EM-Viertelfinale gegen Griechenland - Ein Basketball-Abend für die Ewigkeit

Mi 14.09.22 | 12:06 Uhr | Von Jakob Lobach
Der gebürtige Berliner Franz Wagner jubelt beim Sieg der deutschen Basketball-Nationalmannschaft im EM-Viertelfinale gegen Griechenland (imago images/camera4+)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.09.2022 | Kerstin von Kalckreuth | Bild: imago images/camera4+

In einem epischen Spiel sichert sich die deutsche Nationalmannschaft gegen Griechenland den Einzug ins EM-Halbfinale. Superstar Antetokounmpo allein kann nur wenig ausrichten. Das Ergebnis: Ein Berliner Basketball-Fest. Von Jakob Lobach

Als Maodo Lo am Dienstagabend als erster deutscher Basketballer das Parkett der Berliner Mercedes-Benz-Arena betritt, ist Giannis Antetokounmpo schon da. Der Superstar der griechischen Nationalmannschaft hatte sein Aufwärmprogramm bereits begonnen, als die gerade ausgeschiedenen Finnen noch eine Ehrenrunde durch das Hallenrund drehten. Jetzt wirft Antetokounmpo – mit dicken Kopfhörern auf den Ohren und bekleidet in einem Tanktop, das sofort erkennen lässt, warum der 2,11 Meter große und 110 Kilogramm schwere Muskelberg den Spitznamen "Greek Freak" trägt.

Den Superstar zu stoppen, sei unmöglich, hieß es vorab auch aus den deutschen Reihen vor dem EM-Viertelfinal-Duell mit Antetokounmpo und dessen Griechen. Zumindest aber müsse man ihn kontrollieren, sagte etwa Bundestrainer Gordon Herbert, der nur halb im Scherz hinzufügte: "Ich weiß nur noch nicht wie." Und dennoch: Maodo Lo würdigt Antetokounmpo nur eines flüchtigen Blickes, als er auf Parkett kommt, dann widmet er sich dem eigenen Aufwärmprogramm.

Die EM ist in Berlin angekommen

Während in der Halle nach und nach auch die restlichen Protagonisten beider Mannschaften auftauchen, wird auch die Menschenmasse vor ihr größer. Fans mit Deutschland-Fahnen pilgern genauso an dem "Wonderwall" spielenden Gitarristen vorbei wie Griechen mit Gladiatorenhelmen.

"Berlin ist nicht Köln", hieß es in den vergangenen Tagen oft. Im Achtelfinale sei die Halle zu leer und zu leise gewesen, beklagte sich auch Maodo Lo. Am Dienstagabend ist die Arena mit 14.073 Zuschauern ausverkauft und schon auf ihrem Vorplatz ist die Spannung spürbar. Die EM-Endrunde, so wirkt es, ist spätestens jetzt in Berlin angekommen.

Auf ihren Plätzen angekommen, sehen die Zuschauer, was vorher lange ungewiss war: Franz Wagner ist dabei. Der Deutsche Basketball-Bund (DBB) hatte sich nicht in die Karten schauen lassen nach Wagners Umknicken im Achtelfinale. Nun bekommt der Berliner großen Applaus, als der Hallensprecher ankündigt, dass Wagner sogar in der Starting Five steht. Es kann losgehen.

Der perfekte Start

Daniel Theis gewinnt den Sprungball und wird hierfür von den stehenden Zuschauern gefeiert. Als sich Theis Sekunden später im ersten Angriff prompt beim Dunking verstopft, geht ein Raunen durchs Publikum. Als Andreas Obst nach einem Offensivrebound den ersten Dreier des Spiels versenkt, wird es durch ein Beben in der Arena am Ostbahnhof ersetzt. Ein weiteres folgt sogleich: Tyler Dorsey antwortet per Dreier für die Griechen und auch deren von Fahnen, furiosen Fans und lauten Gesängen erfüllte Fankurve explodiert.

