Interview - Welche Rolle rechtsextreme Gruppen in den Fankurven spielen

Mo. 31.03.25 | 20:57 Uhr
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Anti-Nazi-Banner im Stadion (imago images/Noah Wedel)
Anti-Nazi-Banner im Stadion (imago images/Noah Wedel) | Bild: imago images/Noah Wedel

2024 war die Zahl der rechtsextremen Straftaten so hoch wie nie. Ein Grund: neue, gewaltbereite Gruppierungen. Julius Geiler hat darüber einen Film gedreht. Und auch die Verbindungen in den Fußball untersucht, wie er im Interview erzählt.

rbb|24: Herr Geiler, in der ZDF-Doku "Jung. Radikal. Organisiert" [zdf.de], in der Sie als Co-Host auftreten, begeben Sie sich auf Spurensuche im Milieu neu entstandener, rechtsextremer Gruppierungen und Straftäter. Dabei wird immer wieder deutlich, dass diese sich oftmals auch im Umfeld von Fußball-Vereinen tummeln. Ist das Zufall, weil sich junge Männer nunmal häufig für Fußball interessieren, oder hat das Methode?

Julius Geiler: Es gibt Fälle, in denen so etwas wie eine Rekrutierung stattfindet. Wir haben das in unserem Film anhand eines Beispiels aus Südwestdeutschland zeigen können. Da versucht die Gruppierung "DST", der Störtrupp, durchaus gezielt, junge Menschen zu rekrutieren und von den eigenen Idealen zu überzeugen. Wenn wir aber, so wie im Film, den Fokus vor allem auf Berlin-Brandenburg legen, auf Union und Hertha, dann sind zwar viele Anhänger dieser Gruppierungen in den Kurven der Vereine zu finden, aber nicht in der organisierten Fan-Szene. Wir haben allein bei der "DJV" (Deutsche Jugend voran) mehr als 100 Querverbindungen gefunden von Menschen, die auch Hertha supporten. Die gehen natürlich auch ins Stadion, sind aber nicht in den größeren Ultra-Gruppierungen organisiert.

Wobei es durchaus neue Ultra-Gruppen gibt, die sich von den Meinungsführern in der Kurve abzusetzen versuchen.

Eine Mischung aus klassischen Ultras und Hools. Wobei vor allem die Gewaltaffinität in der Hool-Ecke zu verorten ist. Nur dass sie das nicht auf dem Acker ausleben, sondern auf der Straße. Was den Style angeht, orientiert sich das aber eher an den klassischen Ultras. Und es sind sicherlich auch viele dabei, die gern in die klassischen Gruppierungen gekommen wären, aber aus politischen Gründen abgewiesen wurden.

Ihre Doku zeigt auch, dass Fußball innerhalb der neuen, rechtsextremen Gruppierungen oftmals gar nicht so gern gesehen wird.

Wir haben wirklich lange in den verschiedensten Gruppen-Chats mitgelesen, sie mehr oder weniger infiltriert zu einer Zeit, als es noch sehr einfach war, da reinzukommen. Da merkte man zu Beginn des Sommers 2024 eben auch, dass das alles keine gewachsenen Neonazi-Strukturen waren. Und nachzulesen war immer wieder auch der Wunsch, den Fußball doch bitte hinten anzustellen. Weil da natürlich Leute zusammenkommen, die Fans ganz verschiedener Vereine sind, teils auch verfeindeter Fan-Szenen. Deren Konflikte will man da nicht haben. Da steht Politik an erster Stelle. Das ist das verbindende Element.

Im Film wird auch ein Neo-Nazi mit gut sichtbarem Hertha-Tattoo gezeigt. Bei der nächsten Demo, auf der er mitläuft, ist es verdeckt.

