Fanprojekt reinigt Obdachlosenschlafsäcke - Anstoß für einen neuen Kreislauf

So 12.02.23 | 12:31 Uhr | Von Shea Westhoff
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Unter der S-Bahnbrücke am Alexanderplatz haben Obdachlose am 22.12.2021 eine Schlafstatt eingerichtet. (Quelle: Imago Images/Sabine Gudath)
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Video: rbb24 | 09.02.2023 | Sebastian Meyer | Bild: Imago Images/Sabine Gudath

Schlafsäcke einsammeln, reinigen, saubere ausgeben. Eine Fan-Initiative will damit Obdachlosen-Hilfsorganisationen unterstützen. Diese zeigen sich dankbar für das Schlafsack-Projekt. Der Bedarf ist in der Hauptstadt immer noch bedenklich hoch. Von Shea Westhoff

Es ist kalt an diesem Februarmorgen, Temperaturen um den Gefrierpunkt. "Um den Gefrierpunkt", das lässt sich salopp sagen, wenn man ein Zuhause hat, in dem man sich aufwärmen kann. Das haben in Berlin viele Menschen nicht. Und so können Schlafsäcke überlebenswichtig sein – trockene, saubere Schlafsäcke.

Um die geht es heute für André Ruschkowski und Samiya Khalafi von "1892 hilft!", deswegen sind sie mit dem Kleinbus auf Tour durch Berlin-Mitte. Schmutzige Schlafsäcke obdachloser Menschen einsammeln, in Tonnen packen für die Reinigung, frische Schlafsäcke ausgeben. So simpel, so neuartig.

Die Tonnen sind geruchsdicht

Unter dem Slogan "1892hilft!" haben sich Hertha-Fans zusammengeschlossen, die sich ehrenamtlich einbringen wollen für ihre Stadt. Die Initiative habe vor ein paar Jahren bereits Schlafsäcke verteilt, erzählt Ruschkowski, aber dann habe man beobachtet, dass diese wenig später "in der Ecke lagen und schmutzig wurden oder die Leute am Zoo da draufpinkelten", erzählt er. Erst habe er sich daran gestört, dann aber innegehalten und überlegt, wo man die Schlafsäcke auf der Straße denn auch sauber halten solle? So sei die Idee des mobilen Schlafsack-Lieferdienstes entstanden, den die Fan-Initiative nun gemeinsam mit der Berliner Odachlosenhilfe betreibt.

Erster Stopp ist heute die Kleiderkammer der Berliner Stadtmission. Die ist beim Thema Obdachlosenhilfe erste Ansprechpartnerin in der Hauptstadt und bekannt dafür, tatkräftig anzupacken, wenn es um die Versorgung Bedürftiger mit warmen Mahlzeiten, Kleidung und Schlafmöglichkeiten geht.

Aus dem Kofferraum manövriert Ruschkowski eine blaue Tonne. Diese ist luftdicht verschließbar - und damit auch geruchsdicht, was bei wochenlang auf der Straße benutzten Kunstfaser-Schlafsäcken nicht unerheblich ist. Vier bis fünf schmutzige Schlafsäcke passen in so eine Tonne.

1892hilft
André Ruschkowski (l.) am Ostbahnhof im Gespräch mit einem Schlafsack-Empfänger. | Bild: rbb

Großer Verbrauch an intakten Schlafsäcken

Ruschkowski reicht die leere Tonne einem Mitarbeiter der Stadtmission und erklärt: "Wenn ihr Schlafsäcke bekommt, schaut sie euch an, ob man die noch gebrauchen kann." Er spreizt seinen Daumen und Zeigefinger leicht: "Wenn so ein Riss im Schlafsack ist, dann ist alles gut. Wenn da aber so ein Riss ist” - nun deutet er mit beiden Händen einen Abstand von zirka 20 cm an - "dann weg damit.” Sobald die Tonne gefüllt ist mit gebrauchten Schlafsäcken, könne man ihn anrufen, dann würden sie abgeholt und zur Reinigung gebracht.

"Das ist eigentlich ein Traumprojekt", sagt Karen Holzinger, Bereichsleiterin der Obdachlosenhilfe der Stadtmission. "Weil wir in unseren Projekten so viele Schlafsäcke ausgeben, zum Beispiel mit unserem Kältebus, den Notübernachtungen, den Tagesstätten. Wir haben einen großen Verbrauch an eigentlich sehr guten Schlafsäcken, die man wiederverwenden könnte - wenn es nur jemanden geben würde, der sie wäscht und trocknet. Und den haben wir jetzt."

