Interview | Reform der Ersatzfreiheitsstrafe - "Den Weg, der da jetzt beschritten wird, halte ich für nicht gelungen"

Di 23.08.22 | 12:48 Uhr
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Symbolbild: Ein Wachturm der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit wird von einem Sicherheitszaun eingerahmt. In dem Gefängnis sind unter anderen Männer in Untersuchungshaft untergebracht. (Quelle: dpa/P. Zinken)
Audio: rbb24 Inforadio | Di 23.08.22 | Schneider, D. | Bild: dpa/Zinken

Bundesjustizminister Marco Buschmann will die Ersatzfreiheitsstrafe reformieren. Im Interview spricht der Direktor des Cottbuser Amtsgerichts, Michael Höhr, darüber, ob diese Vorschläge umsetzbar sind und wie eine Reform besser gelingen könnte.

rbb24: Herr Höhr, die Ersatzfreiheitsstrafe soll reformiert werden. Der Bundesjustizminister sieht in einem Entwurf eine Halbierung vor. Wird also jemand zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt, soll er zukünftig nur noch 15 Tage in Haft. Ist das eine gute Idee?

Michael Höhr: Ich persönlich bin der Meinung, dass der Gesetzentwurf schwierige Begründungen hat, die ich auch für nicht ganz überzeugend halte. Aber die Kernüberlegung ist nicht neu, die gibt es schon lange, dass man bei einer Geldstrafe das geringere Strafübel auch auf die Ersatzfreiheitsstrafe übertragen möchte. Man sagt, dass die Freiheitsstrafe doch das größere Übel darstellt. Das halte ich im Grunde für nicht falsch. Der Weg, der da jetzt beschritten wird, den halte ich für nicht gelungen.

Warum halten Sie diesen Weg für nicht gelungen?

Der Eindruck, der da entsteht, ist, dass wir die Strafe halbieren, weil ja das Strafmaß halbiert wird, ohne Rücksicht darauf, dass das Gericht sich vorher schon darüber Gedanken gemacht hat, welches Strafmaß in dem Einzelfall festgesetzt wird. Die soziale Komponente wird in der Geldstrafe schon dadurch ausgedrückt, dass die Tagessatzhöhe, also der einzelne Eurobetrag, ausgerichtet wird auf das verfügbare Nettoeinkommen des Angeklagten, sodass sich das im Gesamtbetrag der Geldstrafe wiederfindet.

Ich persönlich denke, man müsste mal darüber nachdenken, ob man nicht grundsätzlich davon wegkommt, die Ersatzfreiheitsstrafe am Strafmaß auszurichten, sondern dass man sie vielleicht eher am Umfang der Geldstrafe ausrichtet. Da könnte man ein System finden, dass für etwas mehr Gerechtigkeit sorgt und auch das geringere Strafübel der Geldstrafe berücksichtigt.

Ein weiterer Entwurf sieht vor, dass statt einer Geldstrafe gemeinnützige Arbeit geleistet wird. Auch hier soll es ein Tag Arbeit im Austausch für zwei Tagessätze sein. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Dieser Ansatz ist auch nicht neu, den gibt es schon lange. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass die Justizminister und -ministerinnen der Länder tatsächlich die Möglichkeit haben, die Ersatzfreiheitsstrafe durch sogenannte freie Arbeit, gemeinnützige Arbeit trifft es wohl besser, denn es gibt kein Geld dafür, abzuwenden. Das wird auch schon lange praktiziert.

Ich kenne das allerdings nicht so, dass man das vom Strafmaß abhängig macht. Hier kuckt man tatsächlich auf die sonst zu vollstreckende Geldstrafe und sagt dann, dass das jemand zu einem bestimmten Stundensatz abarbeitet. Das heißt, man geht davon aus, dass eine Arbeitsstunde beispielsweise zehn Euro wert ist und wenn jemand 500 Euro Geldstrafe bekommen hat müsste er also 50 Stunden abarbeiten.

Gibt es denn überhaupt genug Arbeitsmöglichkeiten im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes?

Ehrlich gesagt kann ich das nicht beurteilen, denn die Staatsanwaltschaft vollstreckt diese Urteile. Wir vollstrecken Geldstrafen nur in Ausnahmefällen, nämlich im Jugendstrafrecht. Ich vermute aber, dass auch durch Corona das Angebot der freien Träger mit großer Wahrscheinlichkeit reduziert worden ist.

In der Gesetzesbegründung wird auch darauf abgestellt, dass die prozentuale Anzahl der Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit in den letzten Jahren abgenommen haben soll, während die absolute Zahl an verhängten Ersatzfreiheitsstrafen zugenommen haben soll. Solche Zahlen müsste man aber auch bewerten und erklären, warum das so ist. Es kann durchaus sein, dass die Angebote weniger geworden sind. Es wäre deshalb wichtig, dass man diese Möglichkeit, die seit Jahren besteht, fördert, indem vielleicht auch die öffentliche Hand Stellen zur Verfügung stellt. Sodass man dann für die Kommunen oder das Land Arbeiten erledigen kann.

Der Entwurf sieht auch vor, dass die Gerichtshilfe die Verurteilten umfassend über alle bestehenden Möglichkeiten aufklärt. Hätten Sie dafür überhaupt genügend Personal?

Dieser Weg ist unabhängig davon, woran man die Ersatzfreiheitsstrafe ausrichtet, auf jeden Fall richtig und wichtig, um das mal ganz klar zu sagen. Aber ich bezweifle, dass der Sozialdienst der Justiz bei dem bisherigen Personalansatz, das merken wir auch bei der Bewährungsbetreuung, das leisten kann, vor allem bei einem deutlich größeren Umfang als jetzt.

Wenn man sich also wirklich das Ziel setzt, die Ersatzfreiheitsstrafe so weit wie möglich zu vermeiden, dann muss man bereit sein dort auch zu investieren. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass die Länder durch die Halbierung, die angestrebt wird, 60 bis 70 Millionen im Jahr sparen können. Wenn man das auf eine andere Art und Weise macht, insbesondere durch die Abwendung durch freie Arbeit, könnte ich mir vorstellen, wenn dieses Geld intensiv in eine Beratung und auch Begleitung fließen würde, dass man den selben Effekt erzielt, aber auf eine bessere Weise.

Drei Ziele sollen mit dieser Reform erreicht werden. Verurteilte sollen durch den Gang ins Gefängnis nicht sozial abrutschen, der Freikauf der Gefangenen durch soziale Organisationen soll zurückgedrängt werden und die Kosten sollen gesenkt werden. Sind diese Ziele durch die geplante Reform erreichbar?

Eine Kostenersparnis wäre natürlich erreichbar, wenn ich auf der anderen Seite keine Investitionen daraus herleite. Ich frage mal so, ist die Justiz etwas, bei dem man an dieser Stelle sparen sollte? Über eine solche Argumentation bin ich nicht besonders glücklich. Die größte Schwäche in der Gesetzesbegründung ist aus meiner Sicht, dass davon ausgegangen wird, die Ersatzfreiheitsstrafen hätten keinen Resozialisierungszweck. Das stimmt, den haben sie nicht. Den müssen sie auch gar nicht haben, denn die eigentlich verhängte Geldstrafe hat auch allenfalls einen sehr geringen Resozialisierungszweck. Die zweite Resozialisierungsfrage stellt sich auch bei Ersatzfreiheitsstrafen nicht. Die ergibt sich daraus, dass Menschen, die sehr lange im Strafvollzug sitzen, ein Recht auf Wiedereingliederungsmaßnahmen haben. Das ist aber bei den Ersatzfreiheitsstrafen gar nicht der Fall, weil der Vollzug da gar nicht so lange dauert.

Natürlich ist es richtig, dass man im Bereich des schon angesprochenen Strafübels berücksichtigt, dass eine Freiheitsstrafe deutlich stärker in das Leben eingreift, als eine Geldstrafe. Das betrifft aber vor allem die Fälle, in denen ein Arbeitseinkommen gar nicht da ist. Wenn ich ein Einkommen habe und vor allem verfügbares Geld habe, dann kann ich auch durch eine Ratenzahlung diese Ersatzfreiheitsstrafe abwenden. Das passiert sehr häufig. Bei Hartz IV-Empfängern werden durch die Staatsanwaltschaft auch Raten im zweistelligen Bereich angeboten, sodass die auch langsam abgestottert werden können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dirk Schneider für Antenne Brandenburg. Für die Online-Fassung ist es gekürzt und redigiert.

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.08.2022, 14:40 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Danke! Gesetze "ohne Augenmaß" kennt man von der Ampel ja schon.
    Die ersten beiden Ziele sind wohl nur "Makulatur". Es geht (der FDP) nur um die Kosten.
    Das Geld geht bestimmt nicht in die Beratung sondern "darf" eingespart werden. #Bundesergänzungszuweisungen
    Link: www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/8/beitrag/laenderfinanzausgleich-2020-neue-form-alte-probleme.html
    Deshalb wurden auch schon die Bahngrundstücke verkauft, das Papierbundesgesetzblatt abgeschafft etc.
    Irgendwo muss das Geld - wenn auch nur kurzfristig - herkommen.

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