Wir haben keinen Beleg, man kann also nur mutmaßen, ob die Aufforderung dazu aus dem Hertha-Umfeld oder dem der rechtsextremen Gruppierung gekommen ist. Es gibt allerdings ähnliche Fälle, bei denen es vermutlich klare Ansagen aus Hertha-Kreisen gab. So gab es vor einigen Jahren eine Veranstaltung mit Björn Höcke in Oranienburg, bei der drei, vier Ordner der AfD Hertha-Shirts getragen haben. Da gab es dann relativ schnell eine Reaktion, auch weil der Förderkreis Ostkurve darauf aufmerksam geworden ist.

Mit fast 42.000 Fällen sind die rechtsextremen Straftaten 2024 auf ein Rekordhoch geschnellt. Ist das auch im Fußball spürbar?

Vieles, was gerade außerhalb des Stadions passiert, erinnert an die 1990er Jahre. In Brandenburg werden wieder alternative Jugendclubs angegriffen oder ausländische Studierende und das alles in einer Frequenz, die man noch vor ein paar Monaten für undenkbar gehalten hat. Und ich würde schon sagen, dass sich die Vorfälle auch in eher unpolitischen Kurven wie denen von Hertha und Union häufen. Gerade auch auf Auswärtsfahrten bekomme ich das selbst mit, wenn ich mit Hertha unterwegs bin.

Klingt gruselig.

Ich will keine Panik verbreiten. Der Fußball kehrt nicht zurück in die Neunziger. Dafür gibt es mittlerweile viel zu viele Projekte und Initiativen, gerade auch von Fans, die sich dagegen verwehren. Hinzu kommen die Vereine selbst, die sich oft sehr klar positionieren. Ich glaube nicht, dass die Kurven sich komplett rückwärts entwickeln. Aber natürlich ist das gesamtgesellschaftliche Klima gekippt. Und das merkt man auch im Stadion.

Gibt es Vereine, die besonders gefährdet sind?

Wir haben uns in unserer Recherche bewusst nicht auf die Ostvereine konzentriert. Aber natürlich gibt es da Klubs, die herausstechen. Ich würde Hansa Rostock an erster Stelle nennen. Einfach auch wegen der fehlenden Konkurrenz in Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es im Stadion schon extreme Überschneidungen zu den rechtsextremen Jugendgruppen. In Berlin ist der BFC Dynamo zu nennen. Wir haben im Film ein Interview mit einem Neonazi geführt, der ganz offen sagt, dass beim Dritten Weg (einer rechtsextremen und neonazistischen Kleinpartei; Anm. d. Red.) Einzelne relativ eindeutig den BFC unterstützen. Auch Energie Cottbus muss man in diesem Zusammenhang immer nennen. Weil gerade da die jungen Ultras sehr organisiert und teilweise klar rechtsextrem unterwegs sind.

Sie zeigen sich nicht nur in der ZDF-Doku mit Ihrem Gesicht, arbeiten als Reporter für den "Tagesspiegel" immer wieder im rechtsextremen Umfeld. Haben Sie eigentlich nie Angst? Zum Beispiel beim Stadionbesuch?

Ich habe immer mal wieder Respekt in bestimmten Situationen. Aber keine Angst. Ich fühle mich sicher und gehe weiterhin sehr gerne zu Hertha. Gerade auch, weil ich persönlich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht habe. Ich war gegen den Karlsruher SC zum ersten Mal seit der Veröffentlichung der Doku im Stadion und natürlich auf die Reaktionen gespannt. Aber alles, was ich aus dem Hertha-Umfeld gehört habe, war positiv. Natürlich gab es auch Stimmen, die sich gewünscht hätten, noch mehr von der vielen positiven Arbeit rund um die Hertha zu zeigen. Und das ist auch alles wahr, war am Ende bei einem 30-Minuten-Film aber letztlich vor allem ein Zeitproblem.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ilja Behnisch.

23 Kommentare

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  1. 23.

