Bundesliga Home Challenge - Ostkurven-Feeling in der Kommentarspalte

So 29.03.20 | 16:34 Uhr | Von Johannes Mohren
Bundesliga Home Challenge (Quelle: Screenshot/Youtube)
Bild: Screenshot/Youtube

Bei der Bundesliga Home Challenge duellieren sich Profiklubs in der Corona-Pause bei FIFA 20 an der Konsole. Live übertragen im Internet. Johannes Mohren hat sich als betroffener Fußball-Fan das Notfall-Programm für seine Leidensgenossen auf Entzug angeschaut. 

Was Sie jetzt wissen müssen

Es ist Samstag, es ist 15:30 Uhr - und es passiert: Gar nichts. Es beginnt das große Warten auf dem Youtube-Kanal der Virtual Bundesliga. 2.793 potentielle Zuschauer - mal ein paar mehr, mal ein paar weniger - und ich lechzen zu diesem Zeitpunkt nach dem Duell Greuther Fürth gegen Hoffenheim. Ja, genau: Einer Partie mit dem Attraktivitätslevel der Toilettenpapier-Suche in Corona-Zeiten. Aber egal, hauptsache ein Ball rollt. Hauptsache Fußball.

15:38 Uhr. Ich checke mein WG-Internet. Läuft eigentlich. "Wegen Corona wurde der Livestream abgesagt!", schreiben die ersten. Zwinkersmiley. Andere tippen wild eine 1 nach der anderen. Irgendwer hat dazu aufgerufen und als hätte noch jemand einen endgültigen Beweis für die Entzugserscheinungen bei den Fußball-Fans gebraucht, machen alle mit. Na ja, ziemlich viele zumindest. 1, 1, 1, 1, 1, ... ! Mein Handy vibriert, willkommene Ablenkung. "Youtube ist auch eine Welt für sich", schreibt mir ein Kollege zum Kommentarspalten-Spektakel.

Technische Probleme gleich zum Start

Es gebe "technische Probleme", teilt die Virtual Bundesliga irgendwann mit. Andere Welt, andere Gründe für Spielverschiebungen. Die klassische, fußballromantische 15:30-Uhr-Anstoßzeit ist damit jedenfalls schon mal passé. Um 16 Uhr soll der erste Spieltag der Bundesliga Home Challenge jetzt starten. Zeit für kompakte Regelkunde: 26 Klubs der 1. und 2. Bundesliga messen sich im Computerspiel FIFA 20. Gespielt wird im 85er-Modus - sprich: Alle virtuellen Teams haben dieselbe Wertung. Und die Mannschaften bestehen aus zwei Spielern, die beide von zuhause aus antreten: einem Fußball-Profi und einer weiteren Person aus dem Vereinsumfeld. Einer bestreitet das Hin-, der andere das Rückspiel. 

Dann geht's tatsächlich los. 16:02 Uhr. Peter 'Petkus' Schwab sitzt da mit Headset als Moderator und Kommentator - quasi der Patrick Wasserziehr und Wolff Fuss in Personalunion. Im Hintergrund wird auf einem Bildschirm ein roter Dreisitzer als Studiodeko eingeblendet. Einrichtungstechnisch fraglich - aber nun ja: Ich will ja eigentlich auch nur endlich (!) wieder Fußball sehen. Rein in die Analyse Fürth gegen Hoffenheim also. "Richtig schlechtes Spiel", lässt TiRoDrums ziemlich bald in den Kommentaren wissen. Beurteilen kann ich das nicht, spiele FIFA selbst leidenschaftlich gerne - und schlecht. Keine wirkliche Empfehlung für einen Expertenjob.

"Jarstein wieder rein! Kraft eben doch ohne Mehrwert!"

