Schwimm-Weltcup in Berlin - Die Erben des federnden Throns

Fr 21.10.22 | 06:05 Uhr | Von Jonas Schützeberg
Florian Wellbrock beim Weltcup Schwimmen in Berlin
Audio: rbb24 Inforadio | 21.10.2022 | Lars Becker | Bild: imago/Bernd König

Es ist eine Premiere, ein Parallel-Weltcup, bei dem Schwimmer und Wasserspringer in Berlin aufeinandertreffen - ein Event zwischen Superstar Florian Wellbrock, einem "kopflosen" Verband, chinesischen Festspielen und einer sportlichen Lücke. Von Jonas Schützeberg

Mit den Zehen dreht er an dem Zahnrad, welches fast so groß wie eine Autofelge ist und eher an den Maschinenraum eines Frachtschiffes, als an ein Schwimmbad erinnert. Es quietscht und das Brett gibt nach. Lou Massenberg steht auf dem Sprungturm der Schwimmhalle an der Landsberger Allee und verstellt den Härtegrad seines Sprungbretts. Aktuell läuft die Qualifikation der Wasserspringer vom 3-Meter-Brett. Der 21-Jährige vom Berliner TSC wippt mit den Füßen an der Kante, ein letzter fokussierter Blick und er katapultiert sich in die Luft, während das Brett lautstark nachfedert.

"Es ist schon cool einen Weltcup zu Hause zu haben. So können mich Freunde und Familie auch mal live springen sehen", erklärt Massenberg. Es sei aber auch ein komisches Gefühl, denn "wir springen auf der Heimanlage, aber schlafen im Hotel. Man begreift erst später, dass man wirklich im Wettkampf ist. Die ganzen Kameras, Werbebanden und Aufbauten sind schon beeindruckend."

Das Jahr "Eins" nach der Ära Hausding

Lange Zeit hat Patrick Hausding auf diesem 3-Meter-Brett gethront. Der erfolgreichste deutsche Wasserspringer aller Zeiten hat im Mai die Karriere beendet. Der Berliner wurde als erster Deutscher überhaupt Weltmeister vom Turm, krönte sich 17 mal mit Gold bei Europameisterschaften und gewann drei olympische Medaillen in drei unterschiedlichen Disziplinen - das ist weltweit einzigartig.

Die Lücke, die Hausding hinterlässt, scheint aktuell nicht zu schließen zu sein. Massenberg ist deutscher Meister und einer der Kandidaten aus der starken zweiten Reihe, die nun nach vorn drängt – oder drängen muss. Mit dem derzeit verletzten Berliner Lars Rüdiger und Timo Barthel aus Halle, die gemeinsam WM-Bronze gewannen, gibt es Anwärter auf den Thron. "Der Sport wird immer mit ihm verbunden sein, das ist ein Zeichen seiner unfassbaren Leistung. Patrick war mein Vorbild. Mit ihm verglichen zu werden, macht einen stolz, auch wenn es eine große Bürde ist", beschreibt es Massenberg, der viele Jahre mit Hausding gemeinsam trainiert hat.

Hausding selbst traut seinen möglichen Erben einiges zu, sieht aber auch schwierige Zeiten für Leistungssportler in Deutschland: "Der Nachwuchs wird weniger, weil das Ansehen des Sports gelitten hat. Der Fokus verändert sich, viele Jugendliche werden gemütlicher, wollen reisen und Wohlstand haben. Es fehlt der Biss. Viele geben zu früh auf, weil es bequeme Alternativen gibt. In anderen Ländern wird Leistungssport viel mehr gepusht."

Ein Verband ohne Führungsspitze

Diesen Weltcup begleitet abseits aber auch die Personalie Lutz Buschkow. Viele Jahrzehnte war der 65-Jährige Bundestrainer der Wasserspringer, vergangene Woche wurde ihm vom Verband gekündigt. Buschkow ist Teil eines laufenden Verfahrens. Er war im August im Zuge der Missbrauchs-Affäre um den ehemaligen Weltklasse-Springer Jan Hempel vorerst suspendiert worden. Buschkow bestreitet jedoch von den damaligen Vorfällen gewusst zu haben.

Am Donnerstag sind die Wasserspringer nun ohne Chefbundestrainer in die Weltcup-Premiere gestartet. Bei den Europameisterschaften im Sommer wurde der Berliner Bundesstützpunkttrainer, Christoph Bohm, noch als eine Art Interimscoach eingesetzt. "Wir unterstützen uns im Trainerkreis, aber das Team braucht jetzt Infos. Du kannst keinen Betrieb ohne Geschäftsführer steuern. Bald geht es um die Quotenplätze für Olympia, da brauchen wir einen Plan", mahnt der Heimtrainer von Massenberg am Beckenrand.