Rund 26.000 in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften

Seit diese Schlafsack-Initiative Ende 2021 ins Leben gerufen wurde, haben sich 50 Leute daran beteiligt und sind mindestens eine Tour mitgefahren. 5.000 Euro sind für das Projekt an Hertha-Fan-Spenden zusammengekommen.

Einer Schätzung des Statistischen Bundesamts zufolge sollen in Berlin rund 26.000 Menschen in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften oder vorübergehenden Quartieren leben. Die Dunkelziffer der obdachlosen Menschen dürfte noch höher sein. Ein riesiges Problem, das auch im lauten Wahlkampf der Berliner Wiederholungswahl eher kleinlaut behandelt wurde.

Berlin: arm, aber sexy. Das lässige und oft bemühte Bonmot bekommt angesichts zigtausender Menschen, die gar nichts besitzen, einen schiefen Beiklang.

Das ist eine nachhaltige Idee. Das bewegt die Leute zum Mitmachen.

Martyna Zielkowska, "Tagestreff Mitte"

Für Ruschkowski und Khalafi ist der nächste Halt ihrer Tour das Berliner Hofbräu Wirtshaus am Alexanderplatz. Dort ist in den vergangenen Wintern der Aufenthaltsort "Tagestreff Mitte" entstanden, in dem sich Obdachlose tagsüber aufwärmen können und eine warme Mahlzeit erhalten. "Was habt ihr heute für uns?", fragt Ruschkowski die Helferin Martyna Zielkowska. "Drei Schlafsäcke wurden heute abgegeben", sagt sie und deutet auf die blaue Tonne. Ruschkowski wuchtet sie hoch und bringt sie zum Minibus. Aus dem Kofferraum holen er und Khalafi sechs saubere Schlafsäcke sowie eine neue, desinfizierte blaue Tonne für den "Tagestreff Mitte".

Am Anfang habe man die Leute viel aufklären, informieren müssen, wie das mit dem Tausch laufe, berichtet Zielkowska dem rbb. Aber dann sei es gut angenommen worden. "Das ist eine nachhaltige Idee. Das bewegt die Leute zum Mitmachen", sagt sie. "Sie kommen jetzt hierher, die sehen, dass wir die Tonne haben. Dort können sie den Schlafsack reintun und ihn austauschen. Sie wissen, es wird gewaschen."

Dass die Macher der Initiative Hertha-Fans sind – hat das für Zielkowska einen Einfluss auf die eigene Fußballliebe? Lachend wirft sie ihren Kopf zurück. "Mein Herz schlägt rot", sagt sie, das sei nun doch etwas schwierig. Trotzdem, Spaß beiseite, es sei eine super Sache, egal ob rot oder blau-weiß.

"Da soll ein Kreislauf entstehen"

Letzter Halt, Ostbahnhof. Drei Männer reihen sich vor dem Kleintransporter auf. Ruschkowski erklärt ihnen das Tausch-Prozedere. "Da soll ein Kreislauf entstehen, das geht nur, wenn wir schmutzige Schlafsäcke erhalten, die wir waschen können und dann ausgeben." "Klingt gut", sagt einer der Männer. Diesmal hat er keinen gebrauchten Schlafsack zum Eintauschen. Er kriegt trotzdem einen sauberen, klar, die anderen beiden auch, und ein Zelt. Dann ziehen sie weiter.

Khalafi sagt, auch wenn man damit das Problem der Obdachlosigkeit nicht lösen könne, habe man das Gefühl: Man kann wenigstens helfen. "Man kann Menschen etwas Gutes tun, man tut etwas für das Miteinander und man nimmt auch Menschen wahr, die vielleicht von der Gesellschaft nicht so wahrgenommen werden."

Dann steigt sie mit Ruschkowski in den Minibus, für heute ist die Tour zu Ende.

Sendung: rbb24, 09.02.2023, 18 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

5 Kommentare

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  1. 5.