    Gut, dass der ganze undankbare Osten rechtsradikal ist, war/ist nach der Wahl offensichtlich.
    Aber, dass es im "beliebtesten Fußballverein Berlins" und Big City Club Hertha BSC auch Rechtsradikale, Neofaschisten Nazis gibt, in einer Szene, der dem verstorbenen Herthaner des Jahres vorstand - erschüttert mich jetzt aber doch.
    Das kann ich mir, wie @Eiskralle, nicht vorstellen.

  2. 22.

    Was soll diese heuchlerische Ingnoranz?
    Es gibt mehr als zwei Hände voll an Nachweisen dass die führenden Köpfe der mittlerweile verbotenen Ultragruppierung Inferno Cottbus mit der regionalen Neonazis Szene verflochten ist.
    Dazu zählen der Betreiber von Frontside und der Marke Label23 sowie das komplette Umfeld des Inhabers Daniel Grätz.
    Die Cottbuser Ultra Fanszene war und ist überregional als neonazistisch bekannt.

  3. 20.

    Ich will gar keine Bewertung vornehmen, welches Extreme schlimmer ist. Mir geht es grundsätzlich um ausgewogene Berichterstattung. Und da kann es schlicht nicht sein, dass man sich auf eines besinnt und andere unangenehme Nachrichten, die woanders zu lesen sind, vernachlässigt oder gar nicht darüber berichtet. Ich möchte umfassend informiert werden. Da gehören alle Extreme dazu. Besinnt man sich nur auf eines und dämonisiert ohne Grund ganze Landstriche, ist das für mich nicht neutral.

  4. 19.

    Was ist Ausgewogenheit?
    Fakt ist ja (hoffentlich unumstritten), dass Rechsextremismus einmassiv größeres Problem ist als Linksextremismus.
    Ergo wird da auch mehr drüber berichtet.
    Zu verurteilen ist beides, das sollte klar sein.

    Aber Hand aufs Herz: Ich habe im Stadion und Umfeld noch nie Linksextremes bemerkt, Rechtsextremes schon, bei jedem Besuch.

  5. 18.

    Schon mal darüber informiert, was Energie Cottbus gegen Extremismus tut? Das geht ein bisschen über Ihre mutige Beiträge in diesem Forum hinaus.

  6. 17.

    Ah, Sie meinen, der "gute" Linksextremismus sollte medial geschont werden? Ist in Ihren Augen nicht beides gleich schlecht?

  7. 16.

    Tja, ich fragte nach Belegen, die Herr Geiler schon einmal vorzeigen müsste. Sie scheinen sich mit der reinen Behauptung zufrieden zu gegen bzw. selbst unbewiesene Aussagen zu tätigen.

  8. 15.

    Ich nehme das Gegenteil war. Cottbus und gerade die Energie wird hier auf dem RBB viel zu selten kritisch betrachtet. (Das hier ist übrigens ein Interview)

    Dieser Club und die Stadt hat ein Problem, das weiß jeder, der ehrlich in Cottbus lebt und die Augen öffnet.

  9. 14.

    Das ist plumpes Ablenken, lieber "Lausitzer". Wer Neonazis in der Cottbuser Fußballszene sehen will, muss nur die Augen aufmachen. Die gesamte Stadt ist gestickert mit teilweise klar völkischen, rechtsextremen Parolen.

    Und wenn das nicht reicht: einfach mal am Spieltag Abends am Bahnhof stehen.

  10. 13.

    Kann jeder sehen, der sich nach Cottzbus ins Stadion begibt. Im Umfeld des Stadions fällt das auf und in der ganzen Stadt ebenfalls.

  11. 12.

    Lenk doch nicht ab: es geht heir um den weitverbreiteten Rechtsextremismus in den Fußballclubs - das ist allseits bekannt!

  12. 11.

    Dann kann man auch ausgewogener berichten. Schaffen andere Sender auch. Und da wundert man sich halt über die Einseitigkeit die hier herrscht. Ich will ausgewogene Berichterstattung. Ganz einfach. Aber das will ich auch schon seit Jahren.