Es soll nun Gespräche mit dem Sportdirektor Christian Hansmann und allen Trainern geben, um schnell eine Lösung zu finden. Bei allen Unklarheiten sei die Stimmung im Team und unter den Athleten aber gut: "Die Konzentration muss jetzt auf dem Sportlichen liegen. Wir haben eine Aufgabe, die wir auch erfüllen wollen", ergänzt Bohm.

Superstar Wellbrock kehrt in sein Wohnzimmer zurück

Für die Schwimmer gehört der Stopp in Berlin zum festen Jahresprogramm, der Weltcup auf der 25-Meter-Kurzbahn bildet den Saisonauftakt. Viele Augen schauen auf den deutschen Star der Schwimmszene, Florian Wellbrock. "Auf so einen hochwertigen Wettkampf in der Heimat freue ich mich natürlich. Berlin ist für uns schließlich so etwas wie unser zweites Wohnzimmer", sagte der 25 Jahre alte Goldmedaillen-Gewinner von Tokio.

Der viermalige Weltmeister wird neben seiner Weltrekord-Distanz von 1500 m auch über die 200 und 400 m Freistil an den Start gehen. Neben Wellbrock gehören auch die Berlinerlin Isabel Gose und ihr Freund Lukas Märtens zum DSV-Team. Das Schwimmpaar hatte im August bei der EM in Rom seine ersten internationalen Titel gewonnen.

Teilnehmerrekord im Becken

Der Veranstalter lockt mit 13 Olympiasiegern und 44 Weltmeistern in den Startlisten. Schwimmer aus 57 Nationen haben sich für die Mammutveranstaltung gemeldet - ein neuer Rekord. Weltmeister Thomas Ceccon führt das italienische Team an; der Berliner Ole Braunschweig, EM-Bronzemedaillengwinner trifft auf den Weltrekordler und Olympiasieger Florent Manaudou aus Frankreich. Für den Ukrainer Mykhailo Romanchuk, den Olympiadritten von Tokio, der seit Ausbruch des Krieges in seiner Heimat in der Magdeburger Trainingsgruppe um Florian Wellbrock trainiert, ist der Weltcup ebenfalls so etwas wie ein Heimspiel.

Die Weltelite setzt auch ein Zeichen für Inklusion. Zum Auftakt am Freitag bestreiten acht Schwimmer von Special Olympics Deutschland gemeinsam mit den deutschen Startern und vier internationalen Stars einen Wettbewerb in der Mixed-Staffel. "Als wir von dieser wunderbaren Idee zum ersten Mal hörten, haben wir spontan alle sofort zugesagt", sagte Europameisterin Gose. Der außergewöhnliche Wettbewerb dient als erster Testlauf für die Special Olympics 2023 in Berlin.

Chinesische Meisterschaften im Prenzlauer Berg?

Für die Wasserspringer passt der Weltcup nicht so richtig gut ins Programm. Die Athleten um Lou Massenberg haben erst Ende September wieder mit dem Training begonnen und befinden sich noch im Saisonaufbau. "Es ist der größte Wettkampf, den es in Deutschland bis jetzt gab. Auch wenn alles sehr kurzfristig kam und einige Athleten verletzungsbedingt fehlen, wollen wir angreifen. Die Chinesen sind mit vollem Ballett hier und werden abräumen, da haben wir den Vergleich zur Weltspitze", erklärt Trainer Christoph Bohm und ergänzt: "Es ist eine große Chance für uns, wahrgenommen zu werden und ich hoffe, dass wir den Weltcup mit den Schwimmern gemeinsam etablieren können."

Auch finanziell ist der Weltcup von Donnerstag bis Sonntag im Berliner Osten attraktiv: Das Gesamtpreisgeld allein für die Wasserspringer beträgt 159.000 US-Dollar, das an die Erstplatzierten in sechs Einzelwettbewerben und drei Synchron- und Mannschaftswettbewerben ausgezahlt wird. Auch das Interesse scheint groß zu sein, denn der Samstag ist bereits komplett ausverkauft (1.500 Tickets) und das bei einem Kartenpreis von 30 Euro.

Mit dabei sein wird natürlich auch der ehemalige Sprungkönig Patrick Hausding, um seinem Freund und ehemaligen Teamkollegen Lou Massenberg zuzuschauen: "Ich freue mich, alte Bekannte zu treffen. Vor allem bin ich aber froh, dass ich keinen Leistungsdruck mehr verspüre und Wasserspringen einfach mal enstpannt verfolgen kann und das dann noch ausgerechnet in der Hauptstadt, in meiner Heimat."

Sendung: rbb24, 20.10.2022, 21:45 Uhr

Beitrag von Jonas Schützeberg

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