leistungsgerechten wie wilden Unentschieden.

Vor Hertha liegen arbeitsreiche Wochen

Nach zwei Niederlagen nun also der erste Punktgewinn für Hertha BSC, der nach Interpretation schreit. Und die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Denn ja, Hertha hat Eintracht Frankfurt, den amtierenden Europa-League-Sieger, an den Rand einer Niederlage gebracht. Die Mannschaft hat eine imponierende Reaktion auf die Derby-Enttäuschung gezeigt. "Wir hatten ein ganz anderes Gefüge und eine andere Mentalität auf dem Platz", resümierte Kempf nach Abpfiff.

Die von Schwarz eingeforderte Intensität, gepaart mit taktischer Disziplin, hat es Hertha ermöglicht, die individuelle Klasse des Kaders zum Vorschein zu bringen. Das neue Angriffstrio aus Ejuke, Lukebakio und Kanga hat aufblitzen lassen und konnte begeistern. Sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene lassen sich viele positive Erkenntnisse bilanzieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nach wie vor Sand im Getriebe ist. Auf 45 gute Minuten folgt ein individueller Aussetzer, der Hertha die Kontrolle nimmt und die Defensive einmal mehr wackeln lässt. Auf 94 einheitlich souveräne Minuten lässt sich einmal mehr nicht zurückblicken.

Doch ließ sich das nach dem so schwachen Derby auch nicht erwarten. Während gegen Union zu keinem Zeitpunkt an einen Punktgewinn gedacht werden konnte, hat sich Hertha gegen Frankfurt mehrmals aus eigener Kraft in die Position für einen Sieg gebracht.

Die Ansätze sind in jedem Fall erkennbar, der Auftritt am Samstag ist ein Schritt in die richtige Richtung. Am kommenden Freitag trifft Hertha auf Borussia Mönchengladbach. Es wird die Aufgabe sein, an jene Ansätze aus dem Frankfurt-Spiel anzuknüpfen und sie zwecks Konstanz auszubauen - wer die launische "Alte Dame" kennt, weiß: leichter gesagt als getan.

Sendung: rbb24, 13.08.2022, 21:45 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

8 Kommentare

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  1. 8.

    Nicht jede Berührung im Strafraum ist ein Elfer und mehr als eine Berührung am Fuß des Frankfurters war das wohl kaum, da kann der noch so theatralisch fallen. Am Ende geht das 1:1 voll in Ordnung. Hat Spaß gemacht, das Spiel zu schauen. Tolle Choreografie am Anfang!

  2. 7.

    "Am Ende wurde den Frankfurtern ein klarer Elfmeter verweigert."

    Na ja das sehe ich anders. Wenn das ein Elfmeter war kann man den Spielbetrieb einstellen.
    Berührung ja, Elfmeter nein. Oder werden jetzt schon Berührungen bestraft?
    Sehen andere Komentatoren auch so.

  3. 6.

    Nicht überbewerten. Hertha trennt nur ein Punkt vom letzten Platz ;) Am Ende wurde den Frankfurtern ein klarer Elfmeter verweigert. Das Spiel wurde letztlich durch den Schiedsrichter entschieden.

  4. 5.

    .... Einen Punkt geholt ist besser als gar nichts. Ich sehe es positiv.

  5. 4.

    Wie immer beim Abstiegskandidaten Nr. 1 wird so ein Spiel gegen eine unausgeruhte Mannschaft völlig überbewertet und schon wieder geträumt , Ihr Träumer der Hertha

  6. 3.

    Gegen eine Mannschaft, die 2,5 Tage davor noch gegen Madrid gespielt hat sollte man schon gewinnen. Hätte die Eintracht mehr Zeit zu Erholung gehabt, dann wäre nicht mal ein Unentschieden herausgekommen. Also nicht überbewerten dieses 1:1.

  7. 2.

    Also Licht am Ende des Dschungels? Eher nicht. Licht am Ende des Tunnels? Durchaus. Jetzt muss sich die Mannschaft nur noch den Dschungel häckseln. Zwei Mannschaften in der Bundesliga sind schon klasse für dieses Megadorf. Also sportlich fair ... mögen die Besseren gewinnen.

  8. 1.

    Marc Schwitzky, "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", soviel zum "Licht am Ende des Dschungels", auch wenn Ihr Artikel nur so von Zweckoptimismus trieft.

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