Aber der bessere Start, der gehört dem Außenseiter: Theis trifft den nächsten Dreier, Wagner legt nach und auch Dennis Schröder trifft aus der Distanz. Es ist der vierte Dreier in gerade mal gut zwei Minuten. Die deutsche Mannschaft führt mit 14:5. Als Griechenlands Trainer Dimitris Itoudis nach drei Minuten und 41 Sekunden die erste Auszeit nimmt, steht es 19:9. Mit Adrenalin vollgepumpt und das Publikum animierend, läuft Andreas Obst in Richtung der deutschen Kurve. Dann sind es Wagner und Johannes Voigtmann, die aus der Auszeit kommend die Dreier sechs und sieben in den Versuchen sieben und acht treffen.

Antetokounmpo dominiert

Auf der anderen Seite spielt vor allem einer: Giannis Antetokounmpo. Der 27-Jährige trägt seine Mannschaft, ist ihr Dreh- und Angelpunkt in der Offensive. Dass die deutsche Mannschaft stets zwei bis drei Spieler auf ihn hetzt, sobald er auch nur den Ball bekommt, stört ihn zu Beginn nur bedingt. Nach zwei aufeinanderfolgenden Körben trotz Foul ist es nun Giannis Bruder Thanasis, der vor der griechischen Kurve laut brüllend den Antreiber gibt. Die Berliner Griechen – mindestens 5.000 von ihnen sind am Dienstag in der Halle – antworten mit enthusiastischen "Hellas, Hellas"-Rufen.

Nach einem Viertel ist dennoch jedem in der Halle klar: Die deutsche Nationalmannschaft spielt so gut wie lange nicht mehr. Egal, ob Wagner, Schröder, Obst oder die Berliner um Johannes Thiemann – sie alle spielen mutig, mit viel Überzeugung und Zielstrebigkeit. In anderen Worten: Der deutschen Mannschaft gelingt zu diesem Zeitpunkt alles. Und trotzdem bleibt das Spiel knapp. Weil Antetokounmpos Griechen ebenfalls furios spielen, führt Deutschland nach dem ersten Viertel nur mit 31:27 – in einem schon jetzt außergewöhnlichen Spiel.

Anschauungsunterricht im Umgang mit Druck

Keine Aktion bleibt unbeantwortet, kein Fehler unbestraft. Mitte des zweiten Viertels klaut Alba-Spieler Johannes Thiemann an der Mittellinie Antetokounmpo den Ball und hängt ihm ein unsportliches Foul an. Kurz darauf rammt Wagner den Ball durch den Ring, ehe er mit einem langgezogenen "Yeah" auf den Lippen zurück in die Defensive läuft.

Dennoch gehen die Griechen nach knapp 17 Minuten erstmals in Führung. Und als Kostas Sloukas mit der Halbzeit-Sirene einen eigentlich unmöglichen Wurf von der Mittellinie zum 57:61 trifft, verstummen die deutschen Fans in der Halle für einen kurzen Moment. Der Favorit ist am Drücker und die deutsche Mannschaft zum ersten Mal wirklich unter Druck und Zugzwang.

Was folgt, lässt sich getrost als Anschauungsunterricht in Sachen Umgang mit Druck beschreiben. Im ersten Angriff der zweiten Halbzeit bedient Schröder abermals Theis. Der trifft und der Hallensprecher wortwitzelt zum wiederholten Male "Theis ist heiß" in sein Mikrofon. Obst beschert Deutschland kurz darauf mit seinem nächsten Dreier die nächste Führung.

Die verschworene Einheit, zu der die Nationalmannschaft zusammengewachsen ist, das große Selbstvertrauen, das man sich im bisherigen Turnierverlauf erspielt hat, die individuelle Klasse im Kader – all das stellt Deutschland gegen den griechischen Titelfavoriten zur Schau. Hinten blocken Theis und Voigtmann gemeinsam und spektakulär Antetokounmpo, vorne haut Wagner den nächsten Dreier rein.