    Klingt, als hätten Sie noch keine solche Unterkunft von innen gesehen oder einmal darin gearbeitet. Es gibt Vergewaltigung, diverse andere Gewalt, Bestohlenwerden u.v.m.
    Die WHO hat die gesundheitlichen uund sozialen Auswirkungen der Vereinsamungs-Epidemien dargestellt, und da sollte auch das aller-allerletzte wärmende Wesen, ein – naja, "Haus-"tier ist hier je eben unzutreffend – weg müssen?
    Die Menschen sind nicht "freiwillig" arm oder in der Kälte überlebend oder sich prostituierend oder was hier so anklingt. Menschen resignieren irgendwann.

    Was eingeklagt werden soll: GRUNDRECHTE, die umgesetzte Würde.
    Ein Mensch wird geboren? Damit hat er Anrecht auf alles, was er zum würdevollen Leben braucht.
    Götz Werner rechnete als faires Modell vor: Nur noch eine Steuer, die MWSt. Gestaffelt nach Lebens-Mitteln und Sonstigem. Damit lässt sich ein anständiges Leben incl. Wohnung finanzieren.


  2. 4.

    "Ja, würde ein Anteil der Spendengelder an geeignete Anwälte gehen, ..." Um WAS genau einzuklagen?? Die meisten Obdachlosen leben freiwillig im Schutze der Anonymität auf der Straße, melden sich nirgendwo an und wollen keine Hilfe außer essen, trinken oder -am liebsten- Geld. Gehen Sie mal morgens unter die Brücken am Bahnhof Zoo, da liegen die Verpackungen der Fastfood-Läden; von dem, was an Essen da im Dreck liegt, würde noch manch anderer satt... Die Notunterkünfte werden nicht aufgesucht, weil dort Tiere und Alkohol verboten sind.
    Wer ernsthaft Hilfe will, bekommt sie auch, für die, die keine wollen, braucht man keine Gerichte bemühen.

  3. 3.

    Das ist eine tolle Aktion, nachhaltig und hilfreich. Soviele Schlafsäcke wie gebraucht werden, gibt es eben nicht und der Verschleiß ist groß bei den Nutzungsbedingungen. Kurzfristig zusätzliche Notunterkünfte und langfristig preiswerter Wohnraum, vielleicht auch bewachte Orte, wo die Menschen ihre Lager aufschlagen dürfen, wären ein weiterer Schritt um das Problem zu lösen. Es kommen jedoch täglich neue (zukünftige) Obdachlose nach Berlin.

  4. 2.

    Ja, würde ein Anteil der Spendengelder an geeignete Anwälte gehen, die das Thema vor den Gerichten/dem BVerfG vorbrächten und dort nachhaltig für echte Gerechtigkeit sorgten, wären solche Aktionen gar nicht mehr nötig.
    Akut zwar hilfreiche Gebilde wie die Tafeln, Suppenküchen oder die Schlafsackaktion haben ihre strukturellen Vorbilder in Systemen wie man sie auf der anderen Seite des "großen Teichs" findet, wo es eben kein Sozialstaatsprinzip gibt. Suppenküche übrigens auch daher und aus Kriegszeiten. Wo leben wir heute? Wie wollen wir heute und künftig leben?

  5. 1.

    Obgleich ein zunächst helfendes Engagement, ist es leider nicht nur nicht nachhaltig, sondern verstärkt das Problem nur.

    Ich finde: Humanitäre Hilfe ist immer angebracht. Siehe Erbeben-Zerstörungsgebiete dieser Tage.

    Wenn man aber Schritt zwei unterlässt: Nachhaltiges Abstellen des Problems an sich (Bsp. "Fluchtursachen", Korrption -> Pfusch am Bau, Desaster mit Ansage bei Erdbeben), macht es sich zu leicht. Im Gegenteil: Man hält das Problem sogar am Laufen.

    Was kann man tun?
    Sich selbst verpflichten, immer beide Beine auf den Boden zu setzen, beide Schritte parallel zu gehen.
    Konkret: Schlafsäcke verteilen und waschen UND GLEICHZEITIG auf dem Boden des Grundgesetzes (menschliche Würde, Sozialstaatsprinzip) gegen die Ursachen vorgehen – über das Parlament, effektiver noch über die Gerichte/das BVerfG.

    Denn solche Zustände dürften wohl nicht verfassungsgerecht sein.
    Das Staatsgebilde hat hier eine Bringepflicht, – wie

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