Zum 70. Geburtstag von Nina Hagen - Eisern aus Liebe

Di 11.03.25 | 07:33 Uhr | Von Ilja Behnisch
  66
Die Pop-Sängerin Nina Hagen hält am Montag (24.8.98) in Berlin einen Fan-Schal des Fußball-Regionalligaklubs 1. FC Union über ihren Kopf. (Quelle: Picture Alliance/Peer Grimm)
Picture Alliance/Peer Grimm
Audio: rbb 88.8 | 11.03.2025 | Nadine Kallenbach | Bild: Picture Alliance/Peer Grimm

Das von Nina Hagen gesungene "Eisern Union" gehört zum 1. FC Union wie das Stadion An der Alten Försterei. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Songs fast schon ein Widerspruch zum Leben der Musikerin. Und gerade deshalb passend. Von Ilja Behnisch

Sich Nina Hagen nähern zu wollen - sie gar erklären zu wollen - ist ein derart heilloses Unterfangen, dass man es auch gleich über den Fußball versuchen kann. "Eisern Union" heißt das Lied, das sie nun seit fast 27 Jahren im Stadion An der Alten Försterei spielen, der Heimspielstätte des 1. FC Union. Immer dann, wenn die Mannschaften kommen, wenn er gleich los geht - der große Zirkus Fußball.

Auf den ersten Blick passt es gut ins Bild, dass es Nina Hagen ist, die diese Hymne schmettert und trällert und brumpft. Alles zugleich, wie es eben so ihre Art ist.

"Union sozusagen genetisch verbunden"

Ihr Vater, der Drehbuch-Autor Hans Hagen (1922-1992), ist eingefleischter Fan des Vereins. Tochter Nina erzählt dem Magazin "Der Spiegel" 2001 einmal: "Ich bin Union sozusagen genetisch verbunden. Mein Papi war glühender Anhänger. Der hat kaum ein Spiel versäumt und ist immer völlig ausgeflippt, wenn die gespielt haben. Ich war immer total fasziniert von diesen Gefühlsausbrüchen meines Vaters, obwohl ich eigentlich gar nicht verstand, worum es genau ging. Aus reiner Liebe zu meinem Vater bin ich mit Union verwachsen."

Und dann teilen Hagen und Union auch noch diese Zuschreibungen: willens- und kampfstark, unbeugsam, anders als der Rest. Oder wie Christian Arbeit, Stadionsprecher und Geschäftsführer Kommunikation des Klubs, einmal dem rbb gegenüber sagt: "Nina Hagen passte genau zu dem, was Union schon immer verkörpert hat: ein bisschen wild, ein bisschen struppig und irgendwie verrückt." Dabei passt dieses Lied vor allem auch deshalb so gut zu Nina Hagen, weil es mit Widersprüchen auskommen muss.

Ein Song als Image-Politur

Im Sommer 1998 steckt Hagen inmitten der Arbeit zu ihrem Album "Om Namah Shivay!". Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt sie sich schon seit einigen Jahren mit dem Hinduismus. Der Titel der Platte ist einem berühmten Heilungsmantra entnommen. Bei Union Berlin, damals Drittligist, haben sie derweil relativ irdische Probleme: Der Verein steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Erst der Einstieg der Firma Kinowelt wendet eine Pleite ab.

Zeitgleich ist Vizepräsident Peter Wolfram, ein Werbefachmann aus München, der Überzeugung, Union benötige ein neues Image. Michael Kölmel, Chef des Investors Kinowelt und ebenfalls Münchner, nimmt sich der Sache zusammen mit zwei Musikern an, entwirft eine erste Song-Idee, die später von Klaus Sperber (Musik) und Andreas Cämmerer (Text) finalisiert wird. Produziert wird der Song in einem Studio in Frankfurt am Main.

Berliner Punkrock-Ikone Nina Hagen wird 70

Keine leichte Kindheit

Für einige Union-Fans ist das alles zu viel "westdeutsche Komponente". Besonders angesichts der prominenten Liedzeile "Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen". Doch die (Marketing-)Idee geht auf. Die CD erscheint Ende August 1998 und wird sofort angenommen. Und spätestens als Nina Hagen "Eisern Union" im November 1998 live im Stadion singt, sind alle Zweifel vergessen. Auch, weil Nina Hagen diese enorme Fähigkeit besitzt, Lieder zu ihren zu machen, auch wenn sie "nur" die Interpretin ist. Und das, obwohl die Mannschaft an diesem regnerischen Tag und vor 3.294 Zuschauern mit 0:1 gegen Chemnitz verliert.

