Fußballgeschichte zwischen Ost und West - Wie der KSV Johannisthal mit illegalen Spielen Grenzen überwand

Mo 03.10.22 | 15:06 Uhr | Von Gunnar Leue
Elmar Werner (links im Bild), der jetztige Präsident des KSV, und Joachim Döring (rechts im Bild). Aufgenommen im Vereinsheim des KSV. / Gunnar Leue
Bild: Gunnar Leue

Der KSV Johannisthal ist nicht halb so alt wie Hertha oder Union, hat aber eine nicht weniger spannende Vereinsgeschichte als die Topklubs. Sein Werdegang erzählt viel über die einst geteilte und längst wiedervereinte Sportstadt Berlin. Von Gunnar Leue

Es ist das Kürzel des KSV Johannisthal, in dem bereits ein Teil der Besonderheit des Vereins steckt. Genauer gesagt: im K vor dem SV. Es stand anfangs für 'Kirchlich', denn die Gründer waren zwei junge Christen. Inzwischen stehe das K für 'Kulturvoll' - im doppelten Sinne, wie die beiden Klub-Gründer Elmar Werner und Joachim Döring heute sagen.

Einerseits, weil immer auch etliche bekannte Musiker dem KSV angehört hätten. Andererseits, weil der Verein über den Fußball hinaus ein kulturvolles Miteinander zu fördern versuche. Die vier Jahrzehnte alte Historie des kleinen Fußballvereins aus dem Berliner Südosten ist gespickt mit Anekdoten, die von Unangepasstheit, Wagemut und Freundschaftsbeziehungen künden.

Von der Stasi argwöhnisch beäugt

Aus der Taufe gehoben wurde der KSV Johannisthal 1980 von den Jugendfreunden Werner und Döring: einem Katholiken und einem Protestanten. Natürlich wurde der alternative Fußballverein von der Stasi argwöhnisch beäugt. Wahrscheinlich dachte sie, die seltsame Fußballtruppe stünde unter dem Schutz der Kirche. "Das war natürlich absoluter Quatsch", sagt Elmar Werner, der heute noch als Präsident amtiert. Auch sein katholischer Freund Joachim Döring ist noch dabei und freut sich, dass sie und ihr Verein bis heute durchgehalten haben.

Tatsächlich hätte ihr KSV schnell wieder von der Bildfläche des DDR-Basissport verschwunden sein können - wenn sie die Stasi-Aufpasser nicht clever verwirrt hätten. Zum Beispiel, als sie 1983 ein illegales Turnieren mit Teams westlicher Botschaften veranstalteten und dazu auch sowjetische Diplomaten einluden. Wenn die Genossen aus dem Bruderland dabei sind, könne das ja wohl doch nicht mit unrechten Dingen zugehen - und die Staatssicherheit hielt still.

Denkwürdige Partie in Schmöckwitz

Legendär auch der Coup, als die KSV-Mannen heimlich gegen Westberliner Mannschaften spielten. Am 24. Oktober 1987 fand im Köpenicker Ortsteil Schmöckwitz eine denkwürdige Begegnung statt. Sie steht in keinem Geschichtsbuch, aber in der Vereinschronik. Offiziell war die Partie als Spiel zweier Köpenicker Mannschaften angemeldet. Begonnen hatte das Abenteuer, als der Theologie-Student Elmar Werner in Ostberlin einen jungen Westberliner kennenlernte. Irgendwann, so erzählt es Elmar Werner, sei die Schnapsidee eines Ost-West-Kicks entstanden. Natürlich in Ostberlin, im Westen ging es ja nicht.

Die Partie wurde als Freundschaftsspiel zwischen KSV Johannisthal und einer BSG (Betriebssportgemeinschaft) aus dem Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin beim Platzwart angemeldet. Nicht mal alle KSV-Spieler kannten den wahren Gegner dieses Hochrisikospiels. Nur drei, vier Vereinsvorständler wussten Bescheid. Sie waren es auch, die die Fußballer des Berliner SC an einem Samstagvormittag an verschiedenen Grenzübergängen abholten. Um nicht aufzufallen, hatten die Westler keine Fußballausrüstung und Spielkleidung in ihren Taschen. Ihre Sportschuhe mit flachen Noppensohlen hatten sie an, unter ihren Jeans trugen sie Sporthosen.

