Interview | Sportmediziner über Corona-Folgen - "Bei den Reha-Konzepten stecken wir noch in den Kinderschuhen"

Di 04.01.22 | 17:16 Uhr
Symbolbild: Ein Sportler wird im Rehazentrum von einem Mediziner betreut. (Quelle: imago images/T. Hahn)
Bild: imago images/T. Hahn

Corona-Infektion - und dann? Dr. Michael Cassel betreut als Sportmediziner an der Uni Potsdam die Top-Athleten des Landes Brandenburg. Er spricht über Infektionsverläufe, die Rückkehr ins Training, Fälle von Long Covid - und gibt auch Breitensportlern Tipps.

rbb: Herr Cassel, Sie haben Erfahrungen sammeln können mit an Corona erkrankten Leistungs-, aber auch Breitensportlern. Mit Blick auf Häufigkeit, Schwere und Unterschiede - wie sind bislang Ihre Erkenntnisse?

Michael Cassel: Wir betreuen in Brandenburg an der Hochschulambulanz vorrangig die Kadersportler des Landes, also auch die Eliteschulen des Sports und den Olympiastützpunkt. 2020 hielten sich die Fälle - analog zu dem, was in der Gesamtbevölkerung passiert ist - noch in Grenzen. Durch die überall steigenden Inzidenzen ist es so, dass wir vermehrt Fälle unter den Sportlern erleben. Die Häufigkeit und Schwere wird selbstverständlich nicht ganz in dem Ausmaß sichtbar, wie es in der Allgemeinbevölkerung zu beobachten ist. Es sind in der Regel milde Verläufe. Aber die Infektionen sind gerade von ihrer Dauer nicht zu unterschätzen.

Zur Person

Archivbild: Kanurennsport Bundesleistungszentrum BLZ, Dr. Michael CASSEL . (Quelle: imago images)
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Dr. Michael Cassel ist Sportmedizinier an der Uni Potsdam und Oberarzt an der Hochschulambulanz. Seit 2018 ist er Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Cassel ist im Deutschen Kanuverband als leitender Verbandsarzt aktiv.

Wie konkret sind die Zahlen bereits, die Ihnen vorliegen?

Wir haben im Land Brandenburg schon etwas mehr als 200 Kadersportler, die wir an positiven Fällen gezählt haben. Die können wir dementsprechend überblicken. Maximal zehn bis zwanzig Prozent von diesen Infektionen laufen symptomlos ab. 30 Prozent weisen länger als zwei Wochen Symptome auf - und das auch bei den Jüngeren. Da reden wir von Zehn- bis Zwanzigjährigen.

Es gibt ein sehr krasses Beispiel im regionalen Fußball: Rune Jarstein, Torhüter von Hertha BSC, hatte in der Folge einer Corona-Infektion eine Herzmuskel-Entzündung. Ist das eine Ausnahme - und welche Gefahren drohen sonst für Leistungs-, aber auch Breitensportler?

Long und Post Covid ist ja im vergangenen Jahr nicht selten in der Presse gewesen - und das gerade, was den Leistungssport betrifft. Wenn wir auf unsere Fälle im Land Brandenburg schauen, würden wir von etwa einem Prozent ausgehen. Das ist natürlich nicht häufig, aber auch nicht selten oder gar sehr selten. Ein großes Problem ist tatsächlich die Myokarditis, also die Herzmuskelentzündung, die sich entwickeln kann. Ähnliche andere Probleme sind vor allem Lungenbeteiligungen beziehungsweise das sogenannte Ermüdungs- oder Fatique-Syndrom. Das kann bei Post-Covid-Patienten über Monate - und wir beobachten hier teilweise schon Fälle von bis zu einem Jahr - andauern und den Hochleistungssport zumindest limitieren oder stark einschränken.

Wie ist denn der momentane Stand der Dinge bei möglichen Reha-Konzepten?

Das ist gerade im Leistungs- und Hochleistungssport noch ein schwieriges Feld. Wir sehen in der Regel die Zeitkomponente als die Komponente Nummer eins. Wir warten erstmal mindestens bis zu zwölf Wochen ab beziehungsweise machen in diesem ganzen Zeitfenster natürlich Untersuchungen, je nachdem, welche weiteren Symptome es gibt. Das heißt, wenn sich jemand nach Covid mit Brustschmerzen oder auch neu aufgetretenen Herzrhythmusstörungen vorstellt, werden relativ schnell MRTs des Herzens gemacht und es werden weitere umfangreiche Laboruntersuchungen durchgeführt.

Wie schnell werden die Sportler wieder an die Belastung herangeführt?

