Transfermarkt-Experte über die Berliner Bundesligisten - "Bei Hertha wird nun ordentlich aufgeräumt"

Di 10.01.23 | 15:23 Uhr
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Fredi Bobic und Oliver Ruhnert (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Hertha hat viele Spieler ziehen lassen, bei Union verlief der Januar bisher ruhig. Noch läuft die Winter-Transferperiode drei Wochen. Experte Pascal Martin analysiert die Wechsel der Hauptstadt-Klubs und spricht über die Personalie Fredi Bobic.

Pascal Martin arbeitet beim Fußball-Portal transfermarkt.de mit Sitz in Hamburg. Dort beschäftigt sich der 24-jährige Sportjournalist intensiv mit Wechselgeschäften, Vertragsverhandlungen, Transfergerüchten - und kennt die Baustellen der Bundesliga-Kader. Auch von Hertha und Union Berlin.

rbb|24: Davie Selke, Vladimir Darida, Frederik Björkan und Dong-Jun Lee sind fort, Linus Gechter wurde verliehen. Hat eigentlich je ein Manager in der Winterpause seinen Kader so intensiv verkleinert wie es aktuell Fredi Bobic bei Hertha BSC tut?

Pascal Martin: Es dürfte sicherlich ein paar Klubs geben, die das noch intensiver betrieben haben. Aber dass gerade Hertha so viele Profis abgibt, war in der Vergangenheit selten der Fall. Da ging es eher um die Abgabe von Jugendspielern oder hier und da ein paar Leihen. Nun wird ordentlich aufgeräumt. Es ist eine andere Transferpolitik, die Hertha einschlägt.

Zugrunde liegt dem Herthas Sparzwang. Aber ist dieser Transferkurs angesichts des Abstiegskampfs vertretbar?

Ja. Die Spieler, die schon abgegeben wurden, haben sportlich schon gar keinen Mehrwert mehr beitragen können. Vielleicht waren es gute Typen - über Davie Selke sagt man das ja zum Beispiel. Aber wenn die Spieler dir auf dem Platz nichts geben, und das auch noch in Relation zum Gehalt gesetzt wird, da ist die Diskrepanz einfach zu groß. Gerade bei Selke standen vier Millionen Euro Jahresgehalt im Raum. Wenn Hertha ihn nun ein halbes Jahr vor Vertragsende ziehen lassen kann, und sich damit rund zwei Millionen spart, dann ist das eine gute Sache, mit der sich weiterarbeiten lässt.

Wie bewerten Sie die Offensiv-Zugänge Florian Niederlechner und Fabian Reese?

Es sind gute Transfers. Beides sind keine Spieler, die ich in der Startelf sehen würde. Aber es sind genau die Spieler, die Hertha für die Bank benötigt. Reese und Niederlechner haben beide keine Ablöse gekostet und dürften ein vergleichsweise niedriges Gehalt beziehen. Allen Beteiligten ist klar, dass sie keine Spieler sind, die in jeder Partie 90 Minuten spielen, sondern eher als Joker eingesetzt werden. Aber es sind Arbeiter, die in einen Unterschied in den letzten Minuten machen können. Im Gegensatz zu Selke, der erst mal seine Zeit braucht, um ins Spiel zu finden.

Die Verstärkungen sollen allerdings erst im Sommer kommen. Könnte das zum Problem werden, wenn man an die eher zahme Hertha-Offensive denkt?

Es kursieren Berichte, nach denen sich Hertha noch über eine frühere Verpflichtung der beiden bemüht - sicherlich eher noch bei Niederlechner, weil Reeses Ablöse zu hoch sein dürfte. Klar - jetzt, wo Selke weg ist, fehlt ein Back-Up im Sturm. Niederlechner wäre eigentlich perfekt. Zumal angesichts der Verletzung von Chidera Ejuke, bei dem noch nicht ganz klar ist, wie lange er fehlen wird. Das wäre eine ungünstige Situation für Hertha, weil man auf der Flügelposition relativ schwer einen adäquaten Ersatz bekommen würde.