Der griechische Auszeit-Pfiff geht im Jubel der Halle unter. Ganz anders als der deutsche 8:0-Lauf, der auf diese folgt und Dimitris Itoudis exakt eine Minute und 46 Sekunden nach seiner ersten Auszeit prompt zur nächsten zwingt. Der griechische Trainer wirft fassungslos seine Arme in die Luft, während der Hallen-DJ "Sweet Caroline" anspielt. Das Publikum singt mit, als wäre es auf einem Pop-Konzert.

Abgang des Superstars

Spielerisch ist es am Dienstagabend ein Duell der Systeme. Auf der einen Seite die deutsche Mannschaft, zwar angeführt von einem inspirierten Dennis Schröder, aber doch beeindruckend ausgeglichen. Auf der anderen Seite Giannis Antetokounmpo, Griechenlands zwar überragender, aber doch zu oft auf sich allein gestellter Individualist. Deutschland hat den zweimaligen NBA-MVP, den wertvollsten Spieler der amerikanischen Elite-Liga, nun gut im Griff. Acht Minuten dauert es im dritten Viertel, ehe Giannis seinen ersten Wurf aus dem Feld trifft und so einen schier unfassbaren 22:3-Lauf der Deutschen beendet.

Im vierten Viertel lässt Antetokounmpo sich weniger Zeit: Mit riesigen Schritten walzt er sich nun seinen Weg zum Korb, lässt den Rückstand wieder einstellig werden. Aber es ist wie nahezu immer am Dienstagabend: Die deutsche Mannschaft kann antworten. Wagner trifft den nächsten Dreier, Schröder tanzt sich mit der perfekten Mischung aus Teamplay und Eigeninitiative zum Korbleger, Niels Giffey und Johannes Thiemann ackern den Ball förmlich durch den Ring.

Als Thiemann fünf Minuten vor dem Ende beim Stand von 96:82 für Deutschland zu Boden geht, sind die "Hellas, Hellas"-Rufe auf den Rängen bereits verstummt. Auch als Giannis Antetokounmpos überhartes Foul an Thiemann abermals als unsportlich gewertet wird, scheint Fassungslosigkeit das dominante Gefühl unter den Griechen zu sein. Geschlagen und mit großen Schritten verlässt der disqualifizierte Superstar das Rund der Arena in Richtung Kabine.

Das nächste größte Spiel

Endgültig entschieden ist das Spiel dann fünf Punkte durch Dennis Schröder und einen Monsterblock von Daniel Theis später. Vier Minuten vor dem Ende führt Deutschland mit 103:82, als sich ein von Griechen umringter Deutschland-Fan auf der Tribüne umsieht und sagt: "It’s over, Gentlemen."

Dass auch Dennis Schröder nach zwei technischen Fouls kurz vor Spielende begleitet von lautem Applaus und Sprechchören mit seinem Namen ebenfalls die Halle verlassen muss, ändert hieran nichts. Es ändert nichts daran, dass die deutschen Basketballer in ihrem mit Abstand größten Spiel der vergangenen Jahre ihre mit Abstand beste Leistung zeigen. Mit 107:96 gewinnen Franz Wagner und Co. ein episches Spiel gegen den großen griechischen Favoriten.

Zufrieden ist man angesichts dieser Tatsache bei der deutschen Nationalmannschaft allerdings noch lange nicht. Während die griechischen Akteure nach Spielende enttäuscht und unter Tränen durch die Katakomben der Arena am Ostbahnhof schleichen, richten die deutschen den Blick prompt nach vorn – auf das Halbfinale gegen Spanien am Freitag (20:30 Uhr). Es wird das nächste größte Spiel der vergangenen Jahre für die deutsche Auswahl.

Sendung: rbb24, 14.09.2022, 18 Uhr

Beitrag von Jakob Lobach

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