Es ist ein Problem, wenn man die Sportler, die durchhängen, zu früh zu stark belastet. Wir warten mit den Belastungsuntersuchungen auf dem Fahrrad oder auf dem Laufband eher mehrere Wochen bis hin zu zwei, drei Monaten ab. Es hat sich nämlich gerade auch in der Olympiavorbereitung 2021 gezeigt, dass wir das ganze Problem noch einmal verschlimmert haben, wenn wir die Sportler zu früh zu starken Reizen ausgesetzt haben, während sie etwa noch unter Abgeschlagenheit litten. Wir haben in diesen Einzelfällen zu früh Druck aufs System gegeben und deshalb das Ganze unter Umständen nicht besser gemacht. Die Zeitkomponente ist für mich also das Allerwesentlichste.

Wie geht es längerfristigen Problemen weiter?

Bei den Reha-Konzepten für Long-Covid- oder Post-Covid-Patienten nach drei Monaten nach Infektionsbeginn stecken wir noch in den Kinderschuhen. Es sind in der Tat aber auch nur sehr wenige Hochleistungssportler davon betroffen, sodass wir bisher nur von ganz geringen Fallzahlen ausgehen können, die sich bei uns im Land Brandenburg glücklicherweise stark in Grenzen halten.

Leitfaden für Vereine und Co.

Wie sollte der Umgang mit Corona-Infizierten nach der Erkrankung aussehen? Dr. Michael Cassel verweist auf das Positionspapier 'Return to Sport in the Current Coronavirus Pandemic', das unter anderem in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin veröffentlicht wurde. Dieses gebe einen Handlungsleitfaden. Das Papier wurde unter anderem vom Wissenschaftsrat der DGSP (Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention) und der medizinischen Kommission des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) erstellt. Es stammt bereits aus dem Mai 2020, die Erkenntnisse des Leitfadens hätten sich aber "im Wesentlichen seit Mitte des vorletzten Jahres nicht verändert".

In der Fußball-Regionalliga sind zuletzt zwei Spieler des Berliner AK kollabiert, weil sie wohl nach einer Corona-Infektion zu früh wieder an die Leistungsgrenze gegangen sind. Gibt es da so eine Art Handlungsanweisung für die Leistungszentren und Vereine - und: Wie sieht bei Ihnen die Betreuung beim Weg zurück in den Trainingsalltag aus?

Ja, solche Empfehlungen gibt es. Eine davon ist das Positionspapier 'Return to Sport in the Current Coronavirus Pandemic', das uns so eine Art Handlungsleitfaden gibt (siehe Infobox). Wir versuchen, nachdem wir die Untersuchungen erstmals durchgeführt haben, einen engen Draht zu behalten und beobachten unsere Fälle im weiteren Verlauf über zwei bis vier Wochen. Sobald erneut oder verstärkt Probleme auftreten, sehen wir sie wieder in der Sprechstunde. Das bedeutet natürlich, dass die sogenannte Compliance, also das Mitmachen der Patienten und Athleten, gut sein muss und dass es mit dem Trainer und dem Umfeld passen muss. Das ist natürlich für jedwedes Feld im Hobbybereich deutlich komplizierter als es ich Hochleistungssport in den olympischen Sportarten der Fall ist.

Was können Sie dennoch genau diesen Breitensportlern mitgeben, wenn sie nach einer Corona-Infektion ins normale Sportleben zurückkehren?

Da würde ich die Prozesse ganz ähnlich halten, auch wenn sie natürlich die Untersuchungen zunächst wahrscheinlich nicht oder zumindest nur sehr selten wahrnehmen können. Sie sollten zehn bis 14 Tage symptomfrei, also auch nicht mehr abgeschlagen sein, bevor sie wieder in den Sport reingehen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder Symptome bekommen, deutlich geringer. Wenn sie wieder einsteigen, sollten sie es über ein Ausdauertraining machen - und es je nach individuellem Niveau dosieren. Bei einem Läufer würden wir vielleicht sogar erst einmal mit Geh-Lauf-Protokollen über fünf oder zehn Minuten reingehen und die Herzfrequenz in einem Bereich von 130 bis 140 gestalten, ehe wir in den folgenden Wochen die weitere Aufbelastung vornehmen. Im Zweifel gilt: Wenn Unsicherheit oder vor allem auch noch längere Symptome bestehen, ist es sehr ratsam, sich in einem entsprechenden Institut oder dem jeweils zuständigen Hausarzt vorzustellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nik Hillmann für das Inforadio des rbb. Es handelt sich um eine leicht redigierte Fassung.

Sendung: Inforadio, 02.11.2022, 16:15 Uhr

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