Widersprüchlich bleibt die ganze Nummer trotzdem. Zumal Hagen von klein auf eigentlich nur eines will, nämlich abhauen aus der vor allem künstlerischen Enge der DDR, in die sie vor inzwischen 70 Jahren hineingeboren wird. Spätestens aber dann, als ihr "Ziehvater" Wolf Biermann ausgewiesen wird: 1965 ist ihre berühmte Schauspieler-Mutter Eva-Maria Hagen die Beziehung zum Liedermacher Biermann eingegangen. Schon zwei Jahre später wird Nina "unehrenhaft" aus der DDR-Jugendorganisation FDJ entlassen. Die Mitschüler sprechen auf Geheiß nicht mehr mit ihr, die Staatliche Schauspielschule lehnt sie ab.

Dabei hat sie es doch so schon nicht leicht. Ihr Name, so erinnert sie sich in der 2014 erschienenen ARD-Doku "Godmother of Punk", habe immer "Die Tochter von Eva-Maria Hagen" gelautet. "Das war furchtbar. Als ob die ganze Zeit ein Scheinwerfer auf mich gerichtet war." Immerhin: Biermann sei nicht nur ihr Lehrer gewesen, der ihr zudem die Lebensliebe für Bertolt Brecht offenbarte, er hat ihr auch das Gitarrespielen beigebracht.

Hagen mischt die "bundesdeutsche Reihenhaus-Idylle" auf

Eine Gesangs-Ausbildung darf sie absolvieren in der DDR. Dann singt sie Schlager. In der Hoffnung, als Reisekader ins Ausland zu dürfen. Sie will doch nur die Welt sehen und landet mit "Du hast den Farbfilm vergessen" (1974) ihren ersten und zugleich größten Hit. Zwei Jahre später stellt sie einen Ausreiseantrag, der genehmigt wird. Der Rest ist Geschichte und schönster Wahnsinn.

Nach Abstechern in die Londoner Punkszene, nach einer Art WG mit dem Komiker Otto Waalkes in Hamburg ("Ich war schon wahnsinnig. Aber das war noch eine Steigerung.") kommt sie in Berlin-Kreuzberg an und trifft auf die sich in der Auflösung befindliche Band "Lokomotive Kreuzberg", die später zu Spliff wird, zuvor aber als "Nina Hagen Band" zwei äußerst erfolgreiche Alben aufnimmt. Auf der dazugehörigen Tour, so schreibt es 1992 die Zeitung "Die Welt", hatten sie "auf die bundesdeutsche Reihenhaus-Idylle eine ähnliche Wirkung (...) wie 20 Jahre zuvor Bill Haleys 'Rock around the clock'".

Als wäre sie von sich selbst gelangweilt

Eine Wirkung, die Hagen auch später immer wieder erzeugt, etwa in Talkshows. Mal, als sie 1979 im österreichischen Fernsehen äußerst anschaulich den weiblichen Orgasmus erklärt. Mal, als sie 1992 die damalige Frauenministerin Angela Merkel angeht ("Ich schreie Sie so lange an, wie ich will!"). Merkel scheint es immerhin kaum persönlich genommen zu haben - schließlich ließ sie zu ihrem großen Zapfenstreich, ihrem Abschied als Bundeskanzlerin 2021, "Du hast den Farbfilm vergessen" erklingen. Angestimmt vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr, einem Blasorchester.

Auch Hagens musikalischer Horizont öffnet sich über die Jahre. Sie macht irgendwann sogar Country, erhält 1999 für eine Neueinspielung der "Dreigroschenoper" den "Echo Klassik". Zu fassen bekommt man sie in all den Jahren nie. Sie kann so wunderschön singen, über vier Oktaven. Oft braucht es nur ein paar Töne, dann hat sie einen mit einer Stimmung davon getragen. Und doch bricht sie immer aus. Mit schrillen Tönen, mal piepsig hoch, mal grummelig tief. Mit Grimassen. Als wäre sie von sich selbst gelangweilt.

Nina Hagen vor dem Pokalfinale zwischen Union und Schalke im Sommer 2001 (imago images/Baering)Nina Hagen vor dem Pokalfinale 2001 im Berliner Olympiastadion.

