Vom Ergänzungsspieler zur Stammkraft - Was Julian Ryerson für den 1. FC Union so wertvoll macht

Mi 31.08.22 | 20:59 Uhr | Von Johannes Mohren
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Julian Ryerson vom 1. FC Union Berlin. / imago images/Laci Perenyi
Audio: rbb24 Inforadio | 01.09.2022 | Astrid Kretschmer | Bild: imago images/Laci Perenyi

Seit 2018 spielt Julian Ryerson beim 1. FC Union. Leicht hatte es der Norweger - hinter Kapitän Christopher Trimmel - nicht immer. Doch er arbeitete beharrlich und profitiert nun von einer besonderen Qualität. Von Johannes Mohren

Die Vermutung liegt nahe, dass Lucien Favre ein großer Fan des Spielers Julian Ryerson wäre (oder es unbekannterweise sogar ist). Der Taktik-Fanatiker aus der Schweiz, der einst auch als Trainer bei Hertha BSC an der Seitenlinie stand, brachte das Wort 'Polyvalenz' in die Bundesliga. Ein Begriff, der - unter dem Verlust des Charmes, der mit dem feinen fränzösischen Akzent seines Urhebers einherging - am besten mit Vielseitigkeit zu übersetzen ist.

Favre nutzte eben dieses Wort Polyvalenz, um Spieler zu adeln. Er bedachte damit diejenigen seiner Profis, die er ohne Qualitätsverlust auf mehreren Positionen einsetzen konnte. Oder anders gesagt: die seltene Spezies der Julian Ryersons in der Fußball-Welt. Denn der Norweger in Diensten des 1. FC Union treibt Polyvalenz auf die Spitze. Wer sich taktische Aufstellungen der Köpenicker anschaut, kann sich fast sicher sein, dass der 24-Jährige von Spiel zu Spiel woanders auftaucht. Links und rechts in der Abwehr und im Mittelfeld, auf der Sechs - es ist unberechenbar, wo Favres Landsmann und Union-Trainer Urs Fischer Ryerson aufbietet.

Vier Mal in der Startelf

Und er überzeugt aktuell auf allen Positionen. "Er gefällt mir da, wo ich ihn aufstelle. Seine Leistung war wirklich ansprechend", lobte jüngst Fischer beinahe ungewohnt euphorisch für jemanden, der Überschwang als Gefühlsregung eigentlich nicht kennt. Ryerson muss im Exklusiv-Interview mit rbb|24 lachen, als er dieses Zitat hört. "Ich habe eigentlich immer überall gespielt, seit ich sehr jung war", erzählt er dann, "solange ich auf dem Platz bin, bin ich zufrieden."

Das spricht dafür, dass es ihm in diesen Wochen ausgesprochen gut geht. Denn Ryerson ist nun eigentlich immer auf dem Platz. Vier Mal stand er in den ersten vier Bundesliga-Spielen der Saison in der Startelf, spielte 316 von 360 möglichen Minuten. In seiner fünften Saison beim 1. FC Union ist der 24-Jährige auf dem Weg, sich endgültig unverzichtbar zu machen. "Ich glaube", sagt der Mann fast vorsichtig, der so sympathisch bescheiden rüberkommt, "das Spiel zu lesen, die Spielintelligenz, ist vielleicht eine Stärke von mir. Deswegen kann ich auch mehrere Positionen spielen."

Warten zahlt sich aus

Eine andere Stärke ist es zweifelsohne, geduldig zu sein. "Manchmal, manchmal", sagt er und lacht dabei schon wieder. Beim 1. FC Union sei er es aber auf jeden Fall gewesen. "Es hat ja lange gedauert, bis ich regelmäßig gespielt habe." Ryerson musste oft zurückstecken. Zumeist hinter dem Kapitän mit Legenden-Status Christopher Trimmel, der seine 1A-Position auf der rechten Seite fast unverrückbar bekleidete. Ryerson war der Backup. Einer, auf den sich Fischer immer verlassen konnte, aber für den selbst nur die zweite Reihe blieb.

Ryerson behielt die Ruhe. Meckereien hörte man von ihm nie. "Über all die Jahre gab es eine Entwicklung. Das habe ich auch gesehen", sagt er. Es half ihm, die eigene Ungeduld zu bändigen. Er habe immer spielen wollen, "aber man muss auch versuchen, die lange Perspektive zu sehen". Im Rückblick hat sich das für ihn ausgezahlt. Auf dem Weg - daran lässt Ryerson keinen Zweifel - war es "auch nicht einfach".