Ein Teil der inzwischen mehr als 4.000 Zuschauer ist mit anderen Dingen beschäftigt. Es bebt in Hamburg. Eine verlässliche Konstante in der realen Fußball-Welt - Corona hin, Corona her. "HSV hat Hoffmann gefeuert, Jansen übernimmt", informiert Hablas Pratt. Ablenkung bei diesem Duell. Und das ist durchaus legitim. Ich will mich packen lassen - und werde noch nicht gepackt ... Aber gut: Da ist noch Hoffnung. Vielleicht liegt's ja einfach an der Paarung. FÜRTH gegen HOFFENHEIM?! Am Ende kann ich hier nicht einmal berichten, wie es ausgegangen ist. Der Entzug geht weiter (Wer sich an dieser Stelle um eine wichtige Information gebracht fühlt, möge auf diesen Link klicken [virtual.bundesliga.com]). 

Dann endlich. Hertha BSC gegen Paderborn. Und Herthas Social-Media-Abteilung tut alles für das echte Spieltags-Gefühl. Die Startelf wird als Video bei Twitter präsentiert. Business as usual - ganz so, als würde es gleich losgehen im Olympiastadion. Und kurz kann ich sie hören. Die blau-weißen Fans in der voll gedrängten S-Bahn in Richtung Spandau. Es riecht ein bisschen nach Bier (und ich bilde mir ein, das kommt im Home Office nicht nur aus der Küche meiner WG). Ich lausche den klaren Analysen, die über die Vierersitzgruppen hinweg durchs Abteil wabern.

"Kiprit, wirklich? Wat willste denn mit dem?"

"Jarstein wieder rein! Kraft eben doch ohne Mehrwert!"

"Endlich. Ibisevic, so ne Knipsertyp wie den brauchen wir."

Ein Sehnsuchtsmoment.

Und auch die FIFA-Hertha auf dem virtuellen Rasen gibt sich alle Mühe, der echten nachzueifern. Achtung: Verwechslungsgefahr! 13 Minuten sind gespielt und Paderborn führt mit 1:0. "Uff", tippt Anton m6 Sekunden später in den Chat. Und der ein oder andere Fan mag Flashback-Gefühle haben. Frühe Gegentore in Heimspielen? Da war doch irgendwas in fernen Vor-Corona-Zeiten ... Doch Elias Nerlich - als E-Sportler für Hertha an der Konsole - kann auf virtuellen Support bauen. Ein ausverkauftes Olympiastadion folgt ihm auf Instagram. Und einige der 81.900 Abonnenten sind dabei. Ein bisschen Ostkurven-Feeling in der Kommentarspalte.

Wenn platteste Plattitüden zur Poesie werden

4:1 gewinnt Nerlich - ein dickes Polster für den Hertha-Profi, der übernimmt. Maximilian Mittelstädt sitzt im eingeklinkten Fenster im Trikot von Mittelstädt und setzt in seiner Startelf natürlich unter anderem auch auf Mittelstädt. Die Vermutung? Marvin Plattenhardt gefällt das nicht. Es läuft weiter ordentlich. "Auf jeden Fall spielt Hertha besser als in der RL-Bundesliga", schreibt Sam Dios. Autsch, vergiftetes Lob. Mit Mittelstädt am Controler zeigt derweil vor allem einer, was in im steckt: Il Pistolero. Krzysztof Piatek trifft doppelt (so oft wie in sieben Einsätzen in Bundesliga und Pokal), das Spiel endet 2:2 - und Hertha gewinnt in der Addition mit 6:3.

Und dann? Zeit für die Interviews, exakt. "Ich bin ein wenig nervös in die Partie gekommen. Deswegen kann ich mit dem 2:2 sehr zufrieden sein. Und es war sogar fast noch der Lucky Punch drin", sagt Mittelstädt im Instagram-Chat mit den Fans nach dem Spiel. Das klingt dann plötzlich doch sehr nach normaler Bundesliga. Es ist Corona-Pause, wenn auch die plattesten Fußballer-Plattitüden zur Poesie werden. Ich will es hören, das nächste: "Eigentlich haben wir gut gespielt, aber einfach die Tore nicht gemacht." Ersatz ist die Bundesliga Home Challenge nur in wenigen Momenten. Der Entzug geht weiter - schade eigentlich! Und jetzt alle mit 1 kommentieren ...

Beitrag von Johannes Mohren

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