Last Exit Westberlin

Als die Mannschaften am frühen Mittag aufliefen, wunderten sich die wenigen Zuschauer. Die Gastspieler hatten ebenfalls KSV-Trikots an, echt unklar. Das Spiel selbst war eine klare Sache. Die Johannisthaler, damals ein Spitzenteam der dritten Kreisklasse Köpenick, besiegten die Charlottenburger mit 6:1. Nach dem historischen Match ging es gemeinsam in die dritte Halbzeit, die für die Westkicker kurz vor Mitternacht im Zustand annähernder Volltrunkenheit am Grenzübergang Oberbaumbrücke endete. Last Exit Westberlin. Jahrzehnte später wurde der BSC-Torwart übrigens Mitglied beim KSV.

Damals war uns die Dimension und die Gefährlichkeit von dem, was wir veranstalteten, gar nicht so bewusst.

Elmar Werner und Joachim Döring

Die Unbekümmertheit, mit der Elmar Werner und Joachim Döring den KSV-Spielkalender füllten, erstaunt die beiden heute sogar selbst. "Damals war uns die Dimension und die Gefährlichkeit von dem, was wir veranstalteten, gar nicht so bewusst."

Dass es tatsächlich zu einem Rückspiel im Westteil kam, lag am unerwarteten Mauerfall am 9. November 1989. Bereits einige Wochen später, am 20. Januar 1990, trafen sich die Mannschaften im Hubertusplatz-Stadion. Es war genau eine Woche vor dem großen Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union, das im Olympiastadion 50.000 Zuschauer sahen.

Wiedersehen beim Mauerfall-Cup

Illegale Spiele veranstaltet der KSV Johannisthal nicht mehr, dafür aber seit 2010 einen Mauerfall-Cup. An dem hat nicht nur der Berliner SC zweimal teilgenommen. Regelmäßiger Gast ist auch das Team der israelischen Botschaft.

Das hängt vor allem mit der Israel-Verbundenheit des KSV-Präsidenten Elmar Werner zusammen. Der 59-Jährige, der früher als Jugendpfarrer gearbeitet hat sowie als koscherer Koch, ist seit 1993 ein Kulturaustauscher zwischen Deutschland und Israel. 2003 veranstaltete er die erste Tournee einer deutschsprachigen Rockband in Israel (Die Zöllner).

Zudem organisierte er in den letzten Jahren mehrfach im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Berlin "Bridge of Friendship"-Konzerte mit Musikern und Musikerinnen aus Berlin und Jerusalem. An die 70 Mal war Elmar Werner schon in Israel, um Brücken zwischen den Ländern zu bauen - ein Grund, dass er vor einigen Jahren das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Israel-Reise und Gastspiele von Beitar Jerusalem und Hapoel Tel Aviv

Auch die KSV-Mannschaft ist schon nach Israel gereist. Von dort hat Elmar Werner überdies bekannte Fußballteams nach Berlin geholt. So organisierte er 1996 erstmals ein Trainingslager und Freundschaftsspiele für den damaligen israelischen Fußballmeister Beitar Jerusalem, unter anderem gegen Hertha BSC. 2015 fand dank seiner Vermittlung zudem ein Testspiel zwischen Union und Hapoel Tel Aviv im Stadion An der Alten Försterei statt. Das dürfte ihm als Union-Fan seit früher Jugend besonders gefallen haben.

Um das K für 'Kulturvoll' im Vereinsnamen zu betonen, gibt es inzwischen übrigens noch drei Sektionen beim KSV: Darts, Skat und Gourmet. In Letzterer steht Kochen im Vereinsheim am Käthe-Tucholla-Stadion auf dem Programm - geleitet vom ausgebildeten Koch Elmar Werner.

Beitrag von Gunnar Leue

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