    Fällt halt auf wenn man nicht nur beim RBB rumlungert.

    Beim Thema Wegschauen hat Berlin auch viel Potenzial das es auszuschöpfen gilt. Auch hier muss man leider mehrere Anbieter bemühen.

  13. 10.

    Nun ja, ich nehme das anders wahr,
    Z.B.: Als in Chemnitz im Stadion eines verstorbenen Neonazis gedacht wurde, gab es auch in Cottbus eine Gedenk-Choreo.
    Dass Cottbus ein Hotspot der Neonaziszene ist ist allgemein bekannt und keine Fantasie seitens des rbb,
    Diese Tatsache ändert sich auch nicht durch Ignorieren oder den Vorwurf, dass genug Leute darauf anspringen.
    Wegschauen hilft nicht!


  14. 9.

    Links und rechts, vorne und hinten steht die Gruppe, die ich kenne.
    Was hat, jedoch, eine Gruppe vor, die vollständig das Gesicht bedeckt, versteckt hinten einer Maske oder Haube, dass die Augen erahnt werden könnten.
    Ich hatte dieses Ding an, als ich beim Militär war, dieses im Herbst / Winter als Kälteschutz trug. Auch schon etwas her. Warum das jetzt im Stadion? Ist es kalt oder steht eine Operation an?

  15. 8.

    Cottbus und Brandenburg runterzuziehen gehört hier beim RBB leider zum Alltagsgeschäft. Das ist mittlerweile mehr als nur ärgerlich. Hat nur wenig mit der Realität zu tun. Gibt aber genug Leute die darauf anspringen.

  16. 7.

    Ich wiederhole meine Kritik an dem Artikel, der hier bis dato nicht veröffentlicht wurde (passt der Redaktion wohl nicht): Wo sind die Belege des Herrn Geiler, dass man Cottbus "immer nennen müsse"? Und was ist mit Linksextremismus, der nicht besser ist als Rechtsextremismus und in Brandenburg leicht aufzuspüren wäre?

  17. 6.

    Fußball hat schon lange seine Unschuld verloren. Er wird von allen Seiten missbraucht. Von Neonazis (bitte nicht verkürzt Nazis nennen, das verharmlost die Verbrechen des Dritten Reiches) etwas versteckter, aber deswegen gefährlich, aber leider auch sichtbarer und mit freundlicher Mithilfe von Clubs wie St. Pauli von Linksextremisten-Seite. Nichts davon ist ungefährlich. Und der Rest des Fußballs ist durchkommerzialisiert. Vereine und Verbände machen dabei munter die Spielchen von FIFA und UEFA mit. Ich habe mit dieser Art des Fußballs schon vor längerer Zeit abgeschlossen. Der Kommerz und die Glitzerwelt führen übrigens auch dazu, dass die gewalttätigen Seiten gut unter den Teppich gekehrt werden können. Und dann sind bei so einer Doku ganz viele überrascht, ich nicht.

  18. 5.

    Die Gefahr liegt in der Verharmlosung dieser menschenverachtenden Politik, die zur Normalisierung beiträgt. Dazu gehört auch das Narativ, dass es ja nur "ungefährliche" Einzelfälle seien.
    Leider erlebe ich es auch durch Vereine, die sich nicht wirklich dagegen positionieren. Warum drohen diese nicht mit Stadionverbot en, wenn "Fans" die Vereine in solchen Kreisen, wie den Dritten Weg usw. präsentieren und damit eine Verbindung herstellen?

  19. 4.

    Ja, das ist möglich. Bei Union und bei Hertha sicher auch. Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und ein Nazi noch keinen Terrorblock. Also einfach mal die Reportage nicht als Alarmmeldung verstehen, sondern als Weckruf bzw. Aufruf wachsam zu sein.
    Und wenn Sie ins Stadion gehen, schauen Sie sich eben mal um, wer neben Ihnen geht und steht.

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