Regionalliga Nordost in der Corona-Krise - Welcher Ball-Jongleur schafft die Video-Challenge?

Do 09.04.20 | 06:31 Uhr | Von Till Oppermann
Spieler jongliert mit einem Ball. / imago images/opokupix
Bild: imago images/opokupix

In der Regionalliga Nordost rollt vorerst kein Ball. Die Vereine - oft an der Grenze zwischen Profi- und Amateursport - trifft das hart. Wie gehen die Klubs aus der Region damit um? Teil 2 unserer Serie: Zwischen Lizenzverfahren und Leichtathleten. Von Till Oppermann

Was Sie jetzt wissen müssen

Seit einer knappen Woche ist nun klar: Der Spielbetrieb in der Regionalliga Nordost ist komplett eingestellt - und zwar "bis auf Weiteres" [nofv-online.de]. Darauf hatten sich zuvor alle Präsidenten der Regional- und Landesverbände im DFB in einer Videokonferenz geeinigt. Die Vereine stehen nun ohne Gewissheit da - und haben mit ganz unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. Zehn Klubs aus Berlin und Brandenburg sind betroffen. In einer zweiteiligen Serie beleuchten wir ihre Situation.

Lesen Sie hier Teil 1 über Energie Cottbus, Berliner AK, Lichtenberg 47, Union Fürstenwalde und Babelsberg 03.

VSG Altglienicke

Nachdem die VSG Altglienicke überraschend um den Aufstieg mitspielt, hatte Geschäftsführer Marco Schröder vor gut einem Monat noch angenehmere Aufgaben als heute. Der Verein reichte die Lizenzunterlagen für die dritte Liga ein. Einige Wochen danach steht die Rekordsaison auf der Kippe. "Wir haben uns innerhalb des Vereins verständigt, dass wir gerne die Hinserie zählen lassen würden." Das wäre im Falle eines Saisonabbruchs am gerechtesten. Immerhin hätten dann alle Mannschaften genau gleich oft gegeneinander gespielt.

Und ganz uneigensinnig ist dieser Vorschlag auch nicht. Die VSG - aktueller Tabellenführer - stand auch zur Hälfte der Spielzeit auf dem Spitzenplatz. Es ginge also in die Relegationsspiele um den Aufstieg, sollten diese stattfinden. Das Lizenzverfahren für die dritte Liga stehe jedenfalls trotz der Unterbrechung aktuell nicht auf der Kippe, sagt Schröder. Denn - anders als bei anderen Klubs - gehen Altglienicke kaum Zuschauereinnahmen flöten. Wie alle wüssten, kämen ja keine Unmengen an Leuten zu den Partien. Geisterspiele seien trotzdem keine Option. "Wir wollen uns da gegenüber den anderen Vereinen fair verhalten und auf die Solidarität setzen."

Die Ungewissheit während des Lizenzverfahrens und der Unterbrechung auf unbestimmte Zeit erschwert die Arbeit am neuen Kader. Zwar führe man schon erste Gespräche, aber: "Wir können nicht planen, ob nun dritte oder vierte Liga." Wie man mit Auf- und Absteigern umginge, liege aber in den Händen des DFB. "Überregional ist die Sache nochmal komplizierter als in Berlin." Hier könne man schließlich einfach Aufsteiger mitnehmen und Absteiger könnten problemlos drinbleiben. Zumindest auf die Sponsoringverträge des Vereins wirke sich die Krise noch nicht aus. "Wir haben bisher noch keine Liquiditätsengpässe oder Sponsorenausfälle." Zum Thema Kurzarbeit in der Mannschaft möchte Schröder sich trotzdem nicht äußern.

Die Spieler haben derweil Aufgaben für zu Hause bekommen - "wie bei jeder ambitionierten Mannschaft." Bis mindestens zum 19. April wird es kein Training geben, denn auch die Willy-Sänger-Sportanlage in Baumschulenweg ist vom Senat geschlossen worden. Danach ist die Zukunft ungewiss. Denn gerade in der Regionalliga Nordost sei die Wiederaufnahme des Spielbetriebes kompliziert, wie Schröder bemerkt. "Es gibt ja nun sechs verschiedene Bundesländer und jedes Bundesland hat andere Regeln."