Was bedeutet das für Jessic Ngankam, der aufgrund zahlreicher Verletzungen in den letzten anderthalb Jahren fast gar nicht zum Einsatz kam?

Für ihn ist es eine gute Chance, die Rolle hinter Wilfried Kanga einzunehmen, die zuvor Davie Selke bekleidet hat. Ngankam ist ein Herthaner Eigengewächs, es wäre eine super Geschichte, wenn er jetzt verspätet Fuß fassen könnte. Wenn er fit ist und man ihm Einsatzzeit geben kann, dann ist er ein interessanter Spieler mit einem interessanten Profil, weil er sowohl als Stürmer wie auch auf den Außen spielen kann. Trotzdem ist noch unklar, wie gut er wirklich ist, weil er meist verletzt war und wenig spielen konnte.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Es geht um den Angriff. Die anderen Mannschaftsteile scheinen relativ gut aufgestellt. In der Verteidigung ist sicherlich Verbesserungsbedarf, aber da scheint es unrealistisch, dass noch im Winter etwas passiert. Abgesehen von Zeefuik, bei dem ein Wechsel zu Hellas Verona im Raum steht. Wenn es also irgendwie möglich sein sollte, Niederlechner oder Reese noch im Winter an Bord zu holen, würde ich sagen: Hertha ist solide aufgestellt. Eigentlich sollte Hertha das schon machen und den Klassenerhalt schaffen.

Eine Personalie ist ironischerweise der Manager selbst, Fredi Bobic, der Gerüchten zufolge beim Deutschen Fußball-Bund als Nachfolger von Oliver Bierhoff gehandelt werden soll. Was würde sein Abgang bedeuten?

Von außen lässt sich da nur schwer etwas sagen. Sollte er tatsächlich Hertha verlassen, wäre das Projekt auf "Neu" gestellt. Es wäre ein schwerwiegender Abgang, weil er als Sportchef eine unglaublich wichtige Rolle einnimmt. Er hat schon etwas aufgebaut bei Hertha. Die neuen Strukturen mit Trainer Sandro Schwarz und Dirk Dufner (Kaderplaner, Anm. d. Red.) basieren auf ihm.

Luca Waldschmidt und Maximilian Philipp wären typische Kandidaten für Union Berlin.

Pascal Martin

Den Stadtrivalen Union Berlin dürfte eine noch belastungsintensivere Rückrunde erwarten, neben der Bundesliga wartet das DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Wolfsburg und die Begegnungen gegen Ajax Amsterdam in der Europa League. Hat Urs Fischer derzeit die passenden Optionen im Kader für die anstrengenden Monate?

Ja. Interessant ist: Union Berlin hat mit 27 Spielern einen der kleinsten Kader der Fußball-Bundesliga. Man könnte deswegen behaupten: Besser noch mal nachlegen. Aber der Kader beinhaltet weitgehend Spieler, die dem Klub weiterhelfen.

Inwiefern ist es nachvollziehbar, dass Oliver Ruhnert zu verstehen gegeben hat, den Kader noch weiter zu verkleinern?

Union Berlin hat fünf oder sechs Spieler im Kader, die in der gesamten Hinrunde nicht mal 200 Minuten auf dem Platz standen. Ähnlich wie bei den Fällen bei Hertha sind es Spieler, die keine wirkliche Perspektive haben, beispielsweise Levin Öztunali und Tim Skarke. Also interessant klingende Profis, die dennoch unter Fischer keinen Stand haben. Eigentlich ist es ein gutes Vorgehen, sich von denen zu trennen.

In der Offensive fehlt teils die Kreativität, Jordan ist in einer Formkrise. Wie realistisch ist es, dass Union für die Rückrunde noch eine adäquate Verstärkung holen kann?

