EM auf dem Beetzsee - Die Randsportart Kanu-Polo drängt ins Scheinwerferlicht
Kanu-Polo ist ein vielseitiger und actionreicher Sport, allerdings recht unbekannt. Nun finden in Brandenburg an der Havel die Europameisterschaften statt. Die Teilnehmer hoffen, dass ihre Leidenschaft sich vom Dasein als Randsportart löst.
Die Sonne brennt, die Straßen flirren. Also ein Tag, an dem es wenig Besseres zu geben scheint, als am Beetzsee in Brandenburg an der Havel zu sein, wo am Samstag der vorletzte Turniertag der Europameisterschaften im Kanu-Polo stattfindet.
Unmittelbar vor einer langgezogenen, zur Hälfte überdachten Tribüne reihen sich auf dem Wasser vier Kanu-Polo-Felder: Jedes etwa von der Größe eines Handballfeldes und jeweils mit schwimmenden Stegen umgeben, so dass die Schiedsrichter sich überall entlang des Spielgeschehens direkt einen Überblick verschaffen können.
Ein Knäuel an Kajaks
Die Felder werden bei der Europameisterschaft parallel bespielt. In vier Kategorien gibt es Medaillen zu gewinnen: bei den Männern, den Frauen sowie bei den U-21-Männern und U-21-Frauen.
Beim weiblichen Nachwuchs spielen am Morgen die Polinnen gegen die Italienerinnen. Man erhält dabei einen Eindruck, was Kanu-Polo bedeutet: Handball auf dem Wasser, nur etwas komplexer, weil man eben auch noch sein Einerkajak paddelnd fortbewegen muss. Die beiden Tore hängen jeweils in zwei Meter Höhe, und in diese Gehäuse soll der Ball mit einem gezielten Wurf befördert werden.
Zum Torabschluss zu kommen, scheint allerdings kompliziert. Bei jedem Angriff entsteht vor den Toren ein Knäuel an Kajaks und sich stoßenden, tackelnden, mit dem Paddel zusetzenden Spielerinnen. Diese Angriffsszenen erinnern ein wenig an die Comic-Raufereien zwischen Asterix, Obelix und den Römern. Nur dass hier nicht die Sprechblasen PAFF!, BANG! und BLOING! aus dem Gewühl fliegen, sondern in alle Richtungen spritzendes Wasser.
Die Familie muss mitziehen
Die 1.800 Zuschauer fassende Tribüne ist derweil noch nicht einmal zur Hälfte mit Zuschauern besetzt. Doch fünf Polen sorgten für ordentlich Lärm. Jeweils in den rot-weißen polnischen Nationalfarben gekleidet, ausgestattet mit Tröten und einem unerschöpflich wirkenden Arsenal an polnischen Schlachtrufen peitschen sie ihre Landsfrauen nach vorne.
Mit dabei sind Albert Watkowski und Marta Wotkowska, deren Töchter Nadia und Oliwia gerade weiter unten zur Halbzeit bereits mit 0:3 zurückliegen. Gemeinsam sind sie aus Choszczno angereist, einer grenznahen Stadt, 300 Kilometer vom Betzsee entfernt. So eine Distanz sei kein Problem, sagt Vater Albert. Da schnalle man die Boote aufs Auto und begleite die Töchter zum Wettkampf. Vor drei Jahren fand ein internationales Turnier in Kanada statt, "da mussten wir die Boote einfliegen lassen".
Das zeigt schon mal: Kanu-Polo ist eine Randsportart – und die funktioniert ab einem gewissen Profigrad nur noch, wenn die ganze Familie mitzieht. Überhaupt wirken die Zuschauer auf der sich langsam füllenden Tribüne ziemlich vertraut miteinander, ob Niederländer, Portugiesen oder eben Deutsche: Man winkt und prostet sich zu, geht kurz in die benachbarte Reihe, um einen Plausch zu halten.
