Umgang mit antijüdischen Schmäh-Plastiken - Die Kirche und die "Judensau"

Bis heute gibt es an etlichen Kirchen antijüdische Schmäh-Plastiken – Reliefs, die Juden in diffamierender Weise darstellen. Auch der Brandenburger Dom hat eine sogenannte "Judensau". Seit Jahren wird über einen angemessenen Umgang mit diesen Plastiken gestritten. Von Carsten Dippel
Wer im Brandenburger Dom in den mittelalterlichen Kreuzgang tritt, kommt an einer Säule mit einem bemerkenswerten Terracotta-Relief vorbei: Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Groteske, bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als eine besonders perfide Darstellung von Juden: Ein Schwein mit menschlichem Kopf und sogenanntem "Judenhut", ein Rabbiner hebt deren Schwanz und schaut ihr in den Anus.
Viele jüdische Menschen fühlen sich von solchen Schmäh-Plastiken verletzt. Ronen Steinke, Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und jüdischer Buchautor, spricht von antisemitischer Propaganda, die keineswegs zu dulden sei – auch nicht als mittelalterliches Relief. Er erwarte daher, dass die Kirchen diese steinernen Zeugnisse ihres Antijudaismus abnehmen und ins Museum geben.
Dutzende antijüdische Schmäh-Plastiken - auch in Berlin und Brandenburg
Mehr als 30 solcher Schmäh-Plastiken sind überliefert und an evangelischen wie katholischen Gotteshäusern in ganz Deutschland zu finden. Das prominenteste Beispiel findet sich an der Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche, am Dienstag entschied der Bundesgerichtshof, dass diese Plastik bleiben darf.
Aber auch am Kölner Dom, und in Nürnberg und in Wien und im Gebiet der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Schlesische-Oberlausitz auch in Eberswalde finden sich ähnliche Darstellungen. Um einen angemessenen Umgang mit ihnen wird seit Jahren teils heftig gestritten. Sollte man sie am ursprünglichen Ort belassen und kommentieren? Gleich ganz abschlagen, wie vielerorts schon geschehen? Oder abnehmen und mit entsprechender Dokumentation und Information ins Museum geben? Selbstverständlich, sagt Ronen Steinke, sei eine Skulptur, die Juden verächtlich mache und auf das Niveau von Schweinen reduziere, antisemitisch und beleidigend. Und selbstverständlich dürfe so etwas nicht weiter Kirchen und städtische Räume prägen.
Offene Fragen
Doch ist eben das Entfernen oder gar die Zerstörung so einfach? Wie mit diesen schwierigen Zeugnissen angemessen umzugehen sei, ist für manche Kirchgemeinden ein durchaus schmerzhaftes Ringen. Der Kurator des Domstifts in Brandenburg, Cord-Georg Hasselmann, ist sich der Problematik bewusst. Es sei ja auch für Christen eine Herausforderung, sich diesem Erbe zu stellen. Man habe an diesem Relief im Kreuzgang eine Informationstafel aufgestellt, auch mit der Botschaft: "Wir drücken uns nicht rum."
Das Relief sei so offensichtlich antisemitisch, dass man die Besucherinnen und Besucher des Dommuseums auffordern wolle: Guckt euch das an! Davon ausgehend wolle man die Diskussion führen, informieren, aufklären und tatsächlich seien auch noch viele Fragen über die genauen Umstände der Entstehung des Reliefs und dessen Rezeption offen. In die Suche nach Antworten ist die Gemeinde in Brandenburg aktiv eingebunden. Letztlich sei das eine schwierige Gratwanderung: Nimmt man das Relief ab und gibt es ins Depot, weil es antisemitisch ist? Oder belässt man es, weil es zur Geschichte des Doms dazugehört? Auf jeden Fall wolle man gemeinsam mit der Gemeinde entscheiden, sagt Hasselmann.
Kein genereller Weg
Diese Debatte, bei der auch kunsthistorische und denkmalpflegerische Überlegungen eine Rolle spielen, ist vor allem eine Aufgabe für die Kirchen. Sie ist aber auch Teil des christlich-jüdischen Dialogs. Auf einer gemeinsamen Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg und der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland im vergangenen Herbst, mahnte dessen Präsident Josef Schuster an: Die antijüdische Geschichte lasse sich nicht ungeschehen machen, indem man diese Reliefs abschlage. Eine Entfernung würde die weiterbestehenden Phänomene des Antisemitismus verkennen.
Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, plädiert für einen differenzierenden Umgang. Jeder einzelne Ort müsse für sich gewürdigt werden. Eine pauschale Lösung in die eine oder andere Richtung gebe es nicht. Was aber - ganz gleich ob in Köln, Wittenberg oder Brandenburg an der Havel - überall gelte: Man solle sich mit diesem schwierigen kirchlichen Erbe auseinandersetzen und möglichst gemeinsam überlegen, welche Lösung am jeweiligen Ort angemessen ist.
Gesetz der EKBO
Im Dom zu Brandenburg befindet sich das anstößige Relief im Kreuzgang des ehemaligen Prämonstratenserklosters und damit – das spielt für die Debatte eine durchaus entscheidende Rolle – nicht im liturgischen Raum. Man könne nicht an einem Ort predigen, an dem Jüdinnen und Juden so verunglimpft, der Gottesname so geschmäht würde, sagt Pfarrerin Marion Gardei, die Antisemitismusbeauftragte der EKBO.
Die Haltung ihrer Landeskirche ist eigentlich klar: Befinden sich die Schmäh-Plastiken im liturgischen Bereich, müssen sie abgenommen werden. Für die EKBO ist die Unterscheidung zwischen liturgischem und nichtliturgischem Raum wichtig. Seit 1. Mai gilt in der EKBO ein Gesetz, dass die Nutzung von Gegenständen mit nationalsozialistischen und antisemitischen Darstellungen im Gottesdienst und im liturgischen Raum verbietet. Sie sollen, sagt Marion Gardei, aus dem Kirchenraum in einen musealen Kontext, begleitet von einem pädagogischen Konzept, überführt werden. Die Landeskirche führt dazu eine Kunstguterfassung durch. "Im Prinzip wollen wir diese Plastiken nicht zerstören und zerschlagen. Aber wir wollen sie zu einem Lernort machen und somit auch in einen anderen Bereich transferieren."
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.06.2022, 16:40 Uhr