Es ist durchaus vorstellbar. Sich nur auf Becker und Jordan zu verlassen, wäre sicherlich etwas fahrlässig. Sven Michel bekommt nicht allzu viel Einsatzzeit. Es könnte noch etwas passieren. Luca Waldschmidt wurde etwa in der Gerüchteküche gehandelt. Bei ihm ist die Perspektive in Wolfsburg recht unklar. Auch Maximilian Philipp (ebenfalls VfL Wolfsburg, Anm. d. Red.) könnte Sinn machen. Es wären typische Union-Kandidaten.

Warum?

Es sind beides begabte Spieler, die woanders aussortiert sind, aber Union kann für solche Typen ein neues Sprungbrett sein. Der Klub hat bekanntermaßen ein Händchen für Spieler, die ihren Nachweis in der Bundesliga einst erbracht haben und ihrer Karriere noch mal eine neue Wendung geben wollen.

Die Unioner Leistungsträger wecken gleichzeitig Begehrlichkeiten bei anderen Klubs. Wer steht gerade im Fokus?

Ich halte es nicht für realistisch, dass kurz- oder mittelfristig so ein Deal gemacht wird, wie zuletzt bei Taiwo Awoniyi (wechselte im Sommer für rund 20 Millionen Euro zu Nottingham Forest, Anm. d. Red.). Allen voran wäre natürlich Sheraldo Becker ein spannender Kandidat für andere Klubs gewesen, aber ich glaube, dass er auf dem Markt nicht mehr so ein extrem spannendes Profil hat. Er ist nicht der Jüngste, hat bei Union erst seit ein paar Monaten Topleistungen erbracht und würde sicherlich eine hohe Ablöse kosten. Das gleiche gilt für Jordan.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.01.2022, 10:15 Uhr

6 Kommentare

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  1. 6.

    Die Vorbereitungen für die 2. Liga laufen auf Hochtouren.
    Das wird nichts mehr mit dem vermeintlichen „Hauptstadtclub“. Dank Preetz sind die Millionen € wahllos verprasst worden.
    Eigentlich schade, 2 erfolgreiche Vereine in der 1. Liga hätten die in Verruf geratene Stadt ganz gut getan.

  2. 4.

    Was wieder für eine arrogante und selbstherrliche Darstellung dieser Trümmertruppeverantwortlichen.
    Wir machen alles besser, wir sind der Big City Club.
    Gut, derzeit stehen wir vor dem Abstiegsplatz, aber wir können noch Deutscher Meister werden (Zitat Hertha-Keeper Oliver Christensen, dem größten Vogel, nicht nur im Zoo).
    Statt über Union und deren Personalpolitik zu schwadronieren, sollte sich der BCC besser auf die 2.Liga vorbereiten und Fischer keine Vorschläge machen, wann und wen er kauft/verkauft und wer zum Spiel der Unioner passt. Wie es jetzt funktioniert sieht man am 5.Tabellenplatz

  3. 3.

    Ich finde die Winterabgänge der Hertha ebenfalls nachvollziehbar und bin gespannt, ob sie die Klasse halten wird.
    Im Gegensatz zu Pascal Martin bin ich jedoch der Meinung, dass Flo Niederlechner durchaus noch das Zeug für die Startelf hat.

    Waldschmidt und Philipp haben in Freiburg traumhaft gespielt, danach kam leider nicht mehr viel von beiden. Es wäre spannend zu sehen, wie einer von beiden sich bei Union einfügen würde. Ein bisschen mehr Spielkultur und Torgefährlichkeit aus der zweiten Reihe könnten jedenfalls nicht schaden.

    @rbb: Auch Union spielt erstmal das Achtelfinale im DFB-Pokal, im Viertelfinale steht noch kein Team. Und noch ne Korinthe hinterher: Maxi Philipp schreibt sich hinten mit Doppel-p.

  4. 2.

    Alle x Wochen schaut man mal rein ob ein sinnvoller Kommentar gepostet wird. Schwupp....könnte man einschlafen. Gähhhhhhhhhn.

  5. 1.

    Es wird aufgeräumt....

    Habe noch garnichts davon gelesen das Bobic entlassen wurde... !? ;o)

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