Neues Standing - auf und neben dem Platz

Nun ist er endgültig angekommen. Ryerson, Niko Gießelmann und Christopher Trimmel rotieren bisher auf den beiden Außenpositionen. Für die anderen zwei Teamkollegen bedeutete das auch mal einen Platz auf der Bank, für den Norweger bisher noch nicht. Es ist ein Standing - auch bei Urs Fischer - das er sich hart erarbeitet hat. Als einer, der seit 2018 den ganzen Weg aus der zweiten Liga heraus mitgemacht hat. "Es ist alles in eine positive Richtung gegangen", sagt Ryerson. Personelle Umbrüche gab es in dieser Zeit des ständigen Wachstums viele. "Es sind nicht mehr viele Spieler da aus dieser Zeit. Jakob (Busk, Anm. d. Red.), Trimmi und ich", erinnert der norwegische Nationalspieler sich. Er blieb und wuchs gewissermaßen mit dem Klub.

Das Vertrauen, dass Ryerson nun die Zukunft gehört, scheint nach all diesen Jahren groß zu sein im Verein - und eben diese Zukunft in diesem Jahr so richtig zu beginnen. Auch neben dem Platz zeigt sich dabei die Bedeutung des Langzeit-Köpenickers. Vor der Saison wurde er zu einem der neuen Vize-Kapitäne hinter Trimmel. Im Leben liebt der 24-Jährige die Zurückhaltung: "Ich finde Berlin super. Du kannst als normaler Mensch einfach rausgehen, keiner kommt und sagt was. Ich genieße das". Im Fußball ist er nun endgültig im Fokus: "Ich bin so wie ich bin. Das hat sich nicht verändert. Aber es gibt mehrere Aufgaben und dadurch kann man - denke ich - auch wachsen. Ich nehme das an und es freut mich, dass ich dieses Vertrauen habe."

Das Ziel? Mindestens ein Punkt gegen Bayern

Der Rückhalt zeigt sich auch in einem neuen Offensivdrang. Zwei Mal hat der - immer noch junge - Norweger bisher in 70 Erstliga-Spielen getroffen. "Da will ich zulegen. Ich will mehr Tore machen", sagt er selbstbewusst. Die Fünferkette erlaubt ihm Ausflüge nach vorne, "da gehört es dazu, dass man Tore erzielen kann und zuletzt hat nicht viel gefehlt".

Die nächste Chance gibt es im Spitzenspiel. Am Samstag, wenn der Tabellenerste Bayern zum -zweiten ins Stadion An die Alte Försterei kommt. In eben diesem Duell traf Ryerson in der vergangenen Saison - Union verlor jedoch am Ende mit 2:5. Das soll nun anders werden. Mit einer Mannschaft, die wieder im Begriff ist, einen nächsten Schritt zu machen, nachdem beim letzten und vorletzten schon alle gestaunt haben.

"Die neuen Spieler, die hierhergekommen sind, haben sich alle eingeordnet. Das sind einfach gute Typen. Das ist wichtig, weil die Kabine war hier immer stark", sagt Ryerson. Das sei "ein wichtiger Punkt, warum es so gut gegangen ist". Und so gut geht. Gegen Bayern sollen nun "hoffentlich Punkte hier bleiben. Das ist unser Ziel." Viel spricht dafür, dass Ryerson dann auf dem Platz stehen wird. Wo genau, wird auch für Bayern-Coach Julian Nagelsmann eine Überraschung werden. Einer der Gründe, warum nicht nur Lucien Favre Polyvalenz liebt.

Sendung: rbb24, 31.08.2022, 18 Uhr

Beitrag von Johannes Mohren

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ryerson hat mir schon immer gefallen, weil er einfach so ein typischer FCU Spieler war - und ist: immer im Dienst der Mannschaft; engagiert; bescheiden im besten Sinne; sicher kein sog. Unterschiedsspieler - dafür sind andere zuständig -, aber ein top Supporter der Spielidee des Trainerstabs. Und er hat sich über die Jahre ja auch sehr gut entwickelt. So war sein Spiel schon beim Saisonauftakt gegen Hertha sehr augenfällig; seine Läufe und Zuspiele in die Spitze haben die Charlottenburger Abwehr vor starke Probleme gestellt und viel zum Sieg des FCU beigetragen. Das war fein mit anzusehen. Weiter so, Julian!

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