"Dynamik und der Teamgedanke"
Besonders vernetzt scheint dieser eine Fan zu sein, ein zwei-Meter-Mann, breit gebaut, bemützt mit einem riesigen schwarz-rot-goldenen Fan-Hut. Der Mann wird von so vielen anderen Zuschauern angesprochen, dass man sich auch als Reporter mal kurz mit ihm unterhalten muss. "Ich bin selbst aktiv, spiele für den RKV Berlin. Dadurch kenne ich viele Spieler, weil ich teilweise mit ihnen trainiere oder weil wir uns in der Bundesliga Duelle geliefert haben", erzählt der Mann, der sich als Hanjo Diederich vorstellt. "Dadurch entstehen auch Freundschaften."
Er sei bei jedem Turnier der deutschen Auswahl dabei, sofern er es irgendwie einrichten könne. Was er am Kanu-Polo so liebe, sei die "Dynamik, der Teamgedanke. Der Sport ist sehr schnell, es geht um Kraft, Koordination und um fließende Bewegungen: den Ball fangen und werfen. Das ist beeindruckend", sagt Hanjo Diederich.
Kirchhoff gilt als weltbester Torwart
Hinter der Tribüne reihen sich die Imbissbuden, es gibt Fischbuletten und Softeis (Pistazien- und Erdbeercreme). Etwas weiter entfernt vom Trubel sind große Gruppenzelte für die Mannschaften aufgebaut. Hier trifft man René Kirchhoff, der als weltbester Kanu-Polo-Torwart gilt. Trotzdem wird er auf der Straße nicht erkannt. "Das ist gar nicht so schlimm", sagt er auf den fehlenden Star-Status angesprochen und lacht. Man kauft ihm die Bescheidenheit ab. Das sei doch nicht das Schlechteste: "Natürlich will man der beste sein im Sport, den man macht. Trotzdem hat man sein Privatleben." Und Teil davon ist beim gebürtigen Reinickendorfer: im Herbst seinen Master der Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität zu beginnen.
Auch das bedeutet Leidenschaft für eine Randsportart: In einem Nationalteam zu spielen, das sich an diesem Tag mit 3:0 über Spanien locker und standesgemäß fürs Halbfinale qualifiziert. In der Bundesliga mit dem KSV Havelbrüder Berlin die Meisterschaft zu gewinnen. Als bester Torwart überhaupt zu gelten. Und trotzdem einiges an eigenen Kosten aufbringen zu müssen: So bezahlt er für die Teilnahme an Turnieren mit der Nationalmannschaft 40 Euro, Hotel und Anreise würden allerdings vom Kanuverband gestellt. "Bis 2018 hatten wir noch gar keine Förderungen", sagt Kirchhoff.
"Von daher bin ich froh, dass wir überhaupt etwas bekommen, und nicht alles selbst zahlen müssen." Die mehr als 2.000 Euro teuren Kajaks müssen sich die Nationalspieler etwa alle zwei Jahre neu kaufen, aufgrund des hohen Verschleißes wegen zahlreicher Tacklings und Zusammenstöße. Für die A-Kader-Spielerinnen und -Spieler würde ein Hersteller mittlerweile die Boote leihweise stellen, sagt Kirchhoff. Es wäre aber "schön, wenn das für die U21 auch noch gelten würde. Die brauchen das noch dringender."
"Wir wollen Europameister werden"
Obwohl die Sportart entbehrungsreich ist, ist sie gerade in Berlin besonders stark vertreten: Drei Bundesligaklubs stellt die Hauptstadt, außer den Havelbrüdern sind das der Ruder- und Kanuverein sowie der Kajak-Club Nord-West. "Wir haben in Berlin auf kleinem Raum viele Vereine und haben eine gute Nachwuchsarbeit", sagt Kirchhoff. Und: "In jeder Altersklasse kommen mittlerweile viele Schüler dazu".
Lia Kölling ist Kapitänin des U-21-Nationalteams der Frauen. Bislang hat die Mannschaft jedes Spiel gewonnen, steht nun im Finale. "Diese Heim-EM ist wichtig, weil sie Werbung für diesen Sport bedeuten kann", sagt sie. Auch Kölling sagt, dass man für den Sport viel investieren müsse und das eigentlich nur gehe mit Eltern, auf die man zurückgreifen könne.
Ihr Ziel bei diesem Turnier: "Wir sind topmotiviert. Wir sind laut auf dem Feld miteinander, wir sind wach", sagt sie und fügt strahlend hinzu: "Wir wollen Europameister werden!" Randsportart hin oder her.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09. September 2023, 19:15 Uhr