Förstemann peilt paralympische Medaille an - Mit neuem Partner ans alte Ziel

Di 18.10.22 | 12:37 Uhr | Von Thomas Juschus
Bahnradsportler Robert Förstemann mit seinem Tandem-Partner (Quelle: imago images/Mario Stiehl)
Bild: imago images/Mario Stiehl

Nachdem Berliner Robert Förstemann in Tokio knapp an einer paralympischen Bahnrad-Medaille vorbeifuhr, will er mit neuem Tandem-Partner in Paris 2024 einen zweiten Anlauf nehmen. Eine erste Kraftprobe wartet nun bei der WM an gleicher Stelle. Von Thomas Juschus

Am Sonntagnachmittag schauten Robert Förstemann und Thomas Ulbricht nach ihrer Anreise schnell im "Velodrome National" vorbei. Am Finaltag der Elite-Weltmeisterschaften in St. Quentin-en-Yvelines, etwa 20 Kilometer westlich von Paris, konnte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) nochmals eine Goldmedaille gewinnen.

Von Donnerstag bis Sonntag (20. bis 23. Oktober) suchen an gleicher Stelle die Para-Sportler die Besten der Welt auf der 250-Meter-Piste und erleben einen ersten Vorgeschmack auf die Paralympics Ende August 2024 in Paris. Da will Förstemann seiner langen und erfolgreichen Karriere auf den Holzovalen dieser Welt gewissermaßen das i-Tüpfelchen verleihen.

Robert Förstemann und Thomas Ulbricht als Zuschauer bei der Bahnrad-WM (Quelle: rbb/Thomas Juschus)
Robert Förstemann (links) und Thomas Ulbricht besuchen die Bahnrad-WM in Frankreich. | Bild: rbb/Thomas Juschus

Kristina Vogels Unfall bringt Förstemann zum Umdenken

2006 fuhr Förstemann, der mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Neuenhagen bei Berlin lebt, seine erste Elite-WM und feierte im Teamsprint seine größten Erfolge. Neben Platz drei bei den Olympischen Spielen 2012 in London ragt der WM-Titel 2010 heraus.

Der schwere Unfall von Doppel-Olympiasiegerin Kristina Vogel im Sommer 2018 in Cottbus, die seitdem querschnittgelähmt im Rollstuhl sitzt, führte zu einem Umdenken. "Ich habe damals gemerkt, dass es vielleicht ganz cool wäre, den Radsport noch einmal aus einer anderen Perspektive zu erleben", sagt Förstemann und bereitete den Umstieg zum Tandem-Pilot vor. Der Schweriner Stefan Nimke und internationale Top-Fahrer wie der Franzose Francois Pervis oder der Niederländer Teun Mulder schlugen zuvor ähnliche Wege ein.

0,082 Sekunden fehlten aufs Podest

Mit dem Rangsdorfer Kai Kruse, zuvor schon mit Silber im Rudern und Bronze im Radsport bei paralympischen Spielen dekoriert, war schnell ein Partner gefunden. Bei der WM 2020 holten Förstemann/Kruse Bronze im Zeitfahren über die 1.000 Meter. Bei den Paralympics in Tokio fehlten 0,082 Sekunden zum Sprung auf das Podest.

Kruse beendete nach dieser Enttäuschung seine Leistungssportlaufbahn und arbeitet seitdem als Physiotherapeut. "Für mich war Aufhören absolut keine Option. Ich habe immer noch Spaß am Radsport und bin absolut konkurrenzfähig", sagt Bundespolizist Förstemann. Erst letzte Woche stellte er neue Rekorde im Kraftraum auf: 240 Kilogramm mit der einbeinigen Kniebeuge, 2.600 Watt auf dem Ergometer.

Förstemann seit 2021 mit neuem Partner unterwegs

Ausgerechnet im Kraftraum am Olympiastützpunkt in Berlin kreuzten sich erstmals die Wege mit Thomas Ulbricht. Der gebürtige Salzwedeler, der wie Kruse sehbehindert ist und nur noch eine Sehleistung von drei Prozent hat, legte zuvor ebenfalls schon eine erfolgreiche Para-Leistungssportkarriere als Leichtathlet hin. 2004, 2008, 2012 und 2016 war der 37-Jährige bei den Paralympics und holte Silber (Fünfkampf) und Bronze (100 Meter). Anhaltende Achillessehnenbeschwerden verhinderten den Tokio-Start und bewegten Ulbricht zum Umstieg auf das Tandem.

Es wäre vermessen zu sagen, eine Medaille bei der WM in Paris ist Pflicht.

Robert Förstemann

"Ich wusste zunächst nicht, was ich auf dem Rad machen sollte, es war ja alles neu für mich", erinnert sich Ulbricht an die Anfänge. Inzwischen hat sich der Wahl-Berliner, der halbtags bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk arbeitet, an seine neue Rolle als Sozius auf dem Tandem gewöhnt. "Meine Aufgabe ist treten, treten, treten und dabei im Rhythmus von Robert zu bleiben", beschreibt Ulbricht den Umstieg. Allerdings verlangt es mehr als rein physische Kraft. "Tandem ist eine der anspruchsvollsten technischen Disziplinen auf der Bahn", so der gebürtige Thüringer Förstemann, der sich längst als Berliner sieht und sich seit Jahresbeginn ehrenamtlich als Vizepräsident im Berliner Radsport Verband engagiert.

Duo hofft auf WM-Medaille in Paris

Fünf Wochen nach der ersten gemeinsamen Tandem-Einheit siegte das neue Duo Förstemann/Ulbricht im Dezember 2021 bei einem internationalen Vergleich in Grenchen in der Schweiz. "Wir hatten da einen Super-Einstand und gemerkt: Da ist Potenzial! Seitdem bereiten wir uns auf die WM vor", sagt Förstemann. Im September wurde das Duo in Cottbus gegen überschaubare Konkurrenz erstmals deutscher Meister über die 1.000 Meter. Vor allem aber die Zeit stimmte optimistisch, um bei der WM im Feld der 22 Mannschaften der Startklasse "MB" mitmischen zu können. Qualifikation und Endlauf sind am Freitag angesetzt.

"Es wäre trotzdem vermessen zu sagen, eine Medaille bei der WM in Paris ist Pflicht. Ich denke, realistisch ist für uns eine Platzierung zwischen den Plätzen drei und sechs", sagt Förstemann, zumal die Materialbedingungen nach wie vor nicht ganz optimal sind. In Tokio 2021 war ein viel zu schweres Sportgerät wahrscheinlich der entscheidende Faktor beim Verpassen der Bronzemedaille. "Thomas ist nach wie vor Neuling auf dem Rad, deshalb ist Konstanz unsere größte Baustelle. Manche Tage geht es richtig gut, manche aber auch nicht." Ohnehin sind die Weltmeisterschaften nur eine Bestandsaufnahme und ein erstes Annähern an die Olympia-Bahn. "Letztendlich ist die WM eine Zwischenstation - unser Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2024 an gleicher Stelle. Dem ordnen wir alles unter", sagt Robert Förstemann.

Sendung: rbb24, 18.10.2022, 18 Uhr

Beitrag von Thomas Juschus

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