Interview | Berliner Ruder-Olympiasieger Wolfgang Maennig - "Olympia-Verschiebung kostet keine 5,5 Milliarden Dollar"

Fr 24.04.20 | 14:20 Uhr
Wolfgang Maennig gestikuliert in seinem Büro. (Quelle: picture alliance)
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Der Berliner Wolfgang Maennig wurde 1988 Ruder-Olympiasieger und ist Sportökonom. Er selbst war mit dem Coronavirus infiziert, hält die Olympia-Verschiebung für richtig und erklärt im Interview, warum sie Japan keine Kosten in Milliardenhöhe verursachen kann.

rbb|24: Herr Maennig, Sie haben sich selbst mit dem Coronavirus infiziert. Wo haben Sie sich angesteckt, wie war der Krankheitsverlauf und wie geht es Ihnen jetzt?

Wolfgang Maennig: Ich habe mich bei meiner Frau angesteckt, die es wahrscheinlich von ihrem Chor hatte. Und ich muss gestehen, ich habe das alles nicht ernst genommen. Selbst als meine Frau es hatte, hätte ich nicht gedacht, dass ich es mir hole. Und dann bekam ich Atemnot und hatte Glück, dass wir einen befreundeten Arzt hatten, der auf bestimmte Symptome hinwies, die dazu führen, dass man dringend ins Krankenhaus muss. Eine Woche war ich auf der Normalstation, dann wurde es schlimmer, dann kam ich auf die Intensivstation für zwei Wochen, bin dann zurück auf die Normalstation und dann wieder zurück nach Hause. Ich kann es nur allen sagen: Es ist eine Erfahrung, die man nicht braucht. Es wird auch noch lange dauern, bis ich wieder da bin, wo ich mal war. Es lohnt sich, sich zu schützen.

Sie selbst waren 1988 Olympiasieger mit dem Deutschland-Achter. Wegen des Coronavirus wurden die Spiele von Tokio um ein Jahr auf 2021 verschoben. In den Medien wird berichtet, das koste viele Milliarden. Was denken Sie darüber?

Ich wäre vorsichtiger. Die offiziellen Zahlen sind ja, dass Japan in den letzten sieben Jahren zwölf Milliarden Dollar ausgegeben hat für die Spiele, die Infrastruktur, die Spielstätten usw. Wenn Sie das durch das japanische Sozialprodukt eines Jahres dividieren, sind das 0,2 Prozent. Sie müssen das aber eigentlich sogar durch sieben Jahre teilen. Olympische Spiele - und das gilt für alle Industrienationen der Welt - sind viel kleiner und viel unbedeutender als man denkt. Und tatsächlich ist es noch in keiner volkswirtschaftlich empirischen Studie gelungen, wirklich wesentliche Einkommens- oder Beschäftigungseffekte nachzuweisen. Das heißt natürlich im Umkehrschluss, wenn jetzt etwas ausfällt, ist der Effekt auch klein. Wenn es nur verschoben wird, dann ist der Effekt auch sehr klein.

Können Sie das noch ein wenig genauer beziffern?

Wir können eigentlich nicht davon ausgehen, dass mehr als 100.000 Auswärtige mehr nach Japan kommen zu den Olympischen Spielen, wie das sonst der Fall ist. Es gibt einfach nicht mehr Menschen in der Welt, die sich das leisten wollen und können. Wenn die 100.000 Leute sagen wir mal 5.000 Euro im Land lassen, für Hotel, Logie usw., dann ist das gerade mal eine halbe Milliarde. Das ist so wenig, dass es Japan gar nicht spüren kann. Wenn es jetzt aber Einwände gibt, dass die Hotels leer stehen zur Olympiazeit - dann ist das nicht Olympia, sondern Corona. Denn überall in der Welt stehen die Hotels leer. Auch in den Ländern und Städten, wo es keine Olympischen Spiele gibt. Das ist kein Olympiaeffekt. Dennoch gibt es natürlich Verschiebungskosten, zum Beispiel, weil das Organisationskomitee ein weiteres Jahr Personalkosten verursacht oder die Eigentumswohnungen im Olympischen Dorf nicht pünktlich übergeben werden können.

Aber trotzdem kommt man nicht auf 5,5 Milliarden Dollar Schaden für die japanische Volkswirtschaft?

Nein. Also in einem wirklich sauberen Vergleich, bei dem man auch wirklich zu Olympia das dazurechnet, was zu Olympia zählt, und zu Corona das, was Corona ist, kann ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Verschiebung selbst verursacht Kosten, aber nicht 5,5 Milliarden Dollar.

Ist Ihrer Meinung nach die These haltbar, dass Olympische Spiele sich nur dann rechnen, wenn die Investitionen sich über Jahrzehnte tragen und die 16 Tage selbst gar nicht ins Gewicht fallen?

Das mag sich für einen Volkswirt jetzt merkwürdig anhören, aber wer Olympische Spiele ins Land holt, weil er glaubt, dass er damit Geld verdient, der sollte es sein lassen. Es gibt wirklich andere Investitionsmöglichkeiten mit einer höheren volkswirtschaftlichen Rendite, gemessen an Euro. Wenn man Olympische Spiele haben möchte, dann sollte man es machen, weil man die besten Sportler der Welt beherbergen will, sich so wie beim Sommermärchen 2006 selbst eine Riesenfreude machen will oder sich als guter, freundlicher Gastgeber präsentieren will. Weil man vielleicht etwas für das Image tun will. Das ist der Effekt. Keiner fragt heute mehr, ob wir an 2006 Geld verdient haben. Haben wir nicht. Aber ich kenne auch keinen, der sagt, das war eine schlechte Idee. Zum Geldverdienen taugen Olympische Spiele nicht.

Gibt es denn keine Studie über einen positiven volkswirtschaftlichen Effekt durch Olympische Spiele?

Es gibt zu dem Thema vielleicht 20 Studien. Das große Ergebnis ist, dass es keine messbaren Effekte gibt von Fußballweltmeisterschaften und auch von Olympischen Spielen. Wenn Sie die Investitionskosten nehmen und das durch den Effekt dividieren, hat das keine Relation. 

Der siegreiche Deutschland-Achter von 1988. / imago/Sven SimonWolfgang Maennig (links) wurde 1988 mit dem Deutschland-Achter Olympiasieger.

IOC-Präsident Thomas Bach hat die Entscheidung, Olympia zu verschieben, bis zuletzt aufgeschoben. Hat er wirtschaftliche Interessen überbewertet und Gesundheitsaspekte untergeordnet?

Ich möchte da nicht in der Haut von Thomas Bach gesteckt haben, das ist ein unglaublich mühseliger Prozess. Denn sie müssen mit den Athleten einen Konsens bekommen und das ist keine homogene Gruppe. Dann muss er mit den Japanern eine Vereinbarung finden, möglichst noch mit allen Verbänden - das ist eine sehr langwierige Sache, zumal da teilweise unterschiedliche Interessen da sind. Wenn man sieht, wie schwierig dieser Einigungsprozess ist, dann kann man nicht erwarten, dass es viel schneller geht.

Zum Schluss noch eine Frage: Sie waren selbst Olympiateilnehmer. Wie bewerten Sie die Verschiebung aus Sicht eines Athleten?

Die Spiele ausfallen zu lassen, das wäre schrecklich gewesen. Ich weiß, wie es ist, weil ich ein Opfer des Olympiaboykotts von 1980 war. Das ist etwas, das mich bis heute schmerzt. Ausfallen lassen ist das Allerletzte. Bei einer Verschiebung gibt es, glaube ich, keinen Athleten, der ernsthaft sagt: 'Nein, das hätte man nicht machen sollen.' Es gibt keine Alternative. Trotzdem kenne ich es aus eigener Erfahrung: Man hat in dieser einen Saison eine Topform und in der nächsten ist es nicht so. Und natürlich wird es Sportler geben, die sich in dieser Saison qualifiziert haben und die es im nächsten Jahr nicht schaffen. Und die sehen: 2020 hätte ich eine Medaille gewonnen, 2021 bin ich nicht dabei. Ganz ohne Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten wird es nicht ausgehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Shea Westhoff. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: Mittagsmagazin, 24.04.2020, 13 Uhr

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