Hertha BSC II

In seiner Funktion als Leiter der Fußball-Akademie von Hertha BSC ist Benjamin Weber auch für die Regionalliga-Mannschaft des Hauptstadtklubs zuständig. "Sie ist Teil unserer Ausbildungsphilosophie", sagt er. Obwohl immer mehr Profiklubs auf ihre zweite Mannschaft verzichten, müsse man sich auch in der Corona-Krise keine Sorgen um den Fortbestand der U23 machen. Hin und wieder gebe es zwar Spieler wie Arne Maier, die direkt aus der A-Jugend den Sprung in die Bundesliga schaffen würden. "Es gibt auch viele andere Beispiele wie Maxi Mittelstädt oder auch Jordan Torunarigha, die viele Spiele in der Regionalliga gemacht haben, um Spielpraxis zu sammeln und sich weiter zu entwickeln."

Viele Spieler benötigten nach der A-Jugend Zeit, um im Männerbereich Fuß zu fassen. Damit das auch in Zukunft gelingt, würden normalerweise genau jetzt mit den Akteuren Gespräche über den gemeinsamen Plan für die nächsten Jahre geführt werden, so Weber. Das ist nun aufgrund der Kontakbeschränkungen deutlich erschwert. "Gemeinsam am Tisch kann man viel besser Perspektiven besprechen." Stattdessen sei man derzeit gezwungen, auf Telefonate und Videochats auszuweichen.

Unser Trainer Zecke Neuendorf hat allen Spielern individuelle Pläne mitgegeben und macht jede Woche eine virtuelle Mannschaftssitzung. Das hätte er vorher wohl auch nicht gedacht.

Benjamin Weber

Das gilt gleichermaßen für die Organisation des Trainings. "Unser Trainer Zecke Neuendorf hat allen Spielern individuelle Pläne mitgegeben und macht jede Woche eine virtuelle Mannschaftssitzung. Das hätte er vorher wohl auch nicht gedacht", schmunzelt Weber. Damit sich die Akteure auch weiterhin mit dem Fußball beschäftigen, bekommen sie außerdem Videomaterial von den Analysten. Außerdem sei ein gemeinsames Videotraining mit der Fitnesstrainerin des Teams geplant. "Die Profis haben das vorgemacht und helfen mit den Erkenntnissen zur technischen Umsetzung."

Anders als die Bundesliga-Mannschaft darf Herthas U23 noch nicht auf den Trainingsplatz zurückkehren. "Bei uns ist der Gradmesser, wie die Maßgaben in Bezug auf die Freigabe der öffentlichen Sportanlagen lauten", sagt Weber. Aktuell werde deshalb auch für die Regionalliga-Spieler geprüft, sie - wie auch andere Vereinsmitarbeiter - in Kurzarbeit zu schicken. "Die Profimannschaft und leitende Angestellte haben auf Teile ihres Gehalts verzichtet. Deshalb ist es sicher auch ein Thema, wie wir das mit der U23 machen."  

BFC Dynamo

"Aus unserer Sicht sollte die Liga abgebrochen werden", sagt Christian Benbennek, Trainer des BFC Dynamo. Das ganz oben - sprich: in den ersten beiden Ligen - Geisterspiele stattfänden, könne er nachvollziehen, weil das Fernsehgeld dort alles bestimme. "Aber die meisten Regionalligavereine leben von den Zuschauer- und Cateringeinnahmen", sagt der 47-Jährige. "Dann spielst du zwar weiter, aber bist genauso schnell insolvent."

Zwar hat der DFB durch die Änderung einiger Statuten am vergangenen Freitag theoretisch erlaubt, die Saison auch über den 30. Juni hinaus zu verlängern. Für Benbennek geht das aber an den Realitäten vorbei: "Wie ist das mit Spielern, die schon für den 30.6. irgendwo unterschrieben haben? Bis zum 28. Spieltag spielst du bei Klub A und ab dem 29. bei Klub B aus der gleichen Liga? Da glaube ich, dass das nicht funktionieren wird."

Das erschwert auch die Kaderplanung für Dynamo. Bisher plane man wegen der Ungewissheit rein auf dem Papier. "Wir müssen einfach ein bisschen Geduld haben", mahnt Benbennek. Er nennt den 19. April als Stichtag - vorher werde es sowieso keine Entscheidung geben. Zumal der Fußball nur ein Bereich des öffentlichen Lebens sei, sich also anpassen müsse.

Für die Spieler ist die Phase freilich nicht einfach. "Sie fühlen sich schon wie Leichtathleten", sagt Benbennek. Damit ihnen beim individuellen Ausdauer- und Athletiktraining nicht zu langweilig wird, sorgt er in der teaminternen WhatsApp-Gruppe für Stimmung. "Es gibt Video-Challenges in der Mannschaft." So habe er ein YouTube-Tutorial geschickt, wie man mit drei Bällen jongliert. Die Spieler mussten dann ihren besten Versuch per Video schicken. "Viele konnten das überragend." Eine willkommene Abwechslung in einer schweren Zeit. 