Keine Glücksbringerin für Union

Hört man Wegbegleiter über sie sprechen, zum Beispiel in "Godmother of Punk", ist da immer ein Tasten. Es lässt sich leicht beschreiben, wie Nina Hagen ist: Ein "Weltstar" (Udo Lindenberg), "das größte, weibliche Gesangstalent, das wir in der deutschen Popkultur je hatten" (Campino), "keine Sängerin, eine Zauberin" (Otto Waalkes). Oder wie es ihre Tochter, Cosma Shiva Hagen, sagt: "Diese Mischung aus sexy, verrückt und komisch - die gab es vorher nicht." Nur warum Nina Hagen so ist, wie sie ist, bleibt immer rätselhaft. Und vielleicht macht das ihren Zauber aus, dass sich auch nach 70 Jahren nicht zu erklären ist.

Eines jedoch scheint klar - vor Spielen von Union wird sie wohl nicht mehr auftreten. Und das immerhin lässt sich erklären. Denn nach der 0:1-Niederlage bei der Premiere im November 1998 folgte eine Darbietung vor Unions Pokalfinale 2001. Das Ergebnis? 0:2. Aber egal, denn: "Brecht hat ja immer gesagt: Vertont die Texte! Das ist meine Lebensaufgabe." Hat sie gemacht. Eisern Union.

Sendung: rbb 88.8, 10.03.2025, 12:15 Uhr

Beitrag von Ilja Behnisch

66 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 66.

    Das ist keine Ausbürgerung im eigentlichen Sinne, so wie bei Biermann. Wer die DDR aus freien Stücken per Ausreiseantrag verlassen durfte, verlor automatisch die Staatsbürgerschaft der DDR und durfte nicht mehr einreisen. Das mag ja im Ergebnis dasselbe sein, aber jemanden die Einreise zu verweigern der überhaupt nicht vor hatte das Land zu verlassen, ist noch etwas völlig anderes. Und das nennt man im strengeren Sinn im Zusammenhang der DDR-Willkür Ausbürgerung.

  2. 65.

    Und nocheinmal! Für mich ist Nina Hagen eine extrem sympathische, hochsensible und interessante Frau! Sie ,,begleitet“ mich mein Leben lang, seit ihren Anfängen. Sie mußte auch viel durchmachen, mit Stasiverbrechern usw. Vor 4 Jahren war ich zu ihrem Konzert im Berliner Ensemble, Paul von Rammstein war auch im Publikum. Auch habe ich drei LPs von ihr, die ich ab ind zu noch höre. Ein Lieblingssong ist,, Wenn ich ein Junge wär“. Herzlichen Glückwunsch Nina!

  3. 64.

    Vor 12 Jahren war ich als 'Frankfurter Bub' (Hurra die Hesse komme) auf strategische Wohnungssuche. Da überließ mir ein jüdischer Freund über die Sommermonate seine Gartenlaube direkt am Teltowkanal in Teltow.

    Dabei lernte ich Deutsche kennen, die 20 Jahre nach der Wende den Westen (ehemals West-Berlin -Steglitz) noch nie besucht hatten und andersherum viele Steglitzer auch. Es trennte nur eine Brücke. Da war unsere "Worldwide Godmother of Punk" viel schneller, beweglicher und freiheitsliebender.

    Als "liebendes" Mitglied des abstiegsbedrohten 1. FFC Turbine Potsdam und Eintracht-Fan seit Kindheitstagen amüsiert es mich, dass unser aller Ikone und Punk-Lady Nina Hagen die Union-Hymne in einem Tonstudio in Frankfurt-Niederrad produziert hat.

    Ganz in der Nähe des damaligen Frankfurter Waldstadion, des ehemaligen DFB Headquarters an der Otto-Fleck-Schneise und der Tür zur Welt des Flughafen Frankfurt/Rhein/Main - internationaler und gesamtdeutscher geht es nicht.

  4. 63.

    Nope, Hagen wurde ausgebürgert, NACHDEM sie geflohen ist (im Westen geblieben).

  5. 62.

