Erster Fall in Deutschland registriert - Verbreitung der Affenpocken für Charité-Forscher Sander "kein Grund zur Panik"

Die Pocken waren einer der gefährlichsten Infektionskrankheiten und gelten seit 1979 als ausgerottet. Ein Verwandter des Virus scheint sich nun zu verbreiten. Leif Erik Sander, Leiter der Infektiologie der Charité, rät dazu, Ruhe zu bewahren.
Die Affenpocken treten nun auch in Europa auf. Der Immunologe Leif Erik Sander sieht darin jedoch keine Gefahr für eine neue Pandemie. Für Deutschland wurde am Freitagvormittag - nach dem Interview mit Sander - nun auch ein erster Fall gemeldet.
Der Leiter der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité sagte am Freitag im rbb, man beobachte die Situation genau und nehme sie sehr ernst. Die Dynamik beim jetzigen Ausbruch sei neu.
Über 100 Verdachtsfälle in 10 Ländern - Erster Fall in Deutschland
Stand Freitagmorgen gibt es laut Sander weltweit 108 bestätigte Fälle oder Verdachts-Fälle von Infektionen mit den Affenpocken - unter anderem in Großbritannien, Spanien, Schweden oder Italien. Auffällig sei, dass viele Infizierte zuvor nicht in Afrika waren und keinen Kontakt mit infizierten Tieren hatten. Insofern müsse man von einer Übertragung von Mensch zu Mensch ausgehen, so Sander.
Am Freitagvormittag wurde auch der erste bestätigte Fall in Deutschland gemeldet: Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München hat bei einem Patienten mit charakteristischen Hautveränderungen das Affenpockenvirus zweifelsfrei nachgewiesen, teilte der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit.
Krankheit sollte ernst genommen werden
Die Affenpocken sind ein enger Verwandter der Pocken. Sie wurden laut Sander 1958 zunächst bei Affen entdeckt - sind aber hauptsächlich unter Nagetieren verbreitet. Bisher kam es nur "gelegentlich" zu einer Übertragung von Tier auf Mensch - dies habe in den letzten Jahren aber zugenommen, so Sander.
Die Affenpocken seien etwas weniger gefährlich als die ursprünglichen Pocken - aber dennoch laut Sander ernst zu nehmen. Zu den Symptomen der Affenpocken beim Menschen gehören Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie ein Ausschlag, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile übergreift. Dieser Ausschlag könne auch vernarben, sagte Sander.
In Zentralafrika sei bei Ausbrüchen zwar eine Todesrate von bis zu elf Prozent beobachtet worden, doch diese Zahl hält Sander "für etwas zu hoch gegriffen", da die Datenlage noch nicht ausreichend große Zahlen umfasse.
Alter Pocken-Impfstoff schützt auch gegen Affenpocken
Die Pocken waren eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten überhaupt. Die Impfung dagegen wurde nach einem Beschluss der Weltgesundheitsorganisation ab 1967 weltweit Pflicht. Der letzte Pockenfall trat in Deutschland Anfang der 70er Jahre auf. Daher die Impfpflicht Mitte der 1970er Jahre in West- und Ost-deutschland ausgesetzt. Seit 1979 gilt die Krankheit weltweit als ausgerottet.
Die gute Nachricht: Durch die enge Verwandschaft der beiden Virenstämme schützt wohl auch der Pocken-Impfstoff gegen die Affenpocken - sogar bei einer Impfung einige Tage nach einem Kontakt mit dem Virus.
Laut Sander "kann man potentiell davon ausgehen", dass alle, die bis in die 80er-Jahre gegen Pocken geimpft wurden, nun auch geschützt sind. Zwar sei dies nun 40 Jahre her, "aber ich würde erstmal von einem Schutz ausgehen", so Sander. Allerdings sind Personen, die in den 80er Jahren oder später geboren sind, oft nicht gegen Pocken geimpft.
Neue Pandemie sieht Sander nicht
Die Medizin und die Behörden seien auf die Pocken sehr gut vorbereitet, so Sander. Es werde sicherlich noch eine Verbreitung geben, aber es komme nicht zu einer Situation wie beim Coronavirus, da es nicht so ansteckend sei. "Für die allgemeine Bevölkerung ist es kein Grund zur Aufregung", sagte Sander.
Ähnlich äußerte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Ärzte und Patienten seien durch die bisherigen Fälle sensibilisiert. "Aufgrund der bisher vorliegenden Erkenntnisse gehen wir davon aus, dass das Virus nicht so leicht übertragbar ist und dass dieser Ausbruch eingegrenzt werden kann", betonte der Minister. "Das kann aber nur gelingen, wenn schnell gehandelt wird."
WHO: Ansteckung von Mensch zu Mensch nur begrenzt
In Afrika wurden Affenpocken bei vielen verschiedenen Tieren nachgewiesen, vor allem bei Nagetieren und mehreren Affenarten. Auch von Mensch zu Mensch können die Viren weitergegeben werden - durch Tröpfcheninfektion, Wunden oder kontaminierte Gegenstände -, jedoch nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur begrenzt.
Zu den Symptomen der Affenpocken beim Menschen gehören Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, geschwollene Lymphknoten und Schüttelfrost sowie ein Ausschlag, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile übergreift. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb mehrerer Wochen von der Krankheit.
Sendung: Radioeins, 20.05.22, 09:00 Uhr