Viktoria Berlin

Grundsätzlich, sagt Rocco Teichmann, wäre es sein Wunsch, die Saison zu Ende spielen zu lassen, um sportliche Entscheidungen herbeizuführen - wenn das bis zum 30. Juni möglich ist. Der Sportdirektor von Viktoria 1889 ist trotzdem froh, dass er das Urteil des NOFV nicht treffen muss. Und er kann sowieso entspannt sein. "Wir spielen weder um den Aufstieg noch um den Abstieg, für uns ist es so oder so nächstes Jahr die Regionalliga." Selbst Geisterspiele seien für die Lichterfelder umsetzbar, "da wir leider grundsätzlich wenig Zuschauer haben."

Teichmanns Vertrag wurde erst kürzlich um zwei Jahre verlängert. "Ich bin sehr froh und habe eine hohe Wertschätzung erfahren." Mit Vertrauen im Gepäck beschäftigt er sich in aller Ruhe mit der Zukunft des Klubs. Auch aktuell schon. Eigentlich habe man im Saisonfinale sportliche Prioritäten, die Zeit jetzt erlaube es aber, die aktuelle Saison zu analysieren und Vorkehrungen zu treffen - wie Neuverpflichtungen und Vertragsverlängerungen. Christopher Theisen kommt vom FC Homburg. Die Verträge mit Shinji Yamada und Yannis Becker wurden verlängert und David Pietrzyk ab dem 1. Juli als Co-Trainer an Bord geholt.

Teichmann sagt: "Wir sind gut aufgestellt und haben viele Verträge, die über die Saison hinausgehen." Was die Heim-Arbeit der Mannschaft betreffe, sei man weder Vorreiter noch hintendran. Pläne gingen über das Trainerteam an die einzelnen Gruppen. Damit jeder auf Stand bleibt, verständigt man sich regelmäßig in Videocalls. Um etwas zusätzliches Geld in die Kasse zu bringen, verkauft der zweimalige deutsche Meister über seine Website Soli-T-Shirts.

Optik Rathenow

"Das geht mir mittlerweile richtig auf den Kranz, was der NOFV da macht", sagt Ingo Kahlisch, Trainer von Optik Rathenow. "Da traut sich einfach keiner was zu entscheiden." Zum Zeitpunkt des rbb|24-Interviews plant die Regionalliga noch, den Spielbetrieb im Mai wieder aufzunehmen. Mittlerweile hat der DFB gemeinsam mit den Regional- und Landesverbänden entschieden, dass dieser "bis auf Weiteres" unterbrochen bleibt. Für Kahlisch dennoch nicht genug: Die einzige Möglichkeit sei es, die Saison abzubrechen. "Was machen wir denn, wenn wir weiterspielen und einer bei Energie Cottbus, Union Fürstenwalde oder Optik Rathenow hat Corona?"

Die Vereine, die in der Regionalliga mit viel Geld rumschmeißen, werden vielleicht alle mal ein bisschen bescheidener.

Ingo Kahlisch

Für Optik als Klub sei sowieso alles halb so schlimm. "Wir sind ein reiner Amateurverein." Die Spieler erhielten eine Aufwandsentschädigung von 452 Euro und würden alle arbeiten oder studieren. "Wer bei uns nicht spielen will, kann gerne woanders spielen." Kahlisch erwarte nicht, dass Rathenow Probleme bekomme, einen Kader für die neue Saison zu formieren. Revidieren würde sich nur eines: "Die Vereine, die in der Regionalliga mit viel Geld rumschmeißen, werden vielleicht alle mal ein bisschen bescheidener."

Anders als Teile der Konkurrenz verzichten die Rathenower auch auf die Überwachung des Heim-Trainings der Spieler. "Ich kann mich da auf meine Männer verlassen", sagt Kahlisch. Und sowieso: Wirklich zielführend findet er Home-Workouts nicht. Vier, fünf Wochen auf der Gummimatte zu trainieren und allein durch die Gegend zu rennen, sei ja kein Fußballtraining. Ein Grund mehr die Spielzeit zu beenden: "Wenn du jetzt so lange gar nicht spielst und dann sollst du nach drei Tagen Training wieder anfangen? Das ist doch der nächste Blödsinn."

Beitrag von Till Oppermann

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