    Sehr geehrte Su Vali Was bitte soll falsch sein an der Erwähnung vom Fußballverein 1.FC Union dessen Hymne alle zwei Wochen im Stadion erklingt und von Nina Hagen gesungen wird . Sie schreiben, Sie haben keine Ahnung von Fußball. Sie scheinen überhaupt wenig Ahnung von Sport zu haben, sonst wüssten Sie z.B das die Hymne von Hertha BSC von Frank Zander gesungen wird und der auch nicht alle zwei Wochen im Olympiastadion singt . Auch zum Geburtstag von Zander wurde erwähnt das er die Hymne von Hertha singt. Und was ist mit den Eisbären Berlin ein Eishockey Club. Wer singt die Hymne? Richtig : Die Puhdies . Ja wenn man kommentiert sollte man nachdenken oder haben Sie etwa eine Aversion gegen eine bestimmte Mannschaft von deren Sportart Sie ja, wie Sie selbst sagen, keine Ahnung haben. Hier geht’s übrigens um das Wirken von Nina Hagen und da gehört glaub ich , auch dazu , das sie die Hymne von Union singt.Ihre künstlerischen Verdienste erwähnen sie komischerweise nicht

  6. 61.

    Dann bitte ich um Entschuldigung und nehme alles zurück! Ich muß aufpassen, daß ich nicht zur Verrohung im Internet beitrage!

  7. 60.

    Sie sollten mit Ihrer Beleidigung vorsichtiger sein, wenn Sie nicht wissen, wer Ihr Gegenüber ist. Ich habe selbst einen dieser ,,Briefe'' gegen die Ausbürgerung von Biermann in den Händen gehalten. Ich war damals 18 Jahre alt!
    Und wer hier von uns beiden, in Bezug auf die damalige Realitäten ,,dumm sterben wird'', ist jetzt wohl klar - ich war dabei und das in Künstlerkreisen!
    P.S.: Legen Sie Ihre Überheblichkeit, in Form eines Volkslehrers ab.

  8. 58.

    Wenn sie einen offenen Brief für die Wiedereinreise ihres Ziehvaters Wolf Biermann (den viele Künstler unterschrieben), als aktiven Widerstand gegen das Regime der DDR bezeichnen wollen, dann mag das ihre persönliche Sicht von aktiven Widerstand sein, denn Widerstandskämpfer (das wissen wir heute) waren wir ja alle.

    Allerdings wüsste ich dann gerne, was auf ihrer Skala dann die vielen Bürgerrechtler waren, die aktiv für eine Änderung das System gekämpft haben?!

  9. 57.

    Wenn sie einen offenen Brief für die Wiedereinreise ihres Ziehvaters Wolf Biermann (den viele Künstler unterschrieben), als aktiven Widerstand gegen das Regime der DDR bezeichnen wollen, dann mag das ihre persönliche Sicht von aktiven Widerstand sein.

    Allerdings wüsste ich dann gerne, was auf ihrer Skala dann die vielen Bürgerrechtler waren, die aktiv für eine Änderung das System gekämpft haben?!

  10. 56.

    An welchen Protesten soll sich denn Nina Hagen Bitteschön in den 70-iger Jahren beteiligt haben und welcher Jahrgang sind sie bitte schön?!
    Aber damit sie nicht „dumm“ sterben, sie verwechseln Nina Hagen mit ihrer Mutter Eva-Maria Hagen, die damalige Lebensgefährtin von Wolf Biermann.

  11. 55.

    Nina Hagen wurde tatsächlich ausgebürgert. Sie war nicht mehr im Osten erwünscht. Sie wurde ausgewiesen.

    Eine so mutige Frau. Haltung ist eben alles.

  12. 51.

    Ja , Strauß als Mann der Mitte!.Verbal und in der Form die DDR, die Studentenbewegung, die Linke, die Umweltschützer fertig machen und ablehnen . Dann unter der Hand schön Geschäftchen machen mit der verhassten DDR. Kommt dann so ungefähr auf ein Mann der Mitte heraus. Darüber hinaus mit Amigos - Methoden die Industrie aus Berlin nach Bayern lotsen. Bravo , hat das uns hier gut getan!!!

  13. 50.

    Und nocheinmal! Für mich ist Nina Hagen eine extrem sympathische, hochsensible und interessante Frau! Sie ,,begleitet“ mich mein Leben lang, seit ihren Anfängen. Sie mußte auch viel durchmachen, mit Stasiverbrechern usw. Vor 4 Jahren war ich zu ihrem Konzert im Berliner Ensemble, Paul von Rammstein war auch im Publikum. Auch habe ich drei LPs von ihr, die ich ab ind zu noch höre. Ein Lieblingssong ist,, Wenn ich ein Junge wär“. Herzlichen Glückwunsch Nina!

  14. 49.

    Brot und Spiele - hat schon bei den Römern funktioniert- und hier scheint es auch so zu sein

Nächster Artikel