Fünf Fakten zum Bundesliga-Neustart - So anders sind Geisterspiele

Sa 06.06.20 | 10:27 Uhr | Von Ilja Behnisch
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Herthas Spieler jubeln nach dem gewonnen Derby gegen Union Berlin im Olympiastadion. Quelle: dpa/Stuart Franklin
Bild: dpa/Stuart Franklin

Es wurde viel darüber spekuliert, wie er wohl sein würde, der Geisterspiele-Fußball. Inzwischen sind vier Spieltag absolviert. Zeit, erste Rückschlüsse zu ziehen. Hier kommen fünf Fakten zum Bundesliga-Neustart unter Pandemiebedingungen.

Der Wiederbeginn der Bundesliga war an sich schon umstritten und zudem noch von Sorgen begleitet. Hertha-Trainer Bruno Labbadia etwa wollte vorab zwei Wochen Mannschaftstraining, auch, weil er attraktiven Fußball zeigen wollte. Die Vorbereitungszeit fiel knapper aus, dafür wurde die Anzahl der möglichen Wechsel pro Partie auf fünf erhöht. Trotzdem wusste niemand so genau, was zu erwarten war. Inzwischen zeichnet sich jedoch ein ziemlich klares Bild ab.

1. Der Heimbonus ist dahin

Ein Spiel hat 90 Minuten, der Ball ist rund und jede Partie beginnt mit elf gegen elf. Gleiche Voraussetzungen für alle also und trotzdem gibt es ihn, den Heimvorteil. Das gewohnte Umfeld, der psychologische Druck und die heimischen Fans sollen dazu beitragen. Zumindest die Fans fallen in Corona-Zeiten weg. Der Heimvorteil damit auch? Ja, tatsächlich lässt sich nach vier absolvierten Spieltagen konstatieren: Ohne Fans werden nur noch 22 Prozent aller Spiele von der Heimmannschaft gewonnen. Mit Fans waren es in der laufenden Saison noch 43 Prozent.

50 Prozente aller Spiele ohne Fans gewinnen die Gäste (mit Zuschauern: 35 Prozent) und 28 Prozent aller Begegnungen enden Unentschieden (vorher 22 Prozent).

Ein Phänomen, das nicht nur auf Corona und die Bundesliga zurückzuführen ist. So fanden die Sportökonomen von "The Conversion", die 191 historische Geisterspiele quer durch Europa analysiert haben, heraus: Ohne Fans gewinnen Heimmannschaften 36 Prozent ihrer Spiele, mit Fans waren es 46 Prozent mehr.

2. Die Kader haben sich verändert

Angesichts der langen Pause werde die Anzahl der Verletzungen ansteigen, mutmaßten Kritiker. Ob das zutrifft, lässt sich allerdings kaum bewerten. Dafür reicht die Datengrundlage, auch aufgrund der restriktiven Informationspolitik mancher Klubs, nicht aus. Doch nicht zuletzt wegen dieser Befürchtung entschieden der Weltverband Fifa und schließlich auch der deutsche Fußballverband, zeitweilig fünf Auswechslungen pro Partie zu erlauben.

Und eines immerhin fällt auf: Die Startelfaufstellungen der Bundesligisten sind seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs im Durchschnitt älter als zuvor. Lediglich Bayer 04 Leverkusen verjüngte die erste Elf im Vergleich zur Gesamtsaison, wenn auch nur marginal (26 Jahre zu 26,1 Jahre). Viele Konkurrenten scheinen in ungewissen Zeiten hingegen auf Erfahrung zu setzen. Bei Eintracht Frankfurt etwa stieg der Altersschnitt der Startaufstellung um 1,1 Jahre (von 26,9 für die Gesamtsaison auf 28 für die Corona-Spieltage), beim SC Paderborn ebenso (von 25,6 auf 26,7). Bei Hertha stieg der Altersschnitt der Startelf gar um 2,4 Jahre (von 26,1 auf 28,5). Wobei dieser ligaweit konkurrenzlose Anstieg vermutlich eher auf Bruno Labbadia (und seine Vorliebe etwa für den 35-jährigen Vedad Ibisevic) zurückzuführen ist. Zumal Hertha auch in anderer Hinsicht aus der Reihe schert: Mit durchschnittlich 22 Jahren stellt der Hauptstadtklub die mit Abstand jüngste Ersatzbank in Zeiten der Geisterspiele. (Zum Vergleich: Fortuna Düsseldorf kommt hier auf ein Durchschnittsalter von 29,1)

3. Es wird mehr gelaufen

Dass die Spieler in der Zeit individuellen Trainings daheim nicht geschlampt haben, zeigt ein Blick auf die Laufleistungen der Teams. Nicht nur stellte Herthas Vladimir Darida im Spiel gegen den FC Augsburg und mit 14,2 gelaufenen Kilometern einen absoluten Bundesligarekord auf. Auch insgesamt ist die Laufleistung laut dem "Institut für Spielanalyse" gestiegen. 115,6 Kilometer waren es im Schnitt pro Spiel und Team nach dem Neubeginn der Liga. Vor Corona lag der Wert noch bei 112,6 Kilometern. Auch die Anzahl der Sprints ist gestiegen, von 213,3 Sprints pro Team und Mannschaft vor Corona auf 226,1 nach Corona.

Gleich geblieben ist hingegen die sogenannte Netto-Spielzeit, also der Anteil an den 90 Minuten, in denen der Ball auch wirklich im Spiel ist. Lag er nach dem ersten Geisterspieltag noch eineinhalb Minuten über dem vorigen Schnitt, hat er sich inzwischen wieder nahezu angeglichen. Vor Corona betrug die Nettospielzeit 55,7 Minuten, während der vier seither absolvierten Spieltage 56 Minuten.

Abgenommen hat hingegen die Anzahl an gelben Karten, die Schiedsrichter den Auswärtsteams zeigen. 0,5 gelbe Karten weniger sind es ohne Zuschauer. Unparteiische sind eben auch nur Menschen.

4. Die Einschaltquoten überraschen

Ebenfalls gesunken sind die Einschaltquoten. So wollten zuletzt nur noch 3,3 Millionen Menschen die Sportschau am Samstag in der ARD sehen. "Wir merken im Moment einen erkennbaren Rückgang des Interesses", sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky der Deutschen Presse-Agentur. Die erste "Sportschau" nach der Corona-Pause mit ihren Spiel-Zusammenfassungen hatten im Schnitt 4,11 Millionen Fans gesehen, die zweite 3,77 Millionen, obwohl an beiden Tagen die Live-Konferenzschaltung am Nachmittag beim Bezahlsender Sky ausnahmsweise frei empfangbar war. Vor der Corona-Krise lag der Durchschnitt der "Sportschau" mit 4,81 Millionen deutlich höher.

Bei Sky ist der Rückgang etwas weniger dramatisch, der zunächst verkündete Hype um die Geisterspiele ist aber auch schon wieder vorbei. Nach den für jedermann empfangbaren Spieltagen 26 und 27 kehrte wieder Normalität ein, erreichten die Einschaltquoten das Vor-Corona-Niveau. Die erste "Geisterkonferenz" im Free-TV hatten Mitte Mai noch fast 2,5 Millionen Zuschauer angesehen, am vergangenen Spieltag schalteten nur noch knapp über eine Millionen Zuschauer zur Konferenzzeit ein - und das trotz des spannenden Saison-Endspurts. Über die Ursachen wird noch gerätselt. "Ich weiß nicht, ob das nicht so herausragende Zuschauerinteresse auch Protest ist", sagt ARD-Sport-Koordinator Balkausky. "Aber Fußball ist einigen Menschen im Moment anscheinend nicht so wichtig wie sonst."

5. Der Mut zum Risiko steigt

Lange Zeit war an gar kein Training zu denken, dann nur an solches ohne Zweikämpfe und in Kleinstgruppen. Würde das Niveau beim Neustart nicht also zwangsläufig leiden müssen? Denn oh je, all die schönen Automatismen und das blinde Verständnis. Aber nichts da, spielerisch wusste die Bundesliga nach dem Neubeginn durchaus zu überzeugen. Was, so zumindest das Gefühl, auch daran liegt, dass Spieler mit dem Hang zum Risiko eben jenes häufiger suchen, wenn nicht bereits nach der zweiten misslungenen Aktion Unmut von den Rängen zu spüren ist.

Besonders wahrnehmbar war das im Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04, gleich am 26. Spieltag. Die Gastgeber taten sich gegen offensiv erschreckend schwache, anfangs aber zumindest diszipliniert verteidigende Gäste schwer. Und trotzdem versuchten sich die jungen Ballvirtuosen Mo Dahoud und Julian Brandt weiter in Doppel- und Direktpässen, in Haken und Hackentricks. Fraglich, ob das vor 85.000 ungeduldigen Zuschauern ebenso gelaufen wäre.   

Das Ergebnis: Ein überzeugender 4:0-Sieg für den BVB mit sehenswert herausgespielten Toren. Auch beim Berliner Derby (ebenfalls ein 4:0) mutmaßten nicht wenige, dass das Fehlen von Zuschauern Hertha durchaus geholfen habe. Schließlich haben auch die Charlottenburger den Ruf mit Druck nicht immer gut zurecht zu kommen.

Beitrag von Ilja Behnisch

3 Kommentare

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  1. 3.

    Finde ich auch, man sollte endlich eine Diskussion darüber führen und langsam damit wieder beginnen.
    Wir müssen nun mal mit dem Virus, genau wie mit allen anderen Krankheiten, anfangen zu leben.

  2. 2.

    Weshalb dürfen nicht wenigstens soviel Zuschauer rein, dass der mindestabstand gewahrt wird? Bei Demos darf ich auch mit Tausenden von Menschen zusammen sein.

  3. 1.

    "Geisterspiele" sind für 99.9% der Fußballspieler/innen (nämlich - mit Ausnahme der höchsten Amateurligen - für alle Amateure sowie im Jugendbereich) in Deutschland der Standard.

    Von allen anderen Sportarten